1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 229 AO regelt den Beginn des Laufs der Zahlungsverjährungsfrist. Dem Wesen der Zahlungsverjährung entsprechend beginnt die Verjährungsfrist mit dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger die Zahlung verlangen kann, d. h. mit Eintritt der Fälligkeit.

Ebenso wie nach § 170 AO die Festsetzungsverjährung, ist auch die Zahlungsverjährung eine "Kalenderjahrverjährung".[1] Die Verjährungsfrist beginnt daher nicht unmittelbar mit dem Eintritt der Fälligkeit, sondern erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Forderung erstmals fällig geworden ist. Der Ablauf der Zahlungsverjährung fällt daher regelmäßig mit dem Schluss eines Kalenderjahres zusammen. Lediglich in dem Fall, dass eine Hemmung der Verjährung nach § 230 AO eingetreten ist, kann die Verjährungsfrist im Lauf eines Kalenderjahres ablaufen. Dagegen gilt bei Unterbrechung der Verjährung nach § 231 AO weiterhin die Kalenderjahrverjährung, sie läuft dann also nur am Ende des Kalenderjahres ab.[2]

 

Rz. 2

Die Regelung des § 229 AO wurde durch das JStG 2022[3] in Abs. 1 um einen präzisierenden – und streitentscheidenden – S. 3 ergänzt und in Abs. 2 modifiziert. Die Änderungen sind am 21.12.2022 in Kraft getreten und gelten nach Art. 97 § 14 Abs. 6 EGAO für alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen.

[3] Jahressteuergesetz 2022 v. 16.12.2022, BStBl I 2022, 2294.

2 Beginn der Verjährungsfrist (Abs. 1)

2.1 Regelmäßiger Beginn der Verjährungsfrist (Abs. 1 S. 1)

 

Rz. 3

Der Beginn der Verjährungsfrist ist an den Eintritt der erstmaligen Fälligkeit[1] geknüpft. Die Fälligkeit tritt ein:

  • nach den Einzelsteuergesetzen, entweder zu festen Terminen (wie bei den Vorauszahlungen) oder nach einer Steuerfestsetzung;
  • besteht keine gesetzliche Bestimmung, tritt Fälligkeit gleichzeitig mit dem Entstehen des Anspruchs ein; das ist der Fall z. B. bei Erstattungsansprüchen gegen den Fiskus, wenn sie keiner Festsetzung bedürfen. Gleiches gilt für Erstattungsansprüche aufgrund rechtsgrundloser Zahlung (Rz. 4) und für Rückforderungsansprüche des FA i. S. v. § 37 Abs. 2 AO, die keiner Festsetzung durch VA bedürfen. Diese entstehen mit der ungerechtfertigten Auszahlung des Betrags und werden fällig, ohne dass es eines Abrechnungsbescheids bedarf[2];
  • wird eine Steuer oder eine Steuervergütung unter einer aufschiebenden Bedingung festgesetzt, was im Verbrauchsteuerrecht der Fall sein kann, tritt Fälligkeit erst mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung ein; die Verjährungsfrist beginnt also erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen, in dem die aufschiebende Bedingung eintritt;
  • wird eine Steuer oder eine Steuervergütung unter einer auflösenden Bedingung festgesetzt, tritt sofort Fälligkeit des Anspruchs ein, sodass auch die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Tritt später die auflösende Bedingung ein, ist die Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern. Für den daraus resultierenden Rückforderungsanspruch bestimmt Abs. 1 S. 2, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung erfolgt;
  • ist eine rechtswidrige, aber nicht nichtige Steuerfestsetzung erfolgt, wird der Anspruch auf hierauf zu viel gezahlte Steuern erst mit einer eventuellen Änderung der unrichtigen Steuerfestsetzung fällig;
  • besteht keine gesetzliche Bestimmung, kann für Ansprüche des Fiskus im Leistungsgebot eine Zahlungsfrist bestimmt werden; Fälligkeit tritt dann mit Ablauf dieser Frist ein;
  • bei Verbrauch- und USt kann die Finanzbehörde nach § 221 AO unter bestimmten Voraussetzungen einen vor der gesetzlichen Fälligkeit liegenden Fälligkeitszeitpunkt bestimmen;
  • hebt ein Gericht die Steuerfestsetzung auf oder ändert es diese zugunsten des Stpfl., wird der Erstattungsanspruch erst mit Rechtskraft des Urteils fällig.[3]
 

Rz. 3a

Die als Cum/Ex- und Cum/Cum-Gestaltungen bekannten Gestaltungsmissbräuche bzw. teilweise auch kriminellen Ausnutzungen von Kapitalertragsteuerregeln[4] bieten eine Vielzahl von Rechtsproblemen, auch in der Geltendmachung zurückzuzahlender rechtsgrundlos ausgezahlter KapESt. Grundlegend ist dabei, ob die Rückgängigmachung über Änderungsveranlagungen erfolgt oder ob die Zahlungsverjährung – im Falle des Anspruchs gegen beschränkt Stpfl., bei denen wegen der Abgeltungswirkung der KapESt nach § 50 Abs. 2 EStG eine Veranlagung unterbleibt – allein an die Rückforderung der zu Unrecht ausgezahlten KapESt[5] anknüpft. Die Verjährung dieses Zahlungsanspruchs des Staates richtet sich dann nach den Vorschriften zur Zahlungsverjährung nach §§ 228ff. AO.[6]

Die Ansprüche entstehen nach § 229 Abs. 1 S. 1 AO mit der ungerechtfertigten Auszahlung der Bruttodividenden und werden zu diesem Zeitpunkt fällig.[7] Dementsprechend beginnt die Zahlungsverjährung mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres. Die Feststellung des Rückforderungsanspruchs durch das BZSt nach § 37 Abs. 2 AO stellt keine Steuerfestsetzung i. S. d. § 229 Abs. 1 S. 2 AO dar, sondern konkretisiert lediglich den Erstattungsanspruch.[8]

 

Rz. 4

Auch wenn Vorauszahl...

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