Rz. 20

Die Herabsetzung der Steuer bzw. die Gewährung der Steuervergütung muss durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bzw. aufgrund einer solchen geschehen sein.[1] Dabei muss der zu verzinsende Erstattungsanspruch vom Stpfl. selbst rechtshängig gemacht worden sein.[2] Die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung muss selbst zur Änderung des Verwaltungsakts führen oder den Anlass für die Änderung geben. Auch bei einer aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzten Steuer oder einer gewährten Steuervergütung muss es sich um eine Entscheidung handeln, die in einer Sache des Betroffenen erfochten worden ist.[3] Dabei wird es sich zumeist um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage handeln; in gleicher Weise gilt doch auch eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (z. B. für die Aufhebung einer unwirksamen Steuerfestsetzung durch eine gerichtliche Entscheidung).[4]

Steuererstattungsansprüche werden daher nicht von § 236 AO erfasst, wenn die Regelung aufgrund der Änderung in einem anderen Steuerstreitverfahren – z. B. einem Musterstreitverfahren – ergangen ist.[5] § 236 AO ist auf Erstattungsansprüche auch nicht entsprechend anwendbar.[6]

 

Rz. 21

Wird ein Bescheid aufgrund einer Gerichtsentscheidung in dem Musterprozess oder in einem Verfassungsgerichtsverfahren eines anderen Steuerpflichtigen geändert, so ist kein Fall des § 236 Abs. 1 oder 2 AO gegeben.[7] Diese Regelung ist verfassungsgemäß.[8] Hingegen ist § 236 AO anwendbar, wenn der Stpfl. selbst Klage erhebt, das Verfahren bis zur Entscheidung des Musterprozesses ausgesetzt wird und die Steuer nach deren Abschluss im Rahmen des noch anhängigen Verfahrens herabgesetzt wird.[9]§ 236 AO ist jedoch nicht anwendbar, wenn eine Steuerherabsetzung erst nach Beendigung des Rechtshängigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens aufgrund eines im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens angebrachten Vorläufigkeitsvermerks erfolgt.[10] Dies gilt auch, wenn der Stpfl. gegen das zuständige FA einen Prozess über seine ESt-Pflicht gewinnt und daraufhin eine Erstattung einbehaltener KapESt beim BfF erreicht.[11]

 

Rz. 22

Der Grund der Herabsetzung ist unbeachtlich. Sie kann also aus materiell-rechtlichen oder aus verfahrensrechtlichen Gründen geschehen.[12] Das Gerichtsverfahren muss sich auf dieselbe Steuerart und denselben Steuerabschnitt (z. B. Veranlagungszeitraum) beziehen (zu Ausnahmen bei einem Rechtsstreit gegen einen Grundlagenbescheid vgl. Rz. 36. Mit welcher Klageart (z. B. Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage) die Entscheidung erreicht worden ist, spielt keine Rolle.[13]

Ist eine Verfassungsbeschwerde des Stpfl. erfolgreich und wird für die betroffene Steuerart und den betroffenen Zeitraum die festgesetzte Steuer herabgesetzt, so ist § 236 Abs. 2 AO anzuwenden. Nicht dagegen wird der Fall erfasst, in dem eine andere Person oder der Steuerpflichtige für einen anderen Zeitraum oder Steuerabschnitt die Entscheidung des BVerfG erzielt hat. Die Tatsache, dass die herabgesetzte Steuer für einen anderen Besteuerungszeitraum oder bei einem anderen Steuerschuldner festgesetzt werden kann und wird, ändert nichts an der Zinspflicht. Das gilt auch dann, wenn die als Steuerschuldner unzutreffend in Anspruch genommene Organgesellschaft die Aufhebung der Steuerfestsetzung erreicht.[14]

 

Rz. 23

Durch eine gerichtliche Entscheidung unmittelbar geschieht die Herabsetzung der festgesetzten Steuer bzw. die Gewährung der Steuervergütung, wenn das FG nach § 100 Abs. 2 S. 1 FGO verfährt und den Steuerbetrag oder den (höheren) Vergütungsbetrag selbst festsetzt. Entsprechendes gilt für die auch in Steuersachen zuständigen Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach § 113 Abs. 2 VwGO.

 

Rz. 24

Aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung wird eine Steuer insbesondere dann herabgesetzt bzw. eine Steuervergütung gewährt, wenn das FG nach § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 FGO die Steuerfestsetzung bzw. Ablehnung der Steuervergütung ganz oder teilweise aufhebt und die Finanzbehörde danach die Steuer niedriger festsetzt bzw. die (höhere) Steuervergütung gewährt. Nicht aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung wird die Steuer herabgesetzt, wenn die Entscheidung in einem anderen Verfahren getroffen wird, das auch nicht einen Grundlagenbescheid betrifft und das nur mittelbare Auswirkungen auf das Verfahren hat, in dem es dann zu der Erstattung kommt.[15] Hierher gehört auch die Steuerherabsetzung bzw. Gewährung der Vergütung, wenn ein für diesen Fall (dieselbe Steuer, dasselbe Jahr) vom Stpfl. vor dem BVerfG geführtes Verfahren Erfolg hat.

Die Gerichtsentscheidung muss rechtskräftig sein, kann also nicht mehr angefochten werden.

[1] BFH v. 15.1.2003, X R 48/01, BStBl II 2004, 169; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 236 AO Rz. 11.
[3] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 236 AO Rz. 13
[5] BFH v. 18.9.2012, R 9/09, BStBl II 2013, 149; FG Hamburg v. 22.2.2019, 4 K 123/18, EFG 2019, 106...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge