Leitsatz

Besteht die unbeschränkte Steuerpflicht nicht während des gesamten Veranlagungszeitraumes, z.B. wegen Wegzugs aus oder Zuzugs nach Deutschland (zeitweise unbeschränkte Steuerpflicht), so sind die außerhalb der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht erzielten ausländischen Einkünfte für die Ermittlung eines besonderen Steuersatzes zu berücksichtigen (§ 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG, Progressionsvorbehalt). Dies soll nicht nur dann gelten, wenn außerhalb der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht beschränkt steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden, sondern auch dann, wenn nach Ende oder vor Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht überhaupt keine Einkünfte in Deutschland erzielt werden und somit in dieser Zeit keine Steuerpflicht besteht. Der BFH hat diese Regelung in zwei neueren Entscheidungen als rechtmäßig angesehen (BFH, Urteil v. 19.12.2001, I R 63/00, BFH/NV 2002 S. 584 und vom 15.05.2002, I R 40/01, BStBl 2002 II S. 660). Das FG Hamburg folgt dieser Linie, wenn auch zum Teil mit abweichender Begründung.

 

Sachverhalt

Die Kläger, ein zusammen zur Einkommensteuer veranlagtes Ehepaar, waren im Veranlagungszeitraum 1996 vom 01.01. bis zum 14.04. unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland und erzielten hier Einkünfte. Zum 15.04. zogen die Eheleute nach Japan, in Deutschland behielten sie weder einen Wohnsitz, noch erzielten sie hier weitere Einkünfte. Einkünfte erzielten sie nach dem Wegzug nur noch in Japan. Das Finanzamt hat die Einkommensteuer für die bis zum 14.04. während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht erzielten Einkünfte dadurch ermittelt, daß die nach dem Ende der unbeschränkten Steuerpflicht in Japan erzielten Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalts bei der Steuersatzermittlung berücksichtigt wurden. Hiergegen richtete sich die Klage vor dem FG Hamburg, die jedoch keinen Erfolg hatte.

 

Entscheidung

Das FG Hamburg begründet die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht mit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Es müsse die gesamte weltweite Leistungsfähigkeit während eines Veranlagungszeitraums bei der Besteuerung berücksichtigt werden, der Steuerpflichtige solle keine Steuersatzvorteile durch die Aufteilung seiner Einkünfte auf mehrere Staaten haben. Dies gelte in allen Fällen der zeitweise unbeschränkten Steuerpflicht, unabhängig davon, ob außerhalb der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Einkünfte erzielt würden, oder ob in dieser Zeit überhaupt keine Steuerpflicht bestehe. Ein Verstoß gegen DBA-Recht liege nicht vor, da DBA nur den Fall regelten, daß eine in einem Vertragstaat ansässige Person im anderen Vertragstaat Einkünfte erziele. Dieser Fall liege aber bei einem Umzug nicht vor, sodaß ein DBA in diesem Fall gar nicht anwendbar sei. Selbst bei Anwendbarkeit eines DBA sei aber der Progressionsvorbehalt durch das DBA nicht ausgeschlossen. Das FG Hamburg folgt zwar nicht der Argumentation des BFH, wonach ein Progressionsvorbehalt nicht ausdrücklich in einem DBA zugelassen sein müsse, sondern es genüge, wenn ein Progressionsvorbehalt nach einem DBA nicht verboten sei. Doch sei ein Progressionsvorbehalt außerhalb von DBA bei gesetzlicher Grundlage im nationalen Steuerrecht möglich. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts sichere die gleichmäßige Besteuerung im Vergleich zu ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen, sie verstoße daher auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Auch sei die Regelung mit den Grundfreiheiten des EG-Rechts vereinbar, da ein Zuzug oder Wegzug während des Kalenderjahrs nicht zu einer Mehrfachbelastung von Einkünften und nicht zu einem höheren Steuersatz führe als bei unbeschränkter Steuerpflicht während des gesamten Jahres. Daher werde auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in DBA entsprechend Art. 24 OECD-MA verstoßen.

 

Hinweis

Die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht ist zwischen Rechtsprechung und Literatur heftig umstritten. Während der BFH und in der Folge auch einige Finanzgerichte, so wie vorliegend auch das FG Hamburg, die Anwendbarkeit bejahen, wird die Anwendung des Progressionsvorbehalts in der Literatur zum Teil abgelehnt. Das FG hat deshalb die Revision zum BFH zugelassen, auch, weil seine Begründung von der des BFH teilweise abweicht. Der BFH soll also Gelegenheit erhalten, seine Ansicht zu überdenken und zu bestätigen. Daß er seine gerade erst gefundene Linie bereits wieder aufgeben wird, darf bezweifelt werden. Rechtsmittel gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei Wegzug aus oder Zuzug nach Deutschland dürften deshalb nicht allzu erfolgversprechend sein.

 

Link zur Entscheidung

FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 18.02.2003, V 198/98

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