Rz. 46

Die Aufrechnung ist Erfüllungsersatz und führt daher zum Erlöschen der beteiligten Forderungen.[1] Wirkung der Aufrechnung ist nach § 389 BGB, dass die Haupt- und die Gegenforderung, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in dem beide Forderungen sich erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (Aufrechnungslage). Maßgebend für diese Aufrechnungslage ist der früheste Zeitpunkt, zu dem der Aufrechnende aufrechnen konnte. Nicht maßgebend ist der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung oder der Zeitpunkt, zu dem der Aufrechnungsgegner frühestens hätte aufrechnen können (Rückwirkungsfiktion).

Die Rückwirkungsfiktion gilt also unabhängig von der Fälligkeit der Hauptforderung. Wird daher die Gegenforderung des Aufrechnenden später fällig als die Hauptforderung, besteht die Aufrechnungslage für den Aufrechnenden erst ab Fälligkeit seiner Forderung, und damit später als für den Aufrechnungsgegner. Ohne Bedeutung ist es, dass für den Gläubiger der Hauptforderung die Aufrechnungslage aufgrund der früheren Fälligkeit seiner Forderung bereits früher bestand, wenn er tatsächlich die Aufrechnung nicht erklärt hat. Wird die Gegenforderung früher fällig als die Hauptforderung, besteht die Aufrechnungslage ab diesem Zeitpunkt, also unabhängig davon, dass der Aufrechnungsgegner seinerseits die Leistung noch nicht verlangen und daher auch nicht aufrechnen konnte. Da die Hauptforderung nur erfüllbar sein muss, nicht aber fällig, kann die Aufrechnungslage mit Fälligkeit der aufrechnenden Gegenforderung, aber vor Fälligkeit der Hauptforderung des Aufrechnungsgegners eintreten. Die Rückwirkung der Aufrechnung auf diesen Zeitpunkt ist gerechtfertigt, da der aufrechnende Gläubiger entscheiden kann, ob er aufrechnen will oder nicht. Rechnet er auf, muss er hinnehmen, dass die Aufrechnung auf einen Zeitpunkt zurückwirkt, auf den er seinerseits die Leistung verlangen konnte (Fälligkeit der aufrechnenden Gegenforderung), er aber noch nicht zur Leistung verpflichtet war (keine Fälligkeit der Hauptforderung des Aufrechnungsgegners).

 

Rz. 47

Die Erfüllungswirkung tritt nur ein, soweit die beiden Forderungen, die durch Aufrechnung getilgt werden, im Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage tatsächlich bestanden haben.[2] Nicht entscheidend ist, in welcher Höhe die Steuer zu diesem Zeitpunkt (in der Höhe zu Unrecht) festgesetzt war, wenn die Festsetzung noch geändert werden kann. Die in der Höhe unrichtige Festsetzung führt nicht zu einem Bestehen der Steuer in dieser Höhe. Wird eine Steuerforderung – nach ihrer Tilgung durch Aufrechnung – durch einen Änderungsbescheid herabgesetzt, verliert die Aufrechnung insoweit ihre Wirkung.[3] Da die Steuerforderung in Höhe des Herabsetzungsbetrags von Anfang an (objektiv) nicht bestanden hatte, ist die Hauptforderung des Aufrechnungsgegners insoweit (objektiv) auch nicht durch Aufrechnung erloschen, sodass sie insoweit noch besteht. Die Entscheidung über die Aufrechnung ist daher nur vorläufig, soweit der Steuerbescheid über die aufrechnende Forderung noch nicht bestandskräftig ist. Der Rechtsstreit über die Steuerforderung selbst (d. h. die Anfechtung des Steuerbescheids) ist daher vorgreiflich für die Entscheidung über die Aufrechnung. Die Entscheidung über die Anfechtung des Steuerbescheids hat insofern Rückwirkung, als sie das Bestehen oder Nichtbestehen der Steuerforderung auf den Zeitpunkt ihres Entstehens feststellt. Ergibt sich daher aus diesem Rechtsstreit, dass die Steuerforderung nicht oder nicht in der für die Aufrechnung erforderlichen Höhe bestanden hat, ist die Aufrechnung in diesem Umfang unwirksam.[4]

 

Rz. 48

Ist eine Steuer unrichtig, aber bestandskräftig und nicht mehr änderbar festgesetzt, besteht sie materiell nicht. Formell handelt es sich aber um eine vollziehbare Forderung, die dem Gläubiger das Recht zur Vollstreckung gewährt. Infolge der Bestandskraft kann nicht mehr geltend gemacht werden, dass die Forderung nicht besteht. Sie kann daher wie eine materiell bestehende Forderung durch Aufrechnung getilgt werden.

 

Rz. 49

Zur Frage, welche Forderung durch Aufrechnung getilgt wird, ist § 225 AO nicht anwendbar; vgl. Rz. 14. Der Aufrechnende muss erklären, welche der gegen ihn bestehenden Forderungen durch Aufrechnung getilgt werden soll.

 

Rz. 50

Trotz der Rückwirkung der Aufrechnung ordnet § 240 Abs. 1 S. 5 AO an, dass die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstandenen Säumniszuschläge bestehen bleiben. Dies beruht auf der besonderen Bestimmung des § 240 Abs. 5 S. 5 AO, die mit dem Prinzip der Rückwirkung der Aufrechnung nicht vereinbar ist.[5]

Eine Rechtfertigung für diese Vorschrift ist schwer zu sehen. Die Säumniszuschläge sollen die rechtzeitige Zahlung durch den Stpfl. erzwingen. Wenn sich aber das FA selbst die Erfüllung durch Aufrechnung verschaffen kann, d. h. ab Bestehen der Aufrechnungslage, besteht keine Notwendigkeit für das besondere Druckmittel der Säumniszuschläge.[6]

 

Rz. 51

Reicht der Stpfl. eine Steueranmeldung, § 167 AO, ein und erg...

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