1 Allgemeines

1.1 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift entspricht wortgleich § 20 Abs. 5 VwVfG und § 16 Abs. 5 SGB X. § 15 AO wurde zunächst durch das AdoptionsG v. 2.7.1976[1] sowie durch das Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts v. 18.7.2014[2] geändert. Die Vorschrift galt gem. Art. 97 § 1 Nr. 10 S. 3 EGAO mit Wirkung ab 24.7.2014.

Durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts[3] wurde die "Ehe für alle" begründet. Dies gilt auch für das Verlöbnisrecht.[4] Da dementsprechend keine Verlobung i. S. d. Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) mehr möglich ist, wurde der entsprechende Hinweis auf das LPartG in § 15 Abs 1 S. 1 AO mit Wirkung ab 22.12.2018 wieder gestrichen.[5]

[1] BGBl I 1976, 1749.
[2] BGBl I 2014, 1042.
[3] V. 30.6.2017, BGBl I 2017, 2787.
[4] MüKo/Roth, 8. Aufl. 2019, § 1297 BGB Rz. 7
[5] Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts v. 18.12.2018, BGBl I2018, 2639.

1.2 Steuerliche Begriffsbestimmung

 

Rz. 2

§ 15 AO enthält eine abschließende Aufzählung der Angehörigen. Die Vorschrift bedient sich dabei der Regelungen im Familienrecht des BGB, also der §§ 1297ff. BGB.

Die Vorschrift definiert den Begriff "Angehörige" (oder "Angehöriger") nicht nur für das allgemeine Abgabenrecht, sondern für das gesamte Steuerrecht. Diese Begriffsbestimmung des § 15 AO steht nämlich im Zweiten Abschnitt des Ersten Teils der AO, der mit "Steuerliche Begriffsbestimmungen" überschrieben ist. Die Definition bezieht sich daher nicht nur auf die Verwendung des Begriffs in der AO selbst, sondern gilt – vorbehaltlich von Sonderregelungen in den einzelnen Steuergesetzen – auch sonst im Steuerrecht, also im ganzen Geltungsbereich der AO.

Der Begriff der Angehörigen wird in zahlreichen Vorschriften der AO und der Einzelsteuergesetze verwendet. Er betrifft das materielle Recht, aber auch Regelungen des formellen Steuerrechts (Verfahrensrechts). Im Verfahrensrecht ist das z. B. beim Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101, 103 AO sowie bei der Ausschließung von Personen vom Verwaltungsverfahren. Dieser Angehörigenbegriff wird auch in der FGO[1] und in Nebengesetzen zum Steuerverfahren wie z. B. in § 6 Nr. 2 StBerG für die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen und in § 139 Abs. 4 StBerG für Ausnahmen von den Wirkungen eines Berufsverbots gebraucht. Im materiellen Recht wird der Begriff z. B. in § 1 Abs. 2 S. 1 EStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KStG, § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG, aber auch in § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WoPG verwendet.

[1] Z. B. in § 84 Abs. 2 FGO.

1.3 Auslegung des Angehörigenbegriffs

 

Rz. 3

Der Gesetzgeber hat im Steuerrecht vielfach den Begriff des bzw. der Angehörigen durch ähnliche Begriffe ersetzt. Insbesondere hat er durch Zusammensetzungen von Wörtern mit dem Wort "Angehörige" neue Begriffe gebildet. So ist der Begriff der Familienangehörigen wie in § 12 Nr. 1 EStG oder nächste Angehörige in § 58 Nr. 6 AO ein eigenständiger Begriff, wie auch der der nahestehenden Person.[1] An anderen Stellen sehen die Steuergesetze Erweiterungen oder Einengungen des Begriffs der Angehörigen i. S. d. § 15 AO vor, indem einzelne aus der Aufzählung der Angehörigen in § 15 AO ausgenommen oder die Gruppe der unter § 15 AO fallenden Personen durch Nennung weiterer Personengruppen oder durch enumerative Aufzählung der gemeinten Personen ausgedehnt wird. Als Beispiele seien § 32 EStG, § 3 GrEStG und § 15 ErbStG genannt.

All diese gesetzlichen Abweichungen sind durch den Sinn der abweichenden gesetzlichen Vorschrift begründet und begründen einen Vorrang vor der Regelung des § 15 AO.[2]

 

Rz. 4

Durch Auslegung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach eine im Gesetz selbst nicht vorgesehene Modifikation des Angehörigenbegriffs nach § 15 AO vorgenommen, indem die Rechtsprechung für "nahe Angehörige" Besonderheiten gefordert hat. Hierunter sollen die Ehegatten, Kinder und Enkelkinder, Eltern, Großeltern, Geschwister, Schwiegereltern und Schwiegerkinder gehören. Dabei können die Kinder erwachsen oder minderjährig sein.[3]

In der Rechtsprechung wird insbesondere zu der Frage Stellung genommen, ob und unter welchen Voraussetzungen Miet-, Arbeits- und Darlehensverträge und ähnliche Schuldverhältnisse unter Angehörigen rechtsmissbräuchlich oder von besonderen Voraussetzungen wie z. B. von einer Schriftform abhängig sind. Da i. d. R. Angehörige i. S. d. § 15 AO gemeint sind, wird nicht immer deutlich, ob genau dieser Angehörigenbegriff gemeint ist oder ein engerer.[4] Auch in diesen Fällen kann nicht unmittelbar auf § 15 AO zurückgegriffen werden.[5]

[2] Ebenso Musil, in HHSp, AO/FGO, § 15 AO Rz. 5; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 15 AO Rz. 2.
[4] Vgl. dazu die Zusammenstellungen von Schwarz, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 42 AO Rz. 96-112; weitere Beispiele bieten mehrere Entscheidungen des BFH v. 10.12.2003, IX R 44/98, BFH/NV 2004, 1265; BFH v. 10.12.2003, IX R 41/01, BFH/NV 2004, 1267; BFH v. 10.12.2003, I...

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