Rz. 160

Vergleiche über Steueransprüche sind unzulässig, da der Steueranspruch nicht der Disposition der Beteiligten unterliegt.[1] Könnten die Beteiligten die Höhe der Steueransprüche durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen bestimmen, entspräche die Steuer nicht mehr dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die Grundsätze der Tatbestandsmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wären nicht mehr gewahrt. Vereinbarungen zwischen Finanzbehörde und Stpfl., die zu einer von dem gesetzlich entstandenen Steueranspruch abweichenden Steuerbelastung führen, sind nichtig.[2]

 

Rz. 161

Damit ist aber nicht jede Einigung zwischen Finanzbehörde und Stpfl. ausgeschlossen. Die steuerrechtliche Wertung der von dem Stpfl. verwirklichten wirtschaftlichen Tatbestände ist in vielen Fällen tatbestandsmäßig nicht so festgelegt, dass das Ergebnis durch eine einfache gesetzliche Subsumtion zu erreichen wäre. In einer Vielzahl von Fällen besteht ein Beurteilungsspielraum, der einen Rahmen gewährt, innerhalb dessen unterschiedliche Wertungen dem gesetzlichen Tatbestand entsprechen. Dies ist i. d. R. bei Abschreibungsfragen (z. B. Nutzungsdauer) und Bewertungen der Fall. Auch bei anderen Fallgestaltungen, die nach dem gesetzlichen Tatbestand (scheinbar) eindeutig definiert sind, kann es im Einzelfall schwierig oder aufwändig sein, die richtige Lösung zu finden, sodass auch insoweit ein Beurteilungsspielraum oder ein Beweiswürdigungsspielraum besteht (z. B. Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand). Entsprechendes gilt, wenn der Finanzbehörde ein Ermessensspielraum zusteht. Dies gilt auch für das anzuwendende Schätzungsverfahren. Auch hier besteht regelmäßig die Wahl zwischen mehreren geeigneten Verfahren.

 

Rz. 162

Soweit ein solcher tatsächlicher Beurteilungs-, Ermessens- oder Beweiswürdigungsspielraum besteht, kann die Finanzbehörde ihn auch in Vereinbarung mit dem Stpfl. ausfüllen. Entsprechendes gilt für den ganzen Bereich der Sachverhaltsermittlung; ist die Ermittlung des Sachverhalts nicht möglich oder so aufwändig, dass sie in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Erfolg steht, kann ein (möglicher) Sachverhalt in Übereinstimmung mit dem Stpfl. zugrunde gelegt werden. Der Sache nach handelt es sich um einvernehmliche Schätzungen, die einseitigen Schätzungen durch die Finanzbehörde vorzuziehen sind, da sie durch die Beteiligung des Stpfl. die höhere Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit haben und in stärkerem Maß dem Rechtsfrieden dienen. Die Rechtfertigung der tatsächlichen Verständigung in diesem Rahmen ergibt sich daraus, dass eine einseitige Schätzung oder ein einseitiges Ausfüllen des Beurteilungsspielraums keineswegs eine "Vermutung" für sich hat, der tatsächlich entstandenen Steuer nahe zu kommen; die Praxis zeigt, dass solche einseitigen Schätzungen häufig überhöht sind und zu einer Überbesteuerung führen. Die Schätzungen der Finanzverwaltung sind häufig ebenso einseitig orientiert wie die Schätzungen durch den Stpfl. Eine einvernehmliche Schätzung beider Parteien hat daher die größere Wahrscheinlichkeit für sich, der tatsächlich entstandenen Steuer nahe zu kommen. Keineswegs lässt sich aus den im Weg der tatsächlichen Verständigung reduzierten einseitigen Schätzungen der Finanzverwaltung ableiten, dass letztlich eine niedrigere als die tatsächlich entstandene Steuer festgesetzt wird.[3] Viel eher lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass die ursprüngliche, einseitige Schätzung der Finanzverwaltung überhöht war.

 

Rz. 163

Damit sind im Bereich des Beurteilungs- und Ermessensspielraums und der Schätzungsfälle beide Seiten bindende tatsächliche Verständigungen möglich.[4] Daneben ist eine tatsächliche Verständigung möglich über das anzuwendende Schätzungsverfahren.[5] Die Verwaltungsansicht zur tatsächlichen Verständigung ist in BMF v. 30.7.2008, IV A 3 – S 0223/07/10002, BStBl I 2008, 831 enthalten.[6]

[2] Seer, BB 1999, 78 m. w. N.
[3] So im Ergebnis aber Mösbauer, BB 2003, 1037.
[4] Grundlegend BFH v. 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl II 1985, 354; BFH v. 5.10.1990, III R 19/88, BStBl II 1991, 45; BFH v. 6.2.1991, I R 13/86, BStBl II 1991, 673; AEAO, zu § 88 Nr. 1; OFD Nürnberg v. 17.7.2003, S 0223 – 20/St 24, DStZ 2003, 703; vgl. auch v. Bornhaupt, BB 1985, 1591; Rößler, DB 1985, 1861; Ruppel, DStR 1985, 684; Knepper, BB 1986, 168; Sangmeister, BB 1988, 2289; v. Wedelstädt, DB 1991, 515; Rößler, DB 1991, 2458; Iwanek, DStR 1993, 1394; Streck, StuW 1993, 366; Wiese, BB 1994, 333; Schumann, DStZ 1995, 34; Schmidt-Liebig, DStZ 1996, 643; Wiese, DStZ 1997, 745; Kottke, DB 1999, 820; Seer, BB 1999, 78; Buciek, DStZ 1999, 389; Offerhaus, DStR 2001, 2093; Bruschke, DStR 2010, 2611; kritisch Martens, StuW 1986, 97 wegen Fehlens einer Rechtsgrundlage; Streck/Schwedhelm, DStR 1986, 713, die darauf hinweisen, dass eine tatsächliche Verständigung strafrechtlich als Geständnis des Stpfl., eine Steuerverkürzung begangen zu haben, gewertet werden könnte; ebenfalls kritisch Mösbau...

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