Rz. 373

Grundsätzlich gelten für die Bewertung von Rückstellungen die Regeln über die Bewertung von Verbindlichkeiten; dadurch kommt zum Ausdruck, dass auch den Rückstellungen (ungewisse) Verbindlichkeiten zugrunde liegen. Rückstellungen sind daher mit den Anschaffungskosten (Nennwert) oder dem höheren Teilwert zu bewerten.

Nach § 253 Abs. 1 S. 2 HGB sind Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen. Soweit der Unternehmer eine ungewisse Geldleistungsverpflichtung schuldet, ist diese mit dem Betrag anzusetzen, den das Unternehmen voraussichtlich zahlen muss. Die Formulierung "Erfüllungsbetrag" in § 253 Abs. 1 S. 2 HGB führt dazu, dass allgemein von einer Berechnung nach der Vollkostenmethode ausgegangen wird (§ 5 EStG Rz. 377). Darunter fallen nicht nur die Einzelkosten, sondern auch die – nur im Wege einer Kostenschlüsselung (Schätzung) den einzelnen Kostenträgern (Leistungseinheiten) zuzuordnenden – variablen und fixen Gemeinkosten (§ 5 EStG Rz. 382).[1] Kalkulatorische Kosten und der Unternehmergewinn dürfen nicht einbezogen werden. Erwartete Preissteigerungen, die bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme anfallen, sind bei der Rückstellungsbildung zu berücksichtigen. Die Einbeziehung künftiger Preis- und Kostensteigerungen eröffnet einen erheblichen Schätzungsrahmen bei langfristigen Rückstellungen. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine künftige Preisentwicklung nach dem aktuellen Inflationsziel der EZB geschätzt werden kann. Jedenfalls sollen objektive Hinweise zu hinreichend sicheren Erwartungen über künftige Kosten- und Preissteigerungen erforderlich sein. Erwartete, aber noch nicht eingetretene externe Ereignisse, wie z. B. Technologiewandel, Umweltauflagen, Gesetzesänderungen, sind als wertbegründend nicht zu beachten. Zu berücksichtigen sind ferner nur solche Preis- und Kostenänderungen, die vom Bilanzierenden nicht beeinflusst werden können und denen er sich somit nicht entziehen kann.[2] Ist der Umfang einer Verpflichtung von Anfang an in vollem Umfang vorhanden, der Verbrauch tritt aber erst nach einem längeren Zeitraum ein, spricht man von Verteilungsrückstellungen (z. B. Rekultivierungsverpflichtung). Das bedeutet zunächst einmal, dass alle voraussichtlich anfallenden Kosten ab Vorliegen der Verpflichtung zu passivieren sind. Da es sich jedoch um sog. Verteilungsrückstellungen handelt, darf der voraussichtliche Erfüllungsbetrag auf die Laufzeit bis zur Fälligkeit bzw. dem anzunehmenden Erfüllungszeitpunkt so aufgeteilt werden, dass es zu jährlichen Zuführungen kommt. Diese Methode, die steuerlich zwingend vorgeschrieben ist, wird auch handelsrechtlich akzeptiert.[3] Nach den Anweisungen des IDW ist diese Handhabung auch handelsrechtlich zwingend vorgeschrieben.[4] Rückstellungen sind handelsrechtlich abzuzinsen, sofern die Erfüllung voraussichtlich nicht innerhalb der Jahresfrist erfolgt (§ 253 Abs. 2 HGB).[5]

 

Rz. 373a

Für die Steuerbilanz enthält § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG in den Buchstaben a bis e, über die grundsätzliche Anwendung der Bewertungsvorschriften für Verbindlichkeiten hinaus, umfangreiche Sonderregelungen für die Bewertung von sämtlichen Rückstellungen i. S. v. § 249 HGB. Anders als im Handelsrecht sind bei der steuerlichen Bewertung von Rückstellungen die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend. Die Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG). Auch bei der Frage der Bewertung einer Sachleistungsverpflichtung hält das EStG eine Spezialvorschrift bereit. Diese sind mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG). Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG regelt nicht eindeutig, was unter "angemessenen" Teilen der "notwendigen" Gemeinkosten zu verstehen ist. Mit Urteil vom 11.10.2012 hat der BFH jedoch entschieden, dass grundsätzlich auch die fixen Gemeinkosten Gegenstand der handels- und steuerrechtlichen Rückstellungsbewertung sind.[6] Der in der Handelsbilanz zulässige Ansatz darf in der Steuerbilanz nicht überschritten werden (sog. Deckelung)[7] Sofern die Erfüllung voraussichtlich nicht innerhalb der Jahresfrist nach dem Bilanzstichtag erfolgen wird, ist eine Abzinsung nach den steuerlichen Vorschriften abweichend vom Handelsrecht vorzunehmen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG i. V. mit § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Bei Sachleistungsrückstellungen ist zu beachten, dass der Abzinsungszeitraum abweichend von der handelsrechtlichen Regelung mit Beginn der Maßnahme endet (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e S. 2 EStG; § 5 EStG Rz. 352ff.).[8]

[2] Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 20222, § 253 HGB Rz. 55; Bertram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 2021, § 253 HGB Rz. 51f; ausführlich Bertram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 2021, § 253 HGB Rz. 66ff.
[3] Grottel et al., Beck's...

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