Rz. 474

Abs. 4 S. 1 stellt nur auf die Beteiligungshöhe zu Beginn des Kalenderjahrs ab, also auf einen Zeitpunkt. Darüber hinaus wird keine Haltedauer gefordert. Wenn eine Beteiligung z. B. zu Beginn des Kalenderjahrs bestanden hat und vor oder nach der Gewinnausschüttung unterjährig verkauft wird, ist dies unschädlich.[1] Nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt dies auch, falls nach dem unterjährigen Verkauf eine Streubesitzbeteiligung verbleibt und die Ausschüttung sich nur auf diese bezieht.[2] Abs. 4 S. 1 verlangt letztlich nur, dass der Anteilseigner die Beteiligung von mindestens 10 % zum 1.1., 00.00 Uhr, des jeweiligen Kalenderjahrs halten muss.

 

Rz. 475

Unerheblich ist weiterhin, ob eine derartige Beteiligung zu Beginn des Wirtschaftsjahrs des Dividendenempfängers (oder auch der ausschüttenden Gesellschaft) bestanden hat. Bei einem vom Kj. abweichenden Wirtschaftsjahr ist allerdings zweifelhaft, ob auf den Anfang des Kj. abzustellen ist, in dem die Ausschüttung erfolgt, oder auf den Anfang des Kj., in dem die Ausschüttung steuerlich erfasst wird. Bedeutung hat dies bei einem Zuerwerb von Anteilen, für die nicht die Rückwirkung auf den Beginn des Jahrs gilt, sowie auf den unterjährigen Verkauf von Anteilen, wenn die Beteiligung dadurch unter 10 % sinkt.

 
Praxis-Beispiel

Erwerb und Veräußerung von Anteilen

Die A-GmbH hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr v. 1.7.–30.6.

Variante 1: Die A-GmbH hält am 1.7.01 eine Beteiligung von 7 % an der X-GmbH. Am 1.9.01 schüttet die X-GmbH eine Dividende aus. Am 1.12.01 erwirbt die A-GmbH weitere Anteile i. H. v. 5 % an der X-GmbH, sodass ihre Beteiligung 12 % beträgt. Sie ist daher am 1.1.02, dem Kj., in dem die Ausschüttung bei ihr steuerlich erfasst wird, zu mehr als 10 % beteiligt.

Variante 2: Die A-GmbH verfügt ab 1.1.01 über eine Beteiligung an der X-GmbH von 12 %. Am 1.9.01 erfolgt die Ausschüttung. Am 1.12.01 veräußert die A-GmbH 5 % der Beteiligung, sodass sie am Beginn des Kj. 02, in dem die Ausschüttung steuerlich erfasst wird, nur noch über eine Beteiligung von 7 % verfügt.

 

Rz. 475a

Möglich wäre es, auf den Beginn desjenigen Jahrs abzustellen, in dem die Ausschüttung erfolgt, im Beispiel also auf den 1.1.01.[3] Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind die Ausschüttungen jedoch im Einkommen zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung zu "Beginn des Kalenderjahres" weniger als 10 % beträgt. Das Gesetz verknüpft also "Einkommen" und "Beginn des Kalenderjahres" in einem Satz. Daraus ist zu schließen, dass es auf den Beginn desjenigen Kj. ankommt, für das das Einkommen ermittelt wird. Das Einkommen wird aber nach dem Kj., nicht nach dem abweichenden Wirtschaftsjahr, ermittelt. Denn § 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG bestimmt, dass der Gewinn als in dem Kj. als bezogen gilt, in dem das Wirtschaftsjahr endet. Aus dieser Systematik folgt, dass es für die Besteuerung des Gewinns aus der Ausschüttung nach § 8b Abs. 4 KStG auf den Beginn desjenigen Kj. ankommt, in dem das Wirtschaftsjahr endet, in dem Beispiel also auf den 1.1.02.[4]

 

Rz. 476

Das starre Abstellen auf den Beginn des Kj. dürfte in der Praxis zu zahlreichen Schwierigkeiten führen. Wird eine Beteiligung unterjährig auf 10 % oder mehr aufgestockt, bedeutet dies, dass die Steuerfreiheit der Dividenden grundsätzlich erst für eine Ausschüttung im nächsten Kj. eintritt, es sei denn, die erworbene Beteiligung beträgt 10 % oder mehr. Das Gleiche gilt, falls eine Gesellschaft unterjährig gegründet wird.[5] Auch wenn von Beginn an eine Beteiligung von mindestens 10 % bestanden hat, wäre eine Ausschüttung nicht gem. § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei. Dies kann m. E. nicht richtig sein. Übernimmt ein Anteilseigner bei Gründung der ausschüttenden Gesellschaft z. B. 100 % der Anteile, hat niemals eine Streubesitzbeteiligung an dieser Gesellschaft bestanden. Dennoch sollen im Gründungsjahr keine steuerfreien Ausschüttungen an den alleinigen Anteilseigner möglich sein. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck der Norm. Die Regelung soll nur Ausschüttungen auf Streubesitzbeteiligungen erfassen; das Abstellen auf den Beginn des Kj. zur Bestimmung der Beteiligungshöhe kann nur dazu dienen, Missbrauch zu verhindern, der durch unterjährige, ggf. kurzfristige Beteiligungserwerbe entstehen kann. Warum bei einer Neugründung keine steuerfreie Ausschüttung möglich sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Dies ergibt auch der Vergleich mit einem unterjährigen Beteiligungserwerb im Gründungsjahr von 10 % oder mehr. Der Erwerb einer solchen Beteiligung ermöglicht grundsätzlich steuerfreie Ausschüttungen. Dies hat auch der Gesetzgeber so gesehen, da ein solcher Erwerb nach Abs. 4 S. 6 als zu Beginn des Kj. erfolgt gilt. Nach seinem Wortlaut setzt S. 6 nicht voraus, dass die ausschüttende Gesellschaft zu Beginn des Wirtschaftsjahrs bereits bestanden hat. M. E. ist diese Regelung daher so auszulegen, dass die durch Gründung erworbene Beteiligung für Zwecke von Abs. 4 auf den Beginn des Kj. zurückbezogen wird.

 

Rz. 477

§ 8b Abs. 4 S. 6 KStG enthält eine besondere Regelung, falls ein...

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