Rz. 72

Das Steuergeheimnis dient außer dem Schutz des Betroffenen gegen Weitergabe oder Verwertung seiner Information bzw. der Information über ihn auch der Sicherstellung der richtigen Besteuerung (vgl. Rz. 6). Daher muss grundsätzlich ein Offenbaren oder Verwerten zulässig sein, das für das Erreichen dieses Zieles erforderlich oder auch nur nützlich (dienlich) und verhältnismäßig ist.[1] Hierbei ist die Richtigkeit der Besteuerung im weiten Umfang des Anwendungsbereichs der AO zu sehen. Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO muss das Offenbaren oder Verwerten der in einem Verfahren nach Abs. 2 erlangten Kenntnisse der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens, eines Rechnungsprüfungsverfahrens oder gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen bzw. eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit dienen. Zu den Verfahren gehören auch die Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die die bundesgesetzlich geregelten Zulagen und Prämien betreffen, auf die die AO anwendbar ist.[2] Zweifelhaft erscheint, ob auch insoweit ein Offenbaren oder Verwerten zulässig ist, als dieses einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren dient, das nicht unmittelbar unter die AO fällt (z. B. Kirchensteuerverfahren). Einerseits handelt es sich bei diesem Verfahren nicht um Verfahren nach Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a oder b. Andererseits kann die landesrechtliche Vorschrift über die Anwendbarkeit der AO und damit des § 30 AO als Landesrecht keine gesetzliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO schaffen (vgl. Rz. 90). Dennoch kann nur die Auslegung vernünftig sein, dass auch für solche steuerlichen und auf Bundesrecht bezogenen Verfahren § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO anzuwenden ist[3], eine Offenbarung oder Verwertung der geschützten Daten in derartigen Besteuerungsverfahren also nicht zwingend auf eine bundesgesetzliche Öffnung nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO reduziert sein kann.[4] Soweit staatliche Behörden kirchensteuerrelevante Daten verarbeiten, gilt das Steuergeheimnis deshalb auch insoweit, obwohl nicht der Erlass eines staatlichen VA in Frage steht. Dementsprechend führt auch die Verwaltung der Kirchensteuer durch die insoweit mit Verfassungsgarantie ausgestatteten steuererhebenden Körperschaften des öffentlichen Rechts[5] zu Verwaltungsverfahren in Steuersachen, auch wenn keine staatliche Verwaltung gegeben ist.[6] Dafür spricht darüber hinaus auch, dass der Gesetzgeber zu den den Amtsträgern gleichgestellten Personen in § 30 Abs. 3 Nr. 3 AO gerade die Träger von Ämtern der kirchensteuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften zählt. Dies indiziert, dass diese auch Erkenntnisse aus Besteuerungsverfahren im Rahmen ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit Kirchensteuerverfahren erhalten sollen.

Auch wenn das Offenbaren oder das Verwerten grundsätzlich einem Verfahren gem. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO dient, ist stets der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. auch Rz. 74).

 

Rz. 73

Das Offenbaren oder Verwerten dient bereits dann der Durchführung eines der genannten Verfahren, wenn es nur eine Unterstützung bereits vorhandener Kenntnisse bringt (z. B. bei Kontrollmitteilungen, die für den Bereich der Außenprüfung in § 194 Abs. 3 AO noch ausdrücklich für zulässig erklärt worden sind).

Dienen ist auch dann anzunehmen, wenn das Offenbaren bzw. das Verwerten nur mittelbar die Besteuerung im betroffenen Einzelfall unterstützt.[7] Bei nur mittelbarem Zusammenhang kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu (s. dazu unten). So ist z. B. eine Mitteilung an die Passbehörde, um einen zur Einhaltung der steuerlichen Verpflichtungen erforderlichen Passentzug zu erreichen, bereits nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO befugt. Zulässig ist danach auch die notwendige Information Dritter – z. B. über Art, Höhe und Aufschlüsselung der Einzelbeträge – bei der Durchsetzung von Steuerforderungen im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren. Das gilt z. B. für das Geltendmachen von Ansprüchen gegenüber einem selbstschuldnerischen Bürgen sowohl im außergerichtlichen Bereich als auch im Rechtsstreit. Zweifelhaft ist dagegen, ob das Offenbaren oder Verwerten bereits dann einem der Verfahren dient, wenn es nur allgemein die Besteuerung unterstützt, steuerliche Einzelfälle jedoch unberührt lässt oder sogar behindert bzw. beseitigt. Dient das Offenbaren oder Verwerten weder dem Anlassfall, noch einem anderen steuerlichen Verfahren im Sinne des Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a oder b, so ist die Offenbarungsbefugnis nach Abs. 4 Nr. 1 wegen des Wortlauts des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zu verneinen. Der Durchführung eines Verfahrens dient aber nicht nur die Erzielung zusätzlichen oder weiteren Steuerertrags. Ob die Mitteilung über einen die steuerliche Unzuverlässigkeit begründenden Sachverhalt an die Gewerbebehörde zum Zweck einer Gewerbeuntersagung bzw. eines Konzessionsentzugs dem Verfahren dienlich sein kann, wird im Einzelfall zu beurteilen sein. Ansonsten wäre die Mitteilung nicht durch Abs. 4 Nr....

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