Rz. 47

Das Bestehen von Betriebs-, Geschäfts-, Gewerbe-, Industrie-, Berufs- und ähnlichen Geheimnissen behindert das deutsche Besteuerungsverfahren grundsätzlich nicht. Ihr Bestehen gibt dem Betroffenen mit Ausnahme der Berufsgeheimnisse des § 102 AO kein Auskunfts- oder Vorlageverweigerungsrecht. Der Schutz dieser Geheimnisse ist mit dem Steuergeheimnis, das um das Besteuerungsverfahren und die gleichgestellten Verfahren herumgeht, ausreichend geschützt.

Da im internationalen Bereich ein wirksames Steuergeheimnis mit der Sicherheit des deutschen Steuergeheimnisses rechtlich und vor allem tatsächlich nicht besteht und auch kaum herzustellen sein wird, sehen die Abkommen durchweg eine Klausel vor, die die Amtshilfeverpflichtung insoweit aufhebt, als der ersuchte Staat mit der Information ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würde.[1] Hiermit soll auch die Gefahr der Wirtschaftsausspähung beseitigt werden. Die Bezeichnung der einzelnen Geheimnisse in den Abkommen ist unterschiedlich. In einigen Abkommen tauchen auch die Begriffe Geschäftsgeheimnis und Betriebsgeheimnis auf, die § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO verwendet. Das DBA Schweiz nannte bislang außerdem das Bankgeheimnis. Diese Einwendung ist durch die an Art. 26 OECD-MA angelehnte Neufassung von Art. 27 DBA Schweiz massiv eingeschränkt worden.[2]

 

Rz. 48

Die Auslegung der genannten Anknüpfungspunkte für das Geheimnis ist einerseits nach dem Sinn und Zweck des Abkommentextes zu treffen, da sie in diesen völkerrechtlichen Vereinbarungen – vereinheitlicht durch das OECD-Musterabkommen – verwendet werden. Andererseits handelt es sich auch um Begriffe, die teilweise in verschiedenen deutschen Gesetzen ebenfalls gebraucht werden und die in § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO genannt sind. Nach der Entwicklung der Abkommenspraxis bis zum OECD-Musterabkommen DBA 2014 ist davon auszugehen, dass mit "Handels-, Industrie-, Gewerbe- und Berufsgeheimnissen" und den "Geschäftsverfahren" nur deutlicher das umrissen werden sollte, was in früheren OECD-Musterabkommen mit "Handels-, Geschäfts-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis" und "Geschäftsverfahren" umschrieben war. Dies wiederum entspricht dem "Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis" i. S. v. § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO. Es handelt sich um Umstände, die im Zusammenhang mit dem Handels-, Industrie- oder Gewerbebetrieb oder der Ausübung eines Berufs stehen, und zwar nicht nur kaufmännisch, sondern auch technisch. § 4 Abs. 3 Nr. 3 EUAHiG spricht ähnlich von Handels-, Gewerbe- und Berufsgeheimnis und Geschäftsverfahren. Nach BMF v. 23.11.2015[3] ist ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis nur dann anzunehmen, "wenn es sich um Tatsachen und Umstände handelt, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und praktisch nutzbar sind und deren unbefugte Nutzung zu beträchtlichen Schäden führen kann".[4] Kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis soll die Art der Abwicklung der Geschäftsbeziehungen zwischen zwei Unternehmen bedeuten, auch wenn die Geschäftsbeziehung unter Einschaltung eines Dritten bzw. über einen dritten Staat abgewickelt wird.

 

Rz. 49

Der Begriff des Geheimnisses ist umstritten. Förster[5] will den Begriff des Geheimnisses eng auslegen und nur das Geheimnis im materiellen Sinn ohne Berücksichtigung der Interessensituation des Betroffenen gelten lassen. Der BFH[6] und dem folgend der BMF[7], vertreten einen engen Geheimnisbegriff. Bei einem Geheimnis müsse es sich um Tatsachen und Umstände handeln, die von großer wirtschaftlicher Bedeutung und praktischer Nutzbarkeit sind und deren unbefugte Nutzung zu beträchtlichen Schäden führen kann. Der BFH ist der Auffassung, dass jeder Stpfl. und Dritte wie für die deutsche Besteuerung auch für Zwecke der Besteuerung eines anderen Staats Auskünfte zu erteilen habe. Der dem Schutz des deutschen Steuergeheimnisses[8] entsprechende Geheimnisschutz würde durch das "internationale Steuergeheimnis" gewährleistet. Es müsste also wie bei einem inländischen Besteuerungsverfahren vorgegangen werden. Außerdem ergebe sich diese Auslegung auch aus dem Zweck völkerrechtlicher Amtshilfevereinbarungen, die praktisch nutzbar sein müssten (Effektivitätsgrundsatz). Der BFH verkennt m. E., dass die Vertragspartner völkerrechtlicher Amtshilfevereinbarungen das internationale Steuergeheimnis nicht als ausreichenden Schutz ansehen. Nicht anders ist zu erklären, dass in allen Abkommen wie in § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO besondere Geheimnisschutzklauseln enthalten sind. Der BFH erwähnt nur, dass es solche Klauseln gibt und dass auch im Entscheidungsfall eine solche vorhanden ist. Die nötigen Schlüsse daraus unterlässt er aber. Seer[9] lehnt sich jetzt unter Aufgabe der früheren weiten Auffassung an die Meinung des BFH an und vertreten nun einen restriktiven, an der Verhinderung von Wirtschaftsspionage orientierten Geheimnisbegriff ("teleologische Reduktion").

Wenn auch der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr durch die hier vertretene weite Auslegung des Geheimnisbegriffs berührt wird, so ist...

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