Rz. 87

In der Praxis kommt es aufgrund der Systematik des steuerlichen Einlagekontos häufig zu Problemen, da für die Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns auf die Vorjahreswerte zurückgegriffen werden muss; der im laufenden Wirtschaftsjahr erzielte Gewinn steht für Ausschüttungen der Körperschaft noch nicht zur Verfügung. Viele Unternehmen haben die Prozesse für die Aufstellung des Jahresabschlusses unter dem Schlagwort "fast close" zudem dergestalt optimiert, dass der handelsrechtliche Jahresabschluss bereits wenige Wochen nach Geschäftsjahresende festgestellt und der Beschluss über die Gewinnverwendung zeitnah getroffen werden kann. Steuererklärungen können dagegen meist nicht zeitnah zum Geschäftsjahresende erstellt werden. Dies gilt insbes. für Unternehmen mit abweichendem Wirtschaftsjahr, da die amtlichen Steuerformulare frühestens zu Beginn des folgenden Kalenderjahrs veröffentlicht werden und die wenigsten Steuerberater bzw. Steuerabteilungen mit der Aufstellung von Steuerbilanzen beginnen, bevor die Steuererklärungen erstellt werden können. Dies ist allerdings ein reines "Organisationsproblem"; ist eine entsprechende Rechtsfolge nicht gewünscht, muss entweder die Erstellung der Steuererklärung beschleunigt oder die Ausschüttung aufgeschoben werden. In beiden Fällen könnte dann erreicht werden, dass das steuerbilanzielle Eigenkapital zum Ende des letzten, nicht das zum Ende des vorletzten Wirtschaftsjahrs, für die Anwendung des § 27 Abs. 1 KStG zur Beseitigung der bestehenden Unsicherheit über eine mögliche Verwendung herangezogen wird.

 

Rz. 88

Ein anderer Fall sind Vorabausschüttungen, bei denen der Gewinn des laufenden Wirtschaftsjahrs vorab an die Anteilseigner ausgekehrt wird.[1] Vorabausschüttungen sind ein wichtiges Instrument der Gewinnverwendungspolitik.[2] Zum Teil werden Vorabausschüttungen zur Vermeidung bzw. Verringerung der Publizitätspflichten genutzt.[3] Da es sich bei einer Vorabausschüttung um eine Vorauszahlung auf den erwarteten Jahresüberschuss handelt, steht für Zwecke des § 27 KStG unabhängig vom Stand der Steuererklärung lediglich das steuerbilanzielle Eigenkapital des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs zur Verfügung. Insoweit kann es zur Verwendung des steuerlichen Einlagekontos kommen, obgleich bis zum Stichtag für die Vorabausschüttung ein hinreichender (steuerlicher) Gewinn vorhanden ist.[4]

 
Praxis-Beispiel

Eine Kapitalgesellschaft nimmt regelmäßig Vollausschüttungen i. H. d. erwarteten handelsrechtlichen Jahresüberschusses vor, sodass kein ausschüttbares Eigenkapital – ausgenommen der Betrag des steuerlichen Einlagekontos – vorhanden ist. Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz bestehen nicht. Im Jahr 01 wird der (erwartete) Jahresüberschuss 01 vorab ausgeschüttet. Nach Abs. 1 S. 3 ist vom ausschüttbaren Gewinn des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs auszugehen, der hier 0 EUR beträgt. Die Vorabausschüttung ist also aus dem steuerlichen Einlagekonto zu finanzieren.

 

Rz. 89

In derartigen Fällen kommt es zumindest im Erstjahr, in dem eine Vorabausschüttung vorgenommen wurde, zur Verwendung des steuerlichen Einlagekontos, obwohl der Zufluss an die Anteilseigner auf dem Gewinn des laufenden Geschäftsjahrs beruht und somit eigentlich zu Einkünften i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führen müsste. Nur sofern das steuerliche Einlagekonto keine für die Gewinnausschüttung ausreichenden Beträge aufweist, liegt beim Anteilseigner ein entsprechend steuerpflichtiger Zufluss vor, da das Einlagekonto infolge der Vorabausschüttung nicht negativ werden kann.[5]

 

Rz. 90

Im Folgejahr 02 wäre der Gewinn des Jahres 01 als ausschüttbarer Gewinn zum Ende des Wirtschaftsjahrs nicht mehr festzustellen. Allerdings würde sich ein ausschüttbarer Gewinn ergeben, da es bei unverändertem Eigenkapital und gleichzeitiger Minderung des steuerlichen Einlagekontos aufgrund der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 S. 5 KStG zu einem positiven Betrag kommen könnte. Insoweit käme es bei einer Vorabausschüttung des erwarteten Gewinns für 02 nur dann erneut zur Verwendung des steuerlichen Einlagekontos, wenn der ausschüttbare Gewinn trotz der Minderung des steuerlichen Einlagekontos im Vorjahr nicht ausreicht, um die Vorabausschüttung zu decken.

 

Rz. 91

Ein ähnliches Problem ergibt sich bei nicht abgeflossenen verdeckten Gewinnausschüttungen, z. B. einer steuerlich nicht anzuerkennenden Pensionszusage an einen Gesellschafter-Geschäftsführer. In der Handelsbilanz ist die Pensionsrückstellung weiterhin zu passivieren. Steuerrechtlich hat sowohl nach Auffassung der Finanzverwaltung[6], der h. M. in der Literatur[7] und der ständigen Rspr.[8] eine Korrektur der verdeckten Gewinnausschüttung außerhalb der Bilanz zu erfolgen, sodass die Rückstellung auch in der Steuerbilanz weiterhin zu passivieren ist. Insoweit wird nur das steuerpflichtige Einkommen erhöht, nicht aber die für die Berechnung des ausschüttbaren Gewinns maßgeblichen Größen. Wird das Einkommen der Körperschaft erhöht, nicht aber der ausschüttbare Gewinn i. S. d. § 27 ...

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