5.1.1 Systematik der Minder- und Mehrabführungen

 

Rz. 706

Die Folgen der Minder- und Mehrabführungen bei der Organschaft sind in § 14 Abs. 3 und 4 KStG geregelt. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen Minder- und Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, und solchen, bei denen die Ursache in organschaftlicher Zeit liegt. Nach der in Rz. 713 vertretenen Ansicht sind beide Vorschriften hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Minder- und Mehrabführungen identisch. Beide Vorschriften unterscheiden sich aber in den Rechtsfolgen. Bei Minder- und Mehrabführungen mit vororganschaftlicher Ursache treten die Wirkungen von Gewinnausschüttungen bzw. Einlagen ein, während bei Minder- und Mehrabführungen mit Ursache in organschaftlicher Zeit die erforderlichen Korrekturen durch passive und aktive Ausgleichsposten in der Steuerbilanz des Organträgers erfolgen.

 

Rz. 707

Der Zweck der Regelung über Minder- und Mehrabführungen liegt darin, Doppelerfassungen, aber auch Keinmalerfassungen des steuerlichen Ergebnisses im Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft zu vermeiden. Ausgangspunkt ist dabei, dass die zutreffende Erfassung des Organeinkommens durch die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft bei dem Organträger erfolgen soll. Das ist jedoch nicht in jedem Fall sichergestellt. Haben beispielsweise Bilanzierungs- oder Bewertungsdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz zur Bildung stiller Reserven nur in der Handelsbilanz der Organgesellschaft geführt, wird im Fall der vororganschaftlichen Veranlassung bei Auflösung der stillen Reserven während der Organschaft Vermögen auf den Organträger übertragen, was nach § 14 Abs. 3 KStG als Gewinnausschüttung zu behandeln ist. Bei organschaftlicher Veranlassung sind die stillen Reserven, als nicht in der Steuerbilanz der Organgesellschaft gebildet, durch die Einkommenszurechnung bereits auf der Ebene des Organträgers versteuert worden. Veräußert der Organträger nun die Beteiligung, wird der Veräußerungsgewinn um den Betrag der stillen Reserven höher sein; damit droht mittelbar eine nochmalige Versteuerung bei dem Organträger. Das will § 14 Abs. 4 KStG mit der Bildung von Ausgleichsposten verhindern.[1] Dieser Zweck der Regelung ist bei der Auslegung der Begriffe der Minder- und Mehrabführung zu berücksichtigen.

 

Rz. 708

Die unterschiedlichen Rechtsfolgen, nämlich Gewinnausschüttung und Einlage einerseits, passive oder aktive Ausgleichsposten andererseits, hängen allein davon ab, ob die Ursachen in vororganschaftlicher oder in organschaftlicher Zeit liegen. Die dazu erforderliche Abgrenzung der Verursachung kann im Einzelfall schwierig sein. Da das Gesetz insoweit keine Definitionen enthält, kann die Grenzlinie nur durch eine teleologische Auslegung der beiden Vorschriften gefunden werden. Dies erfordert die Ermittlung der Zwecke, denen die beiden Vorschriften dienen.

 

Rz. 709

Der Zweck der Regelung des § 14 Abs. 3 KStG für Minder- und Mehrabführungen mit vororganschaftlicher Ursache ergibt sich aus der Rechtsfolge, nämlich der einer Gewinnausschüttung bzw. Einlage. Offensichtlich will der Gesetzgeber verhindern, dass bei Sachverhalten, die ihre Ursache außerhalb der organschaftlichen Zeit haben, die auf ihnen lastenden latenten Steuerfolgen von Gewinnausschüttungen bzw. Einlagen dadurch umgangen werden, dass sie in den Bereich der Organschaft verlagert werden, wo diese Folgen nicht mehr eintreten. Dabei ist aus der Sicht des Gesetzgebers die Sicherstellung der Folgen von Einlagen nicht das primäre Ziel. Die Vorschrift zielt vielmehr auf die Sicherstellung der Folgen von Gewinnausschüttungen. Eine Gewinnausschüttung führt regelmäßig zu einer Doppelbelastung, nämlich einmal bei der den Gewinn erzielenden Kapitalgesellschaft, dann ein zweites Mal bei dem Gesellschafter. Hierbei tritt bei einem Gesellschafter in der Rechtsform einer Körperschaft nur die Belastung nach § 8b Abs. 5 KStG ein. Die volle Doppelbelastung greift erst bei der Weiterausschüttung an natürliche Personen ein. Dann erfolgt nach dem Teileinkünfteverfahren eine erneute Besteuerung, und zwar nach § 3 Nr. 40 EStG auf der Grundlage von 60 % des ausgeschütteten Gewinns. Diese doppelte Besteuerung soll nach der Intention des Gesetzgebers durch Abs. 3 sichergestellt werden.

 

Rz. 710

§ 14 Abs. 4 KStG hat dagegen eine andere Zielrichtung. Diese Regelung hat nur den Fall im Blick, dass der Organträger die Beteiligung an der Organgesellschaft veräußert. Minderabführungen können dazu führen, dass ein Gewinn, der im Rahmen der Organschaft durch die Einkommenszurechnung vom Organträger bereits versteuert worden ist, bei der Veräußerung der Beteiligung im Veräußerungsgewinn nochmals besteuert wird, weil der Kaufpreis der Anteile um das durch die Minderabführung bei der Organgesellschaft belassene Vermögen höher sein wird. Mehrabführungen können dazu führen, dass ein zu niedriger Veräußerungsgewinn zu versteuern ist, weil der Kaufpreis um das durch die Mehrabführung der Organgesellschaft entzogene Vermögen niedriger ausfällt. Dies gilt...

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