Rz. 3

Das Gesetz benutzt den Begriff der "offenbaren Unrichtigkeiten" als Oberbegriff; hierunter fallen Schreibfehler, Rechenfehler und "ähnliche" offenbare Unrichtigkeiten. Das Gesetz enthält somit keine Definition des Begriffs der "offenbaren Unrichtigkeiten". Bei der Auslegung dieses Begriffs ist daher von den in Rz. 1 dargestellten systematischen Erwägungen auszugehen. Erfasst werden Fehler, die auf einem Versehen beruhen.[1]

Schon der Begriff der "Unrichtigkeit" ist mehrdeutig. Tipke[2] versteht unter einer Unrichtigkeit alles, was nicht richtig ist. Diese Auslegung erfasst zwar den grammatikalischen Wortsinn des Begriffs "Unrichtigkeit", nicht aber den Sinnzusammenhang, in dem § 129 AO steht. Mit dieser Umschreibung wäre der Begriff der Unrichtigkeit denkbar weit; zur "Unrichtigkeit" i. d. S. würde auch jeder Rechtsfehler, jede fehlerhafte Sachverhaltsaufklärung usw. führen. Es würden sich durch diese Definition die Grenzen zur Rechtswidrigkeit verwischen. Demgegenüber ist der Begriff des "Unrichtigseins" nach der Funktion des § 129 AO zu definieren; diese besteht darin, das äußere Erscheinungsbild des Verwaltungsakts mit seinem objektiven Regelungsgehalt in Einklang zu bringen. "Unrichtig" ist daher nicht der objektive Regelungsgehalt des Verwaltungsakts, sondern nur sein äußeres Erscheinungsbild. "Unrichtigkeit" i. S. d. § 129 AO ist also nicht als Oberbegriff für alle Fehler zu verstehen, die im Besteuerungsverfahren auftreten können (fehlerhafte Rechtsanwendung, fehlerhafte Tatsachenwürdigung, offenbare Unrichtigkeiten), sondern als ein Fehler, der nur das äußere Erscheinungsbild des Verwaltungsakts betrifft, während objektiv der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts rechtmäßig ist.

 

Rz. 4

An sich kann der Begriff der "Unrichtigkeit" i. d. S. als selbstständiger Begriff verstanden werden, d. h. als Oberbegriff für offenbare und nicht offenbare Unrichtigkeiten. Da das Gesetz aber nicht formuliert "Unrichtigkeiten, die offenbar sind", liegt es näher, die "offenbaren Unrichtigkeiten" als einheitlichen Begriff aufzufassen. Das entspricht auch der Funktion des § 129 AO zu erreichen, dass der nach der Erklärungstheorie offen gelegte, also "offenbare" Wille der Finanzbehörde auch in der äußeren Form des Verwaltungsakts seinen Niederschlag findet.

 

Rz. 5

Eine offenbare Unrichtigkeit liegt vor, wenn der Fehler den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts nicht berührt. Der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts bestimmt sich nach § 124 Abs. 1 S. 2 AO nach dem bekannt gegebenen Inhalt. Das bedeutet, dass der Verwaltungsakt die Regelung enthält, die ihm der objektive Empfänger unter Rücksicht auf die Verkehrssitte entnehmen durfte.[3] Abzustellen ist insoweit auf den objektiven Empfängerhorizont. Der äußere Wortlaut des Verwaltungsakts weicht daher dann von seinem Regelungsgehalt ab, wenn der Empfänger bzw. die Beteiligten erkennen konnten, dass der Wortlaut des Verwaltungsakts etwas anderes ausdrückt, als nach der Erklärungstheorie den Sinn des Verwaltungsakts ausmacht. Ein solches Abweichen des Wortlauts von dem Regelungsgehalt, d. h. eine offenbare Unrichtigkeit, liegt vor, wenn für die Beteiligten, etwa anhand ihrer Unterlagen, durchschaubar, erkennbar, eindeutig, augenfällig, handgreiflich und nicht zu bezweifeln ist[4], dass der Text des Verwaltungsakts nicht seinen Inhalt widerspiegelt.

 

Rz. 5a

Eine offenbare Unrichtigkeit setzt grundsätzlich voraus, dass die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts in der Sphäre des FA begründet ist.[5] Schreibfehler o. Ä. des Stpfl. z. B. in einer Steuererklärung können daher, wenn sie im Bescheid übernommen worden sind, grundsätzlich nicht gem. § 129 AO berichtigt werden. Sofern nicht einmal ein mechanischer Fehler des Stpfl. vorliegt, kann dieser auch nicht durch Übernahme durch die FinVerw zu einem mechanischen Fehler werden.[6] Insofern ist der Stpfl. für die Richtigkeit der Angaben verantwortlich. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung nur, wenn es sich um offenbar unrichtige Angaben des Stpfl. handelt und diese von der Finanzbehörde übernommen werden.[7] Durch die Übernahme macht sich der Finanzbeamte den Fehler zu eigen.[8] Dies setzt voraus, dass bei der Übernahme keine Prüfung oder Würdigung der fehlerhaften Angabe erfolgt. Anderenfalls würde die Unrichtigkeit nicht mehr auf einem mechanischen Versehen beruhen, sondern auf einer fehlerhaften Würdigung. Eine derartige Unrichtigkeit kann aber nicht gem. § 129 AO korrigiert werden.[9] Ein Fehler in der Rechtsanwendung durch den Stpfl. kann nicht durch Übernahme zu einem mechanischen Fehler werden.[10] Macht sich der Finanzbeamte den Fehler durch Übernahme zu eigen, kann er unter den gleichen Voraussetzungen wie eine eigene offenbare Unrichtigkeit der Finanzverwaltung korrigiert werden. Unerheblich ist insoweit, ob ein Verschulden der FinVerw oder des Stpfl. vorliegt.[11] Allerdings ist erforderlich, dass es sich bei der übernommenen Unrichtigkeit bereits um eine offenbare Unrichtigkeit handelt. Dies setzt voraus, dass die Fehle...

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