1 Systematische Einordnung

Die Mutter-Tochter-Richtlinie[1] gehört als Richtlinie zum europäischen Sekundärrecht. Sie dient der Herstellung von binnenmarktähnlichen Verhältnissen für Gewinnausschüttungen innerhalb von Konzernen, die für diese Gewinnausschüttungen von der Dividendenbesteuerung ausgenommen werden sollen. Entsprechende Ziele verfolgt die Zins- und Lizenzrichtlinie.

Als Richtlinie ist die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht unmittelbar anwendbar, sondern muss in nationales Recht umgesetzt werden. Das ist in § 43b EStG und mittelbar in § 8b Abs. 1 KStG geschehen.

[1] Richtlinie (EWG) Nr. 90/435 v. 23.7.1990, ABl. Nr. L 225, 6, zuletzt geändert durch Art. 9 Abs. 1 ÄndRL 2011/96/EU v. 30.11.2011, ABl. Nr. L 345, 8, und durch Richtlinie 214/86/EU des Rates v. 8.7.2014, ABl. Nr. L 219/40 v. 23.7.2014.

2 Inhalt

In persönlicher und räumlicher Hinsicht ist die Richtlinie nach Art. 2 anwendbar auf alle Mutter- und Tochtergesellschaften, die eine der Gesellschaftsformen aufweisen, die in der Anlage zur Richtlinie aufgeführt sind. Für Deutschland sind dies AG, KGaA, GmbH, VVaG, Genossenschaft, Betrieb gewerblicher Art und alle anderen Gesellschaften deutschen Rechts, die der KSt ohne Wahlmöglichkeit unterliegen. Es ist daher fraglich, ob eine Personengesellschaft, die nach § 1a KStG für die KSt optiert hat, unter die Mutter-Tochter-Richtlinie fällt. Dagegen spricht, dass die KSt-Pflicht auf einem Wahlrecht der Gesellschaft beruht. Dafür spricht, dass es sich um einen, wenn auch fiktiven, Rechtsformwechsel handelt, während der tatsächliche Rechtsformwechsel, der ebenfalls auf einer Willensentscheidung der Gesellschaft beruht, zweifellos zur Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie führt. Die Finanzverwaltung wendet jedoch die Mutter-Tochter-Richtlinie und damit auch § 43b EStG auf optierende Personengesellschaften nicht an.[1]

Für die anderen EU-Staaten ist die Richtlinie auf die entsprechenden Rechtsformen anwendbar. Außerdem ist die Richtlinie auf die SE und die SCE anwendbar.

Mutter- und Tochtergesellschaft müssen in einem Mitgliedstaat ansässig sein und dürfen nicht nach dem DBA mit einem Drittstaat als in dem Drittstaat ansässig gelten. Sie müssen der KSt ohne Wahlmöglichkeit unterliegen, dürfen von der KSt also nicht befreit sein. Betriebsstätten von Muttergesellschaften sind begünstigt, wenn die Gewinne im Betriebsstättenstaat stpfl. sind.

Nach Art. 1 ist die Richtlinie anwendbar auf die Besteuerung der Dividenden im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft und auf die Besteuerung im Quellenstaat. Außerdem ist die Richtlinie anwendbar, wenn die Gewinnausschüttung nicht unmittelbar der Muttergesellschaft zufließt, sondern einer Betriebsstätte, die die in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat unterhält.

Muttergesellschaft ist nach Art. 3 eine Gesellschaft, die in einem EU-Staat ansässig ist und die, direkt oder über eine in einem Mitgliedsstaat belegene Betriebsstätte, mindestens 10 % am Kapital der Tochtergesellschaft hält. Statt der Beteiligung am Kapital kann auch ein gleich hohes Stimmrecht vorgesehen werden.

Die Steuerbefreiung der Dividende kann von einer Mindesthaltedauer von bis zu 2 Jahren abhängig gemacht werden.

Als Rechtsfolge sieht die Richtlinie die steuerliche Begünstigung der Dividende sowohl im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft als auch im Quellenstaat vor.

Im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft bzw. der Betriebsstätte der Muttergesellschaft ist die Dividende entweder von der Besteuerung auszunehmen ("Freistellungsmethode") oder die Steuern der Tochter- und aller Enkelgesellschaften auf den ausgeschütteten Gewinn sind anzurechnen ("Indirekte Steueranrechnung"). Allerdings kann der Mitgliedstaat Verwaltungskosten pauschal bis zu 5 % der Dividende besteuern. Deutschland hat diese Vorschrift der Richtlinie nicht ausdrücklich umgesetzt, da sich diese Rechtsfolge bereits aus der Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1, 5 KStG ergibt.

Eine entsprechende Regelung gilt nach Art. 4 Abs. 1a der Richtlinie für hybride Personengesellschaften, die in einem Staat als Körperschaft, im anderen als Personengesellschaft qualifiziert werden.

Im Quellenstaat schreibt die Richtlinie in Art. 5 die Befreiung der Ausschüttung von der KapESt vor. Deutschland hat diese Bestimmung in § 43b EStG umgesetzt.

3 Praxisfragen

Nach § 43b Abs. 2 S. 1 EStG muss die Mindestbeteiligung an der ausschüttenden Tochtergesellschaft "unmittelbar" gehalten werden. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO. Wird die Beteiligung über eine vermögensverwaltende nicht gewerblich geprägte Personengesellschaft gehalten, ist die Beteiligung "unmittelbar" in diesem Sinne. Die KESt ist daher entsprechend zu reduzieren.[1] Deutschland macht das Absehen von der KapESt in § 43b Abs. 2 S. 4 EStG, in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie, von einer Mindesthaltedauer von 12 Monaten abhängig. Ist dieses Fristerfordernis im Zeitpunkt der Gewinnausschüttu...

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