Rz. 115

Die Vorläufigkeit ist als unselbstständige Nebenbestimmung zum Steuerbescheid nicht selbstständig anfechtbar.[1] Anfechtbar ist nur der vorläufige Steuerbescheid. Eine isolierte Anfechtung und Aufhebung der Vorläufigkeit würden den Inhalt des Bescheids (seine Endgültigkeit) unzulässig verändern.[2]

 

Rz. 116

Gegen den vorläufigen Steuerbescheid sowie die Aussetzung der Steuerfestsetzung ist nach § 347 AO der Einspruch gegeben. Der Einspruch kann verschiedenartige Rechtsschutzziele haben.

 

Rz. 117

Mit dem Einspruch kann die Vorläufigkeit selbst angegriffen werden. Es wird dann geltend gemacht, der Bescheid hätte nicht vorläufig ergehen dürfen, weil keine Ungewissheit bestehe. Ziel des Einspruchs ist dann der Erlass eines endgültigen Bescheids mit dem gleichen Inhalt. Lagen die Voraussetzungen der Vorläufigkeit nicht vor, ist der Bescheid insgesamt aufzuheben. Die Aufhebung nur der Vorläufigkeit mit der Folge, dass der Bescheid dadurch endgültig wird, ist nicht möglich[3]; durch eine Endgültigkeitserklärung würde der Bescheid unzulässig in seinem Charakter verändert. Die Finanzverwaltung muss dann erneut unter Beachtung der Ansicht des Gerichts entscheiden, es liege keine Ungewissheit vor. Der Einspruch kann sich aber auch gegen den materiellen Inhalt des Bescheids richten. Soweit der Einspruch sich gegen denjenigen Teil des Bescheids richtet, der vorläufig ist, nimmt die Vorläufigkeit dem Rechtsbehelf nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Vielmehr kann dieses vorliegen, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art gegeben sind. Besondere Gründe materiell-rechtlicher Art liegen vor, wenn der Streitfall gegenüber einem Musterprozess relevante Unterschiede aufweist.[4] Besondere Gründe verfahrensrechtlicher Art können sich z. B. aus der Notwendigkeit einer Aussetzung der Vollziehung ergeben. Das Vorliegen solcher besonderer Gründe muss substanziiert dargelegt werden.[5]

 

Rz. 118

Der Stpfl. kann den Einspruch auf diejenigen Teile des Bescheids beschränken, die von der Vorläufigkeit nicht erfasst werden. Insoweit ergeht eine endgültige Entscheidung. Die Rechtskraft eines etwaigen Gerichtsurteils erfasst dann nicht den nur vorläufig geregelten Bereich, da insoweit nicht entschieden worden ist.[6]

 

Rz. 119

Ist die Vorläufigkeitsbestimmung nicht angegriffen und damit bestandskräftig geworden, können später weder der Stpfl. noch die Finanzbehörde vorbringen, die Voraussetzungen für die Vorläufigkeit hätten nicht vorgelegen.[7] Der Steuerbescheid kann daher aufgrund der Vorläufigkeit geändert werden, selbst wenn der Vermerk der Vorläufigkeit rechtswidrig war.

 

Rz. 120

Allerdings kann auch in einem solchen Fall nur insoweit von dem Vorläufigkeitsvermerk Gebrauch gemacht werden, als es sich um Tatsachenfragen handelt, aus der Sicht der Vorläufigkeitserklärung eine Beifügung des Vorbehalts also rechtlich möglich war.[8] Die Änderung des Steuerbescheids wegen Rechtsfragen liegt außerhalb des möglichen Regelungsbereichs des § 165 AO. Das bedeutet, dass ein Vorläufigkeitsvermerk, der die Vorläufigkeit wegen ungeklärter Rechtsfragen anordnet, zwar bestandskräftig werden kann; dann kann von ihm aber nur hinsichtlich Tatsachenfragen Gebrauch gemacht werden. Wenn nur Rechtsfragen im Streit standen, ging der Vorläufigkeitsvermerk ins Leere; es kann von ihm kein Gebrauch gemacht werden, wenn es nicht um die Beurteilung von Tatsachen geht.[9] Eine solche Vorläufigkeit kann also nicht zu einer neuen rechtlichen Würdigung benutzt werden.

 

Rz. 121

Macht der Stpfl. die Verfassungswidrigkeit oder Europarechtswidrigkeit einer Norm, auf der die Steuerfestsetzung beruht, durch Einspruch geltend, ist hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses zu unterscheiden. Da Finanzverwaltung und FG, einschließlich des BFH die Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit der Norm nicht feststellen können, kann der Stpfl. mit Einspruch und Klage nur erreichen, dass das Gericht den Fall dem BVerfG bzw. dem EuGH zur Entscheidung vorlegt. Schwebt bereits ein Musterverfahren mit dieser Frage vor dem EuGH, dem BVerfG oder dem BFH[10], besteht für Einspruch und Klage kein Rechtsschutzbedürfnis, da das Ziel eines solchen Verfahrens, eine Vorlage an BVerfG oder EuGH bereits mit dem Musterverfahren erreicht ist. Der Steuerbescheid ist vorläufig zu erlassen; ein hiergegen gerichtetes Rechtsbehelfsverfahren ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Ist der Bescheid endgültig, kann Einspruch eingelegt werden mit dem Ziel, dass wegen des Musterverfahrens ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird.[11]

 

Rz. 122

Schwebt noch kein Musterverfahren, ist das Rechtsschutzbedürfnis für Einspruch und Klage gegeben. Ziel dieser Verfahren ist dann, eine Vorlage zum BVerfG oder EuGH zu erreichen.

 

Rz. 123

Wird die vorläufige Steuerfestsetzung für endgültig erklärt, hat dies die Wirkungen einer Steuerfestsetzung.[12] Daher ist der Einspruch gegeben. Einwendungen können jedoch nur vorgebracht werden, soweit die Vorläufigkeit reichte, ohne dass dem § 351 Abs. 1 AO en...

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