Rz. 64

Auch der unbefugte Abruf von geschützten Daten im automatisierten Verfahren ist, wenn diese in einem Verfahren nach Abs. 2 Nr. 1 in einem automationsgestützten Dateisystem gespeichert sind, eine Verletzung des Steuergeheimnisses.[1] Es muss sich um nach Abs. 2 Nr. 1 oder 2 geschützte Daten handeln. Diese Daten müssen in einem Datenspeicher gespeichert sein, der im automatisierten Verfahren eingesetzt wird , da nur bei solchen Daten der tatbestandlich erforderte Abruf im automatisierten Verfahren denkbar ist. Die konkret verwendete Methode und die Technik der Datenspeicherung wie auch ihres Abrufs sind unbeachtlich.[2] Schon mit dem Sichtbarmachen auf einem Bildschirm werden somit die Daten abgerufen.

Die unerlaubte Kenntnisnahme vom Inhalt manuell geführter Datensammlungen in Karteien oder sonstigen schriftlichen Unterlagen in Papierform, auch soweit sie ihrerseits Dateisysteme darstellen, ist kein automatisierter Datenabruf.[3] Hier tut sich eine Schutzlücke auf[4], wenn sich etwa ein Amtsträger Einblick in eine fremd geführte Datensammlung verschafft, ohne Kenntnis und Einverständnis desjenigen, der die Sammlung erstellt, pflegt oder verwaltet. Der mechanisierte Ablauf manuell geführter Daten wie z. B. in Karteien auf Karten, in schriftlichen Unterlagen, Akten usw. ist kein automatisierter Datenabruf i. S. d. § 30 Abs. 2 Nr. 3 AO.

Einen typischen Fall des erlaubten Datenabrufs bildet § 88b AO ab. Nimmt eine zuständige Stelle[5] innerhalb der von der Norm bestimmten Zweckbindung einen befugten Datenabruf vor, sind die entsprechenden Amtsträger Ihrerseits zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet.

 

Rz. 65

Gerade im Bereich des unbefugten Datenabrufs ist ein Auseinanderfallen der verfahrensrechtlichen Steuergeheimnisnorm des § 30 AO und der Strafnorm des § 355 StGB festzustellen. Erst seit dem 1.1.2017[6] ist der Bruch des Steuergeheimnisses durch unbefugten Datenabruf unter bestimmten Umständen strafbar. Während aber in § 30 AO schon der unerlaubte Datenabruf das Steuergeheimnis bricht und die (eventuelle) spätere Verwertungshandlung selbst keinen Bruch des Steuergeheimnisses mehr darstellen kann, ist die unbefugte Weitergabe ergänzendes Tatbestandsmerkmal der Strafnorm des § 355 StGB.

Dies führt dazu, dass einer Verletzung dieser Tatbestandsvariante des § 355 StGB immer auch eine Verletzung des § 30 AO vorangegangen ist, während einer Verletzung dieser Tatbestandsvariante des § 30 AO nicht zwingend auch eine nach § 355 StGB strafbare Handlung nachfolgt. Zudem fallen die Tatbestandsverwirklichungen im Verfahrens- und im Strafrecht hier zwingend auch zeitlich (und sei es auch nur ein kurzer Zeitraum bis zur Folgehandlung der Verwertung) auseinander.[7] Zugleich ergeben sich in der Beweisführung der Strafnorm zusätzliche Beweisführungsnotwendigkeiten.

Der strafrechtliche Schutz des Stpfl. gegen den unbefugten Datenabruf durch einen Amtsträger ist also nur unvollkommen.

[2] Ebenso Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 55; Koenig/Pätz, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 107.
[3] BT-Drs. 18/12611, 88; Koenig/Pätz, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 107.
[4] A. A. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 55.
[6] Neufassung des § 355 StGB durch das G. zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.7.2016, BGBl I 2016, 1679.
[7] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 55.

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