Rz. 7

Nach Abs. 1 gilt die AO für die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelten Steuern und Steuervergütungen. Abweichend von § 3 Abs. 1 RAO stellt diese Vorschrift auf die tatsächliche Regelung durch den Bundesgesetzgeber ab und nicht mehr auf die Gesetzgebungsbefugnis. Entsprechendes gilt für das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Dadurch werden bei landesgesetzlich geregelten Steuern mögliche Unklarheiten, ob ein Fall der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes oder ein Fall der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder gegeben ist, vermieden.[1] Zur Anwendung der AO auf landesrechtlich geregelte Steuern vgl. im Übrigen Rz. 33ff.

[1] Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 1 AO Rz. 16, 24.

2.2.1 Bundesrecht

 

Rz. 8

Für die bundesrechtlich geregelten Steuern ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 1 u. 2 GG. Danach hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. Er hat außerdem die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Dies gilt z. B., wenn ein Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung zur Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse besteht oder wenn die Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann[1]

Bundesgesetzlich geregelt sind folgende Steuern:

  • Zölle, die gemäß Art. 4 Nr. 10 ZK Einfuhrabgaben und daher nach § 3 Abs. 3 Steuern i. S. d. Gesetzes sind;
  • Verbrauchsteuern, die nicht nur örtlich sind: BierSt, KaffeeSt, SchaumweinZwSt, TabakSt, MinölSt, bis 31.12.2017: Branntweinmonopolabgabe;
  • Besitzsteuern: ESt, KSt, SolZ, ErbSt, bis 31.12.1996 auch die VST;
  • Verkehrsteuern: FeuerschutzSt, GrESt (hier haben die Länder gem. § 105 Abs. 2a S. 2 GG die Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes, KraftfahrzeugSt, Rennwett- und LotterieSt, StromSt, USt, VersicherungSt;
  • Realsteuern: GewSt, GrSt.
[1] Vgl. z. B. die KiSt, die in Form der LKiSt über die Grenzen der Länder hinausreicht; bei ihr schreibt allerdings Art. 137 WRV über Art. 140 GG landesrechtliche Regelungen vor.

2.2.2 Recht der Europäischen Union

 

Rz. 9

In den Anwendungsbereich der AO ist in § 1 Abs. 1 S. 2 das Recht der Europäischen Union ausdrücklich einbezogen worden.

2.2.2.1 Unionsrecht

 

Rz. 10

Die Rechtsquellen des Unionsrechts haben einen dem innerstaatlichen Recht ähnlichen Stufenbau. Das primäre Unionsrecht ergibt sich seit dem 1.12.2009 insbesondere aus dem EUV und der AEUV. Ebenfalls seit dem 1.12.2009 gehört auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gleichrangig[1] zum primären Unionsrecht. Die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind gem. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Sie werden ergänzt durch das ungeschriebene primäre Gemeinschaftsrecht. Dazu gehören im Steuerrecht insbesondere die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, das Verhältnismäßigkeitsprinzip, die gleichheitssatzkonforme Besteuerung, die freiheitsschonende Besteuerung, Rechtssicherheit, Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutz, das Verbot des Rechtsmissbrauchs und das Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip.[2]

 

Rz. 11

Das sekundäre Gemeinschaftsrecht umfasst alle von den Organen der Europäischen Union erlassenen Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen sowie die unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen. Die AO-Vorschriften finden daher insbesondere bei gemeinschaftlichen EU-Verordnungen i. S. v. Art. 288 Abs. 2 AEUV Anwendung, die im Inland unmittelbar anzuwenden sind und dem nationalen Recht vorgehen. Allerdings treten die AO-Vorschriften insoweit wieder zurück, als das EU-Recht besondere Verfahrensregelungen enthält. Deshalb gehen Verordnungen nach § 288 Abs. 2 AEUV vor, soweit sie von einer denselben Regelungsgegenstand betreffenden EU-Verordnung überlagert werden. Das ist z. B. bei § 2a Abs. 3 AO der Fall.

 

Rz. 12

Regelungen durch EU-Richtlinien i. S. d. Art. 288 Abs. 3 AEUV enthalten grundsätzlich kein für den Einzelfall unmittelbar geltendes Recht. Diese Richtlinien richten sich an die Mitgliedstaaten. Diese können oder müssen – je nach zwingendem oder nicht zwingendem Inhalt – den Richtlinieninhalt in das nationale Recht transformieren. Grundsätzlich ist nur der in das nationale Recht übertragene Richtlinieninhalt Recht, auf das sich der Einzelne berufen kann.

 

Rz. 13

Allerdings hat der EuGH in zahlreichen Urteilen unmittelbare Folgen aus der Verletzung von EU-Richtlinien durch das nationale Recht gezogen. Zum einen hat der EuGH eine unmittelbare Anwendbarkeit auch umsetzungsbedürftiger Rechtlinien Recht zugestanden, wenn die Bestimmungen einer nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau bestimmt sind. Er hat damit den sog. Anwendungsvorrang der Richtlinienregelung begründet. Dieser lässt zwar das gemeinschaftsrechtswidrige nationale Gesetz bestehen, sieht dabei aber die unmittelbare Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift vor. In diesem Fall kann sich der Einzelne auf d...

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