Rz. 67

Die Betriebsaufgabe muss in einem einheitlichen Vorgang erfolgen. Nur dann wird sie von § 16 Abs. 3 EStG erfasst. Das bedeutet nicht, dass die Verwertung des wesentlichen Betriebsvermögens wie bei der Betriebsveräußerung "in einem Akt" erfolgen muss. Denn das ist bei der Betriebsaufgabe gerade nicht vorausgesetzt und im Regelfall auch nicht möglich, weil die Aufgabehandlung meist aus mehreren selbstständigen Akten wie Einzelveräußerung, Zweckentfremdung oder Überführung ins Privatvermögen besteht.

Das Erfordernis eines "einheitlichen Vorgangs" ist zum einen dahin zu verstehen, dass vom Stpfl. ein ununterbrochen zielgerichtetes Handeln verlangt wird; eine zwischenzeitliche Fortsetzung des Betriebs wäre z. B. schädlich. Zum anderen – und das steht in der Rspr. im Vordergrund – ist das Erfordernis zeitlich zu verstehen. Die einzelnen Verwertungsakte des wesentlichen Betriebsvermögens müssen in einem relativ kurzen Zeitraum abgewickelt werden. Denn der Gesetzeszweck der Tarifvergünstigung nach den §§ 16, 34 EStG ist, die zusammengeballte Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven nicht nach dem progressiven ESt-Tarif zu erfassen. Die Betriebsaufgabe setzt daher voraus, dass alle stillen Reserven der wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem Zug aufgedeckt werden und sich im Rahmen der ertragsteuerlichen Erfassung "zusammenballen". Das ist nicht der Fall, wenn dem Stpfl. stille Reserven verbleiben, die erst in späteren Vz aufgedeckt werden (Rz. 48)[1]. Es handelt sich bei dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs "Aufgabe" um eine teleologische Reduktion auf solche Vorgänge, die durch zeitlich zügige Abwicklung die Gefahr einer progressionsintensiven Besteuerung in sich tragen.

 

Rz. 68

Trotz dieses offen zutage tretenden Gesetzeszwecks ist die Rspr. kasuistisch. Ein Zeitraum von sechs Monaten ist noch hinreichend kurz[2]. Ob ein darüber hinausgehender Zeitraum noch ausreichend kurz ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Verkehrsfähigkeit der zu veräußernden Wirtschaftsgüter[3]; ein Zeitraum von 14 Monaten kann noch angemessen sein (Veräußerung von landwirtschaftlichem Streubesitz). Ein Zeitraum von 36 Monaten ist zu lang[4]. Unschädlich ist es, wenn ein angemessen kurzer Zeitraum sich auf zwei Vz erstreckt und die Zusammenballung der aufgedeckten stillen Reserven dadurch bereits gemildert ist[5].

Bei der Praxisaufgabe von Freiberuflern darf ein Zeitraum von sechs Monaten regelmäßig nicht überschritten sein[6].

 

Rz. 69

Die zeitliche Begrenzung darf indes auch unter Berücksichtigung dieser Gesetzesmotivation nicht zu eng gezogen werden. Die Steuerprogression hängt einerseits vom Ablauf des Vz ab, also vom Kj.; sie ist also keine Frage von Monaten. Andererseits ist anerkannt, dass eine Betriebsaufgabe auch vorliegen kann, wenn die Aufgabehandlung sich bei aller Kurzfristigkeit der Abwicklung auf zwei Vz erstreckt (Rz. 211, 247)[7] und die Gewinnverwirklichung sich somit auf zwei Vz verteilt. Dem ist trotz des systematischen Zusammenhangs mit der Progressionsbelastung zuzustimmen, weil andernfalls die Begünstigung von Betriebsaufgaben davon abhinge, dass sie rechtzeitig zu Beginn eines Vz oder Wirtschaftsjahrs in die Wege geleitet würden. Allerdings könnte die Rspr.[8] dahin zu verstehen sein, dass bereits die Verteilung auf zwei Vz schädlich ist. Ist die Verteilung der Gewinnverwirklichung auf zwei Vz aber bei einer Betriebsaufgabe, die im Oktober des Jahres 01 begonnen und im März des Jahres 02 beendet worden ist, unschädlich, so muss unter rein zeitlichen Gesichtspunkten (zur sachlichen Einheitlichkeit des Vorgangs i. S. eines ununterbrochen zielgerichteten Handelns. Rz. 67) auch eine Betriebsaufgabe begünstigt sein können, die Anfang des Jahres 01 beginnt und Ende des Jahres 02 beendet wird, denn die Progressionsmilderung ist in beiden Fällen gleich. Die Obergrenze sollte dementsprechend nicht in Monaten gemessen werden; es muss als ausreichend angesehen werden, wenn nicht mehr als zwei aufeinander folgende Vz durch die mit der Betriebsaufgabe verbundene Gewinnverwirklichung berührt werden.

 

Rz. 70

Liquidationsvorgänge, die nicht innerhalb eines solchen kurzfristigen Zeitraums beendet werden, fallen insgesamt nicht unter § 16 Abs. 3 EStG. Der Unternehmer hat hierbei eine tatsächliche Gestaltungsfreiheit, die Liquidation durch Veräußerung und/oder Übernahme ins Privatvermögen "in einem Zuge" durchzuführen oder durch allmähliche Liquidation die Anwendung des § 16 EStG zu vermeiden. Allerdings kann die Aufdeckung der stillen Reserven nicht beliebig lange hinausgeschoben werden. Zwar gehören die Liquidationshandlungen noch zu den betrieblichen Handlungen, sodass während der Liquidation noch Betriebsvermögen vorhanden sein kann. Gibt jedoch der Unternehmer den Betrieb endgültig auf, ohne zu liquidieren oder die Liquidation zu Ende zu führen, so kann kein Betriebsvermögensbereich mehr existieren. In diesem Fall sind die verbliebenen Wirtschaftsgüter mit end...

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