Rz. 103

Regelungsgrund für die Steuerfreistellung nach Abs. 1 S. 1 ist gedanklich, dass der ausgeschüttete Gewinn auf der Ebene der ausschüttenden Körperschaft einer steuerlichen Vorbelastung unterlegen hat; dies ist jedoch nach Abs. 1 S. 1 nicht Tatbestandsmerkmal der Vorschrift.[1] Grund hierfür ist, dass es im Einzelfall sehr schwierig ist, das Bestehen einer Vorbelastung und deren Höhe mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen, und dass diese Feststellung nur auf der Ebene der ausschüttenden Körperschaft möglich ist. Damit würde die Ebene der ausschüttenden Körperschaft mit der des Anteilsinhabers verkoppelt, was vermieden werden sollte. Die Steuerfreistellung nach Abs. 1 S. 1 besteht daher grundsätzlich unabhängig von einer steuerlichen Vorbelastung der ausgeschütteten Gewinne.

 

Rz. 104

In der Praxis konnte diese Regelung allerdings zu Steuergestaltungen, insbesondere mittels des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung oder hybrider Finanzierungsinstrumente, genutzt werden. Diese Steuergestaltungen waren vor allem im Verhältnis zum Ausland möglich und beruhten auf Qualifikationskonflikten: Nach ausl. Recht konnte ein Vorgang anders zu qualifizieren sein als nach inl. Recht.

 
Praxis-Beispiel

Die im Inland ansässige Muttergesellschaft X-AG stattete eine ausl. Tochtergesellschaft mit einer hybriden Finanzierung (z. B. einem beteiligungsähnlichem Genussrecht) aus. Diese wird im Ausland als Fremdkapital eingeordnet, sodass die Zinsen als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig waren. Nach deutschem Recht handelte es sich aber um Eigenkapital. Zahlungen auf dieses Genussrecht fielen daher unter § 8b Abs. 1 S. 1 KStG.

 

Rz. 104a

Folge einer solchen Gestaltung waren "weiße", d. h. unbesteuerte Einkünfte. Die Zinsen waren im ausl. Staat Betriebsausgaben, wurden also nicht besteuert. In der Bundesrepublik wurden sie aufgrund der Einstufung als Eigenkapital in Gewinnausschüttungen umqualifiziert und unterlagen daher grundsätzlich der Steuerfreistellung nach Abs. 1 S. 1. Die Zinsen waren daher endgültig steuerfrei.

 

Rz. 104b

Ein vergleichbarer Effekt ließ sich erzielen, wenn die Betriebsausgabe aus deutscher Sicht in eine verdeckte Gewinnausschüttung umqualifiziert wurde. In Deutschland fällt die Zahlung als verdeckte Gewinnausschüttung unter § 8b Abs. 1 S. 1 KStG und ist daher grundsätzlich steuerfrei. Im Ausland wird diese Umqualifizierung aber bei der zahlenden Gesellschaft nicht nachvollzogen, sodass es bei dem Betriebsausgabenabzug bleibt.

 

Rz. 105

Diese Steuergestaltungen beruhten darauf, dass die Ebene der ausschüttenden Gesellschaft und die des Gesellschafters grundsätzlich getrennt beurteilt werden. Diese Folge des Trennungsprinzips ist für den Sonderfall einer verdeckten Gewinnausschüttung bereits durch Gesetz v. 13.12.2006[2] beseitigt worden, indem die Ebene der ausschüttenden Gesellschaft und die des Gesellschafters für verdeckte Gewinnausschüttungen verklammert worden sind ("Korrespondenzprinzip"). Die für diesen Fall bereits bisher vom BMF[3] vorgesehene entsprechende Regelung war mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig und wurde durch die Neuregelung ersetzt. Die Verklammerung durch das Korrespondenzprinzip bei verdeckten Gewinnausschüttungen erfolgt in materieller und formeller Hinsicht:

  • In materieller Hinsicht machte bereits Abs. 1 S. 2–4 a. F. die Steuerfreistellung bei einer verdeckten Gewinnausschüttung davon abhängig, dass das Einkommen der leistenden Gesellschaft durch die verdeckte Gewinnausschüttung nicht gemindert worden ist. Anders als nach der Vorgängerregelung gilt diese Verknüpfung nicht mehr nur für verdeckte Gewinnausschüttungen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass prinzipiell eine Vorbelastung auf der Ebene der ausschüttenden Körperschaft vorhanden ist. Ist der Gesellschafter eine natürliche Person, enthält § 3 Nr. 40 S. 1 Buchst. d EStG eine entsprechende Verklammerung.
  • In formeller Hinsicht ermöglicht § 32a Abs. 1 KStG eine Anpassung der Steuerfestsetzung des Gesellschafters, wenn die Steuerfestsetzung gegenüber der ausschüttenden Körperschaft hinsichtlich einer verdeckten Gewinnausschüttung erlassen, aufgehoben oder geändert worden ist.

Wie in Rz. 104 bereits erläutert, können nicht korrespondierende Qualifikationen auf der Ebene des Anteilseigners und der der ausschüttenden Gesellschaft nicht nur bei verdeckten Gewinnausschüttungen entstehen. In der Praxis wurde dieser Effekt im Rahmen von Steuergestaltungen genutzt, z. B. durch die Vereinbarung von beteiligungsähnlichen Genussrechten, um weiße Einkünfte zu kreieren. Mit Gesetz v. 26.6.2013[4] hat der Gesetzgeber daher den Anwendungsbereich der alten Regelung in Abs. 1 S. 2 auf alle Sachverhalte ausgedehnt, bei denen eine Zahlung, die nach deutschem Verständnis unter § 8b Abs. 1 S. 1 KStG fällt und damit steuerfrei ist, im Ausland gewinnmindernd berücksichtigt werden kann. Die Neuregelung erfasst damit alle Fälle der Vermögensübertragung von der Gesellschaft auf den Gesellschafter.[5]

 

Rz. 106

Die Regelung für verdeckte G...

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