Rz. 11

§ 173 AO hat einen eigenständigen, von anderen Regelungen abgegrenzten Geltungsbereich, sodass sich eine kumulative Anwendung mehrerer Änderungsvorschriften i. d. R. nicht ergeben wird .[1] Die Vorschrift erfasst sowohl manuell erstellte Steuerbescheide als auch solche, die im vollautomatisierten Verfahren nach § 155 Abs. 4 AO erstellt worden sind. Eine Sonderregelung zur Änderung von Steuerbescheiden, die in diesem Verfahren erlassen worden sind, enthält nur § 175b AO für die Datenübermittlung durch Dritte. Für die Korrektur von Fehlern, die im Verhältnis zwischen Stpfl. und Finanzbehörde vorkommen, gelten daher die allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 164 AO und §§ 173-175 AO. Lediglich für Schreib- und Rechenfehler, die dem Stpfl. bei der Erstellung der Steuererklärung unterlaufen sind und für die, da nicht von der Finanzbehörde verursacht, § 129 AO nicht gilt, enthält § 173a AO eine Änderungsvorschrift. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist jedoch nicht auf im vollautomatischen Verfahren erlassene Steuerbescheide beschränkt, sondern gilt für alle Steuerfestsetzungen.

 

Rz. 11a

Das Gesetz enthält daher keine besondere Bestimmung über die Änderung von Steuerbescheiden, wenn von dem Stpfl. elektronisch übermittelte Daten nicht oder nicht richtig in die Steuerfestsetzung übernommen wurden. Ein ursprünglich vorgeschlagener § 172a AO ist nicht Gesetz geworden. Nach dieser Vorschrift sollte innerhalb eines Jahres die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung möglich sein, soweit Daten des Stpfl. bei ausschließlich automationsgestützter Bearbeitung des Steuerfalls nicht berücksichtigt wurden. Der Gesetzgeber hielt diese Vorschrift für überflüssig, da diese Fälle i. d. R. durch § 129 AO erfasst werden, wenn ein Rechtsanwendungsfehler ausgeschlossen ist. Liegen im Einzelfall die Voraussetzungen des § 129 AO nicht vor, ist eine Änderung der Steuerfestsetzung dagegen ausgeschlossen. Der Tatbestand des § 173 AO dürfte nicht vorliegen, da die Daten der Finanzbehörde übermittelt wurden, also nicht mehr "neu" sind. Fälle dieser Art dürften jedoch nur bei Fehlern im Programm vorkommen, wenn nicht alle in der elektronischen Steuererklärung enthaltenen Daten in den Steuerbescheid übernommen werden. Soweit Daten und Tatsachen nicht in der elektronischen Steuererklärung enthalten sind, weil der Stpfl. sie nicht eingegeben hat oder weil sie sich nicht für eine elektronische Übermittlung eignen, liegen neue Tatsachen vor, so dass die Steuerfestsetzung nach § 173 AO geändert werden kann.

 

Rz. 11b

§ 173 AO ermöglicht die Durchbrechung der uneingeschränkten Bestandskraft; hieraus ergibt sich die Abgrenzung des Geltungsbereichs zu §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO. Wird einer Steuerfestsetzung ein Vorbehalt der Nachprüfung beigefügt oder erfolgt sie vorläufig, entfaltet sie nur eingeschränkte Bestandskraft.[2] Tritt nun eine neue Tatsache im Wirkungsbereich des Vorbehalts bzw. der Vorläufigkeit auf, wäre nach dem Wortlaut des § 173 AO die kumulative Anwendung des § 173 AO neben den §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO zwar möglich, sie hätte jedoch keinen eigenständigen Sinn, da §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO die umfassenderen und praktisch leichter zu handhabenden Vorschriften sind. M. E. sind daher §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO Spezialregelungen, die § 173 AO vorgehen. Anwendbar ist § 173 AO aber bei neuen Tatsachen, deren Wirkung außerhalb der (punktuellen) Vorläufigkeit nach § 165 AO liegt.

 

Rz. 12

Der Regelungsbereich des § 173 AO unterscheidet sich ebenfalls von dem des§ 174 AO, obwohl beide Vorschriften Steuerbescheide mit uneingeschränkter Bestandskraft betreffen. Zum sachlichen Geltungsbereich des § 174 AO vgl. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 174 AO Rz. 4.

 

Rz. 13

§ 174 AO setzt widerstreitende Steuerfestsetzungen voraus, behandelt also das Verhältnis von zwei (oder mehreren) Steuerfestsetzungen zueinander, während § 173 AO nur jeweils eine Steuerfestsetzung isoliert betrachtet. I.d.R. sind beide Vorschriften nebeneinander anwendbar, jedoch nicht kumulativ, da sie unterschiedliche Regelungsbereiche haben.

 

Beispiel 1:

Durch einen Rechtsfehler ist ein Sachverhalt zulasten des Stpfl. in zwei Steuerbescheiden erfasst worden. Anwendbar ist § 174 AO. § 173 AO ist nicht anwendbar, da keine "neuen Tatsachen" vorliegen.

 

Beispiel 2:

Ein Sachverhalt ist im Jahr 01 zulasten des Stpfl. erfasst worden. Bei der Veranlagung für das Jahr 02 erkennt die Verwaltung, dass der Sachverhalt im Jahr 02 berücksichtigt werden muss. Eine Änderung der Veranlagung des Jahrs 01 nach § 173 AO ist nicht möglich, da die Tatsache bekannt, also nicht neu war. Es ist vielmehr eine Steuerfestsetzung für das Jahr 02 vorzunehmen, in der der fragliche Sachverhalt zu erfassen ist. Anschließend ist die Festsetzung des Jahrs 01 nach § 174 AO zu ändern. Es ist nicht möglich, es bei der Festsetzung des Jahrs 01 zu belassen und den Sachverhalt im Jahr 02 nicht zu erfassen. Die Steuerfestsetzung des Jahrs 02 wäre dann ebenso wie die des Jahrs 01 rechtswidrig.

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