Rz. 42

Nach der früheren Rspr.[1] war es möglich, einen Steuerbescheid dann ohne Zustimmung oder Antrag des Stpfl. aufzuheben oder zu ändern, wenn der Stpfl. die Änderung einer Steuerfestsetzung eines Jahres entsprechend seinem Begehren erreicht hatte, dann aber für die dadurch erforderlich gewordene Änderung der Veranlagung eines anderen Jahres seine Zustimmung verweigerte, weil sich diese Änderung zu seinem Nachteil auswirken würde. Nach der Rspr. verstieß ein solches Verhalten gegen Treu und Glauben; ausnahmsweise sollte in diesen Fällen eine Änderung auch ohne Zustimmung möglich sein. Diese Fälle werden jetzt regelmäßig durch § 174 Abs. 4 AO erfasst[2]; die bisherige Rspr. lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Entsprechendes gilt für den Tatbestand des § 174 Abs. 2 AO. Wenn hiernach eine Änderungsmöglichkeit nicht besteht, weil die unrichtige Steuerfestsetzung nicht vom Stpfl. veranlasst worden ist, kann das FA zur Durchführung der Änderung nicht auf Treu und Glauben zurückgreifen.[3]

Auch soweit Einzelfälle nicht durch § 174 AO erfasst werden sollten, ist ein Rückgriff auf § 172 AO mit einer Änderung ohne Zustimmung des Stpfl. nicht möglich, da § 174 AO eine abschließende Sonderregelung enthält. Der abweichenden Ansicht des FG Münster v. 7.2.1996, 11 K 5571/92 E, EFG 1996, 766, wonach unter bestimmten Umständen ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 ohne Zustimmung des Stpfl. beigefügt werden kann, ist nicht zu folgen. Außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens liegt insoweit keine Rechtsgrundlage vor; im Rahmen eines Rechtsbehelfs- oder Gerichtsverfahrens (in dem Streitfall wurde die Verfassungswidrigkeit der Kinderentlastung gerügt) ist die Vorläufigkeit nach § 165 AO ein Minus gegenüber der Stattgabe des Antrags (kein "aliud") und wird daher vom Rechtsschutzantrag des Stpfl. umfasst. Einer besonderen Änderungsberechtigung "ohne Antrag des Stpfl." bedarf es daher nicht.

 

Rz. 43

Wird ein Bescheid nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO geändert, obwohl insoweit ein Antrag des Stpfl. nicht vorliegt und er der Änderung auch nicht zustimmt, ist der Änderungsbescheid nicht nichtig, da er keine schweren, für jedermann ohne Schwierigkeiten ersichtlichen Mängel enthält. Der Bescheid ist lediglich anfechtbar mit der Möglichkeit, dass er bei Versäumung der Anfechtungsfrist bestandskräftig wird.[4]

Der Fehler der mangelnden Zustimmung kann nach § 126 Abs. 1 Nr. 1 geheilt werden, bei Änderung zugunsten des Stpfl. aber nur innerhalb der Rechtsbehelfsfrist.

[1] BFH v. 30.11.1975, IV R 15/72, 146/74, BStBl II 1976, 253.
[2] Vgl. Erl. bei Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, zu § 174 AO.
[4] BFH v. 11.1.1966, I 98/63, BStBl III 1966, 325; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 172 AO Rz. 41.

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