Rz. 32

Art. 9 OECD-MA enthält eine Regelung zur Korrektur der Bedingungen von kaufmännischen und finanziellen Beziehungen, wenn beide Partner des jeweiligen Geschäfts in verschiedenen Staaten ansässig sind und eines der Unternehmen an dem anderen Unternehmen, oder eine dritte Person an beiden Unternehmen, unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital beteiligt ist. Die Vorschrift soll, zusammen mit der Gegenberichtigung in Art. 9 Abs. 2 OECD-MA, die "wirtschaftliche Doppelbesteuerung" vermeiden. Voraussetzung ist, dass die Bedingungen der kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen, die zwischen den beiden Unternehmen bestehen, von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden (arm’s-length-Prinzip). Ist das der Fall, darf der Staat, in dem das durch diese Bedingungen benachteiligte Unternehmen ansässig ist, denjenigen Gewinn, den das Unternehmen ohne diese nachteiligen Bedingungen hätte erzielen können, besteuern. Der jeweils andere Staat hat nach Art. 9 Abs. 2 OECD-MA eine entsprechende Gegenberichtigung vorzunehmen.

 

Rz. 32a

Art. 9 Abs. 1 OECD-MA enthält selbst keine Rechtsgrundlage für die Gewinnberichtigung. Die Vorschrift ist daher nicht "self-executing".[1] Diese muss vielmehr im innerstaatlichen Recht gesucht werden. Für die Bundesrepublik besteht diese Rechtsgrundlage in den Regeln über die verdeckte Gewinnausschüttung sowie die verdeckte Einlage und in § 1 AStG. Die Bedeutung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA liegt darin, dass die Vorschrift, wie DBA-Regelungen allgemein, eine Schranke für die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsgrundlagen enthält, indem sie bestimmt, dass eine Gewinnberichtigung (nur) zulässig ist, wenn die zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen Vereinbarungen gegen den arm’s-length-Grundsatz verstoßen haben. Diese Schrankenwirkung gilt sowohl für das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung, für das der verdeckten Einlage und für § 1 Abs. 1 AStG. Die Vorschrift wirkt als Verteilungsnorm in dem Sinne, dass sie bestimmt, welcher Staat welchen Gewinn für die Besteuerung in Anspruch nehmen darf. Weitergehendem innerstaatlichem Recht werden insoweit "Schranken gesetzt". Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entfaltet als "Schrankennorm" somit Sperrwirkung gegen weitergehendes nationales Recht, das über die Prüfung der Angemessenheit der Konditionen hinausgeht. Damit wird bei Bestehen eines DBA eine Korrektur nur wegen des Verstoßes gegen den Maßstab der vorherigen, klaren und eindeutigen Vereinbarung, wegen Unüblichkeit der Vereinbarung oder wegen fehlender Ernsthaftigkeit verhindert.[2] § 1 Abs. 1 AStG kann auch nicht als treaty override gegenüber Art. 9 Abs. 1 OECD-MA angesehen werden. § 1 Abs. 1 S. 4 AStG bezieht sich nur auf das Verhältnis zu Vorschriften, die ebenso wie § 1 Abs. 1 AStG eine Rechtsgrundlage für eine Berichtigung darstellen, also die Institute der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage. Das ergibt sich daraus, dass auf die "Rechtsfolgen" dieser Vorschriften Bezug genommen wird. Damit fehlt eine Bestimmung, die die Eigenschaft des § 1 Abs. 1 AStG als lex specialis gegenüber Art. 9 Abs. 1 OECD-MA begründen könnte. Die Vorschrift begründet daher keinen Vorrang vor der Schrankennorm des Art. 9 OECD-MA.[3]

 

Rz. 32b

Die Rechtsprechung hatte die Schrankenwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ursprünglich ausgedehnt. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gestatte nur die Korrektur der wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen, beschränke die Prüfung also auf die Angemessenheit der Preisbestandteile. Preisbestandteil seien dabei alle Vertragsbestimmungen, die die Höhe des Preises nach oben oder unten beeinflussen können. Dies erfasse beispielsweise bei Waren Qualität und Menge, vereinbarte Währung bzw. Währungsrisiken, Zahlungsziele, Laufzeit des Vertrages und ähnliches. Nicht erfasst seien dagegen der Grund, die Üblichkeit und die Ernsthaftigkeit des Vertragsschlusses. Dies betreffe insbesondere die Darlehenssumme bei Darlehensverträgen. Gehe die Darlehenssumme wegen fehlender Besicherung verloren könne dies nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht nach § 1 Abs. 1 AStG korrigiert werden.[4]

Diese Rechtsprechung, wonach die Besicherung der Darlehenssumme nicht dem Fremdvergleich unterworfen sei, vermochte nicht zu überzeugen. § 1 Abs. 1 AStG betrifft "Bedingungen" der Geschäftsbeziehung. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erfasst in ähnlicher Weise "Bedingungen" der kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen. Warum die Sicherung des Darlehens, das in gleicher Weise wie der Zinssatz in dem Darlehensvertrag enthalten, oder eben nicht enthalten, ist, nicht zu den "Bedingungen" der Darlehensgewährung gehören sollen, erschließt sich nicht. Selbst wenn man die Korrektur nur auf Preisbestandteile beschränkt (wobei sich das m. E. weder aus § 1 AStG noch aus Art. 9 OECD-MA ableiten lässt), darf nicht übersehen werden, dass die Kreditsicherung preisrelevant ist – ungesicherte Darlehen tragen typischerweise einen höheren Zinssatz als gesicherte Darlehen.

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