1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Ausführungsvorschrift des § 100 AO enthält besondere Regelungen für die Vorlage von Wertsachen zum Zweck der Augenscheinseinnnahme und ergänzt damit § 98 AO. Voraussetzung ist, dass die Vorlage zur Feststellung der Beschaffenheit oder des Werts der Wertsache erforderlich ist. Die Vorschrift schränkt insoweit § 98 AO ein. Erfordert die Einnahme des Augenscheins bei Wertsachen das Betreten von Grundstücken oder Räumen, müssen zugleich die Voraussetzungen des § 99 AO ­erfüllt sein[1].

 

Rz. 2

§ 100 AO gilt im gesamten Besteuerungsverfahren, d. h. auch im Rahmen von Außenprüfungen und Steuerfahndungsverfahren. Im Vollstreckungsverfahren räumt § 287 AO der Finanzbehörde weitreichendere Befugnisse ein. Im Straf- und Bußgeldverfahren scheidet eine Beweiserhebung nach § 100 AO dagegen aus.

 

Rz. 3

Die Vorlage von Wertsachen wird in der Verwaltungspraxis nur in seltenen Ausnahmefällen angeordnet. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass gem. § 100 Abs. 2 AO nicht nach unbekannten Gegenständen geforscht werden darf. Bei Wertsachen, die der Finanzbehörde unbekannt sind, kann aber auch kein Bedarf bestehen, Feststellungen über deren Wert zu treffen[2]. Die Vorschrift dürfte wohl nur noch bei der ErbSt und bei Geschäften zwischen nahe stehenden Personen von praktischer Bedeutung sein[3].

[1] Wünsch, in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 100 AO Rz. 1; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 100 AO Rz. 2; Roser, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 100 AO Rz. 2.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 AO Rz. 1.
[3] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 100 AO Rz. 3; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 100 AO Rz. 2; Roser, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 100 AO Rz. 3.

2 Wertsachen

 

Rz. 4

Gegenstand des Augenscheinsbeweises nach § 100 AO sind Wertsachen. Nach der Legaldefinition des § 100 Abs. 1 S. 1 AO fallen hierunter Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten. Der Geldbegriff umfasst alle gültigen in- und ausländischen Zahlungsmittel[1]. Wertpapiere sind ein Recht verkörpernde Urkunden, bei denen das sich aus dem Papier ergebende Recht an die Person des Inhabers geknüpft ist[2]. Dies sind Rekta-, Order- und Inhaberpapiere. Kostbarkeiten sind bewegliche ­Sachen, deren Wert im Vergleich zu ihrer Größe und ihrem Gewicht nach der ­Verkehrsauffassung besonders hoch ist[3]. Beispiele sind Edelmetalle und -steine, Schmuckstücke, Münzen, Briefmarken, Antiquitäten, Kunstgegenstände sowie vergleichbare Objekte mit Sammlerwert.

[1] Wünsch, in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 100 AO Rz. 4; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 100 AO Rz. 5.
[2] Roser, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 100 AO Rz. 7; Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 20. Aufl. 2011, § 100 AO Rz. 2.
[3] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 100 AO Rz. 3; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 AO Rz. 4.

3 Verpflichteter Personenkreis

 

Rz. 5

Die Vorlagepflicht erfasst nach § 100 Abs. 1 S. 1 AO den Beteiligten und andere Personen. Die Stellung als Beteiligter ergibt sich aus § 78 AO. Bevollmächtigte[1] und Personen, die kraft Gesetzes die steuerlichen Pflichten des Beteiligten zu erfüllen haben[2], sind einem Beteiligten gleichgestellt und deshalb ebenfalls vorlagepflichtig[3].

 

Rz. 6

Zur Vorlage verpflichtet sind auch andere Personen (Dritte), wenn sie die unmittelbare Sachherrschaft über den Wertgegenstand ausüben[4], z. B. Verwahrer, Pfandgläubiger und Sicherungseigentümer. Die Vorlagepflicht beschränkt sich in diesen Fällen nicht auf Wertsachen, die der Dritte für den Beteiligten in Gewahrsam hat. In gewissen Konstellationen muss die andere Person auch eigene Wertsachen in einem fremden Besteuerungsverfahren vorlegen, z. B. der Käufer einer Wertsache in den Steuerangelegenheiten des Verkäufers[5].

[3] Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 100 AO Rz. 4.
[4] Roser, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 100 AO Rz. 5.
[5] Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 100 AO Rz. 4; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 100 AO Rz. 11.

4 Verfahren

 

Rz. 7

Die Vorlage der Wertsachen kann von einem Amtsträger[1] der örtlich und sachlich zuständigen Finanzbehörde angeordnet werden. Nach § 100 Abs. 1 S. 2 AO kann die Finanzbehörde aber auch einen Sachverständigen zuziehen, dem dann die Wertsache zum Zweck der Augenscheinseinnahme vorzulegen ist. Dies kann entweder an Amtsstelle oder beim Sachverständigen selbst erfolgen[2].

 

Rz. 8

Die Finanzbehörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie den Beteiligten oder die andere Person um eine Vorlage von Wertsachen ersucht. Eine Aufforderung kommt nur in Betracht, wenn nicht auf andere Weise Gewissheit über die Beschaffenheit oder den Wert des Gegenstands erlangt werden kann. Außerdem hat die Finanzbehörde die für staatliche Eingriffsakte stets geltenden allgemeinen Schranken zu beachten (Geeignetheit, Möglichkeit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit; vgl. § 92 AO Rz. 19ff.).

 

Rz. 9

Das Vorlageersuchen ist ein Verwaltungsakt[3], für den §§ 119ff. AO gelten. Zu seinem notwendigen Inhalt zählt die Angabe, welche Wertsachen von wem an welchem Ort vorgelegt werden sollen[4], inwieweit ...

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