Rz. 3

In zwei Fallgestaltungen sieht § 288 AO die grundsätzliche Verpflichtung der Hinzuziehung von Zeugen vor.[1] Die Mitwirkung von Privatpersonen kann dabei nur freiwillig erfolgen.[2] Die Entschädigung der Zeugen erfolgt nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz v. 5.4.2004.[3] Die Zeugenentschädigung zählt dabei zu den Kosten der Vollstreckung, die der Vollstreckungsschuldner nach §§ 337, 344 Abs. 1 Nr. 8 AO zu tragen hat.[4] Die Normen zur Zeugenentschädigung finden sich in §§ 19-23 JVEG.[5]

[1] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 7ff.
[2] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 18; a. A. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 288 AO Rz. 4.
[3] JVEG, BGBl I 2004, 718.
[4] Fischer, in Leopold/Madle/Rader, AO, § 288 AO Rz. 8.

2.1 Widerstand gegen Vollstreckungsmaßnahmen

 

Rz. 4

Die erste Fallgestaltung, bei der der Vollziehungsbeamte Zeugen hinzuziehen soll, ist der Fall der Widerstandsleistung.[1] Dieser Widerstand kann durch den Vollstreckungsschuldner oder einen Dritten erfolgen.[2] Hierbei ist nicht schon das rein passive Verhalten einer Person als Widerstand anzusehen. Vielmehr ist Widerstand i. S. d. Norm erst dann gegeben, wenn der Einsatz des Vollziehungsbeamten mit Gewalt verhindert oder wesentlich erschwert wird, sodass der Vollziehungsbeamte seinerseits Gewalt für die Durchführung seiner Amtsgeschäfte anwenden müsste.[3] Gewalt ist allerdings nicht ausschließlich eine Tätlichkeit, sondern diese kann auch bereits in einer Drohung mit einem empfindlichen Übel liegen.[4]

[1] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 6ff.
[2] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 7.
[3] So auch Abschn. 30 Abs. 1 S. 2 VollzA; so wohl auch Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 288 Rz. 2.
[4] Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 288 Rz. 2.

2.2 Abwesenheit des Vollstreckungsschuldners

 

Rz. 5

Die zweite Fallgestaltung des § 288 AO betrifft die Vollstreckung in Abwesenheit.[1] Hierbei muss es sich zunächst um eine Vollstreckung in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Vollstreckungsschuldners in Abwesenheit des Vollstreckungsschuldners oder einer tauglichen Ersatzperson handeln. Die Wohn- oder Geschäftsräume unterliegen dabei einem besonderen grundrechtlichen Schutz. Gleichwohl ist eine Vollstreckung in dieser Sphäre auch dann in Abwesenheit des Vollstreckungsschuldners zulässig, wenn eine taugliche Ersatzperson anwesend ist.

 

Rz. 6

Der Kreis der tauglichen Ersatzpersonen umfasst alle Personen, die mit dem Vollstreckungsschuldner in einem gemeinsamen Haushalt leben oder bei dem Vollstreckungsschuldner angestellt sind. Ersatzperson sind damit insbesondere, aber nicht abschließend Ehegatten, Kinder, Lebenspartner, Verwandte und Hausangestellte.[2] Die Norm wurde durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 mit Wirkung zum 30.6.2013 sprachlich neu gefasst und auch inhaltlich leicht geändert.[3] Der zufällig anwesende getrennt lebende oder geschiedene Ehegatte reicht nicht aus.[4] Im betrieblichen Bereich kommen vor allem Betriebsangehörige in Betracht, ohne dass es auf deren Stellung im Betrieb ankommt. Als erforderlich wird man indes ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis anzusehen haben. Nicht ausreichend ist demnach ein Aushilfsverhältnis oder etwa der Handwerker, der sich gerade in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Vollstreckungsschuldners aufhält, um Arbeiten auszuführen.[5] Dieser kommt allerdings als Zeuge in Betracht. Nach dem Wortlaut des § 288 AO ist es nunmehr ebenfalls erforderlich, dass die taugliche Ersatzperson erwachsen ist. In dieser Hinsicht weicht § 288 AO nunmehr nicht mehr von § 759 ZPO ab. Nach Sinn und Zweck der Norm wird man aber in jedem Fall fordern müssen, dass die taugliche Ersatzperson in der Lage ist, die Bedeutung der Vollstreckung zu erkennen, und erforderlichenfalls ihre Beobachtungen wiedergeben kann. Damit war eine erwachsene Ersatzperson bereits in der Vergangenheit als grundsätzlich wünschenswert anzusehen, um der Bedeutung der Norm nachzukommen[6], sodass sich in der Praxis wenig ändern dürfte.

[1] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 9ff.
[3] BGBl I 2013, 1809.
[4] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 288 AO Rz. 2.
[5] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 12.
[6] Abschn. 29 Abs. 1 VollzA; Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 288 Rz. 3; Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 288 AO Rz. 13.

2.3 Taugliche Zeugen

 

Rz. 7

Ist einer der Fälle des § 288 AO gegeben, sollen Zeugen hinzugezogen werden. Hierbei müssen die Zeugen erwachsen sein.[1] Dies bedeutet nicht, dass sie volljährig sein müssen. Sie müssen aber in der Lage sein, das Geschehen zutreffend zu beobachten. Es gelten insofern die Ausführungen zu den tauglichen Ersatzpersonen entsprechend. Als Zeugen können dabei auch durchaus Hilfspersonen, z. B. der Handwerker, der die Wohnungstür öffnet, ein Nachbar oder ein Passant, eingesetzt werden.[2] Der Vollziehungsbeamte kann dabei zwei private Zeugen oder einen Gemeinde- oder Polizeibeamten hinzuziehen. Die Tatsache, dass somit anscheinend für den Gesetzgeber das Zeugnis einer Amtsperson doppelt so viel wiegt wie das einer Privatperson, i...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge