Rz. 83

Art. 63 AEUV berührt nach seinem Wortlaut nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, insbesondere die Stpfl. mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich zu behandeln (Art. 65 Abs. 1 Buchst. a). Die Vorschrift ist als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Sie kann nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Stpfl. nach ihrem Wohnort oder nach dem Mitgliedstaat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre. Insbesondere dürfen nach Art. 65 Abs. 3 AEUV die in Art. 65 Abs. 1 und 2 AEUV genannten nationalen Maßnahmen "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen".[1] Die Prüfung, ob eine Beeinträchtigung der Freiheit des Kapitalverkehrs gegeben ist, hat im Kern also die gleichen Voraussetzungen wie die Prüfung einer Diskriminierung bei den anderen Grundfreiheiten. Eine nationale Steuerregelung kann nur dann als vereinbar mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen zu gewährleisten, gerechtfertigt ist. Außerdem ist die unterschiedliche Behandlung nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels erforderlich ist.[2]

 

Rz. 83a

Im Erbschaftsteuerrecht stellte sich die Fage nach der Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit insbesondere bei der beschränkten Steuerpflicht, bei der die Erbschaftsteuer nur auf den inländischen Erwerb erhoben wird, im Gegenzug aber nur ein geringer Freibetrag in Höhe von 2.000 EUR gewährt wird, während bei der unbeschränkten Steuerpflicht auf den weltweiten Erwerb immerhin Freibeträge von bis zu 500.000 EUR gewährt worden sind. In der Rechtssache Mattner sah der EuGH darin eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit.[3]

[3] EuGH v. 22.4.2010, Rs. C-510/08 (Mattner), BFH/NV 2010, 1212; vgl. dazu Zipfel, BB 2010, 1990; Wachter, DB 2010, 931. In einem von der Kommission gegen Deutschland angestrengten Vertragsverletzungsverfahren bestätigte der EuGH v. 4.9.2014, Rs. C-211/13 (Kommission/Deutschland), DStR 2014, 1818, diese Rspr.; vgl. dazu Wachter, DB 2014, 2147; Holtz/Stalleiken, ErbR 2015, 17; Schneider/Deranco, NWB 2016, 3236, 3237 näher dazu § 2 Rz. 151 ff.

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