Rz. 107

Durch Gesetz v. 13.12.2006, BStBl I 2007, 28 ist in § 172 Abs. 3 AO eine Vorschrift zur Zurückweisung von erfolglosen Anträgen auf schlichte Änderung in Massenverfahren eingefügt worden. Die Neuregelung tritt grundsätzlich am 19.12.2006 in Kraft.[1] Nach § 18a Abs. 12 EGAO i. d. F. des Gesetzes v. 13.12.2006 gilt die Vorschrift jedoch auch für Änderungsanträge, die vor dem 19.12.2006 gestellt worden sind, wenn die Allgemeinverfügung zur Zurückweisung der Anträge nach dem 19.12.2006 im BStBl veröffentlicht wird.

Die Vorschrift des § 172 Abs. 3 AO gilt nur für Änderungsanträge außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens. Für das Einspruchsverfahren enthält § 367 Abs. 2b AO eine entsprechende Vorschrift. Für Verfahren vor dem FG gibt es keine entsprechende Vorschrift, da in finanzgerichtlichen Verfahren immer eine Einzelentscheidung ergehen muss und sich nach dem Wesen dieser Verfahren eine Zurückweisung durch Allgemeinverfügung verbietet.

 

Rz. 108

Die Vorschrift setzt voraus, dass Stpfl. einen Antrag nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO auf Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung gestellt haben (Antrag auf schlichte Änderung). Zu diesen Anträgen vgl. Rz. 18ff. Weitere Voraussetzung ist, dass der Änderungsantrag eine Rechtsfrage betrifft, derentwegen ein Musterprozess vor dem EuGH, BVerfG oder BFH anhängig ist. Regelmäßig wird in diesen Fällen die Entscheidung über den Antrag auf schlichte Änderung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Musterverfahren zurückgestellt. Die AO enthält zwar, anders als § 363 Abs. 2 AO für das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, keine ausdrückliche Regelung, dass in diesen Fällen die Entscheidung über den Änderungsantrag bis zum Ergehen der Entscheidung in dem Musterprozess ausgesetzt werden kann. Die Entscheidung über den Antrag auf schlichte Änderung liegt aber im Ermessen der Finanzbehörde (Rz. 36). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist es nicht ermessensfehlerhaft, die Entscheidung bis zum Ergehen der Musterentscheidung auszusetzen. Das Abwarten der Musterentscheidung ist auch ein "zureichender Grund" i. S. d. § 347 Abs. 1 S. 2 AO dafür, dass über den Änderungsantrag nicht entschieden wird. Ein Untätigkeitseinspruch ist daher nicht zulässig.

 

Rz. 109

Nach Ergehen der Musterentscheidung ist, je nach dem Ausgang des Musterverfahrens, den Anträgen auf schlichte Änderung zu entsprechen oder sie sind zurückzuweisen. Im Fall der Entsprechung der Anträge sind die betroffenen Steuerbescheide jeweils auf individueller Basis zu ändern. Sind die Anträge zurückzuweisen, kann dies bei Massenverfahren zu erheblichem und letztlich unnötigem Arbeitsaufwand führen. Abs. 3 lässt es daher für diese Fälle zu, die Anträge auf schlichte Änderung durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen.[2]

Die Möglichkeit der Zurückweisung der Anträge auf schlichte Änderung besteht aber nur, wenn die Musterentscheidung durch EuGH, BVerfG oder BFH (einschließlich des Großen Senats) getroffen wurde. Eine Musterentscheidung durch ein FG, das BMF, eine OFD oder ein FA genügt nicht.

 

Rz. 110

Hinsichtlich des Verfahrens zum Ergehen der Allgemeinverfügung verweist Abs. 3 auf § 367 Abs. 2b S. 2–6 AO. Sachlich zuständig für die Allgemeinverfügung, die die Anträge auf schlichte Änderung zurückweist, ist die oberste Finanzbehörde. Das ist für Steuern, für deren Verwaltung die Landesfinanzbehörden zuständig sind, die oberste Landesfinanzbehörde[3], für Steuern, die von der Bundesfinanzverwaltung verwaltet werden, das BMF.[4] Durch diese Regelung wird die sachliche Zuständigkeit verändert, da dadurch die oberste Finanzbehörde, nicht die örtliche Finanzbehörde (FA oder Hauptzollamt), über den Antrag eines Stpfl. bindend entscheidet. M. E. ist das Gesetz insoweit unklar, da der Erlass der Allgemeinverfügung durch das BMF, jedenfalls bei bundesweiter Bedeutung, zweckmäßiger wäre. Darauf deutet auch § 367 Abs. 2b S. 2 AO hinsichtlich der Veröffentlichung auf den Internetseiten des BMF hin. Jedoch ist die Definition der "obersten Finanzbehörde" in §§ 1, 2 FVG eindeutig. Außerdem bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, dem BMF die Zuständigkeit zum Erlass von Verwaltungsakten im Bereich der von den Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern zu geben.[5]

 

Rz. 111

Die Entscheidung, ob die Anträge durch Einzelverwaltungsakt oder durch Allgemeinverfügung zurückgewiesen werden, liegt im Ermessen der Finanzbehörde. Dabei ist neben der Arbeitserleichterung für die Finanzverwaltung das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers zu berücksichtigen, der regelmäßig Anspruch auf eine individuelle Entscheidung hat. Obwohl Abs. 3 insoweit keine Voraussetzungen aufstellt, wird die Zurückweisung der Anträge durch Allgemeinverfügung nur ermessensgerecht sein, wenn eine große Zahl von Anträgen vorliegt, also in Massenverfahren. Mit dem Erlass der Allgemeinverfügung muss eine erhebliche Arbeitsentlastung verbunden sein.

 

Rz. 112

Die Allgemeinverfügung muss klar und eindeutig zu erkennen geben, welche Anträge zurückgewiesen werde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge