Rz. 561

Der Wortlaut des Satz 1 geht von einer Fiktion einer "Schenkung" aus. Der Normzweck des Satz 1 besteht in der Schließung einer Besteuerungslücke zum Mitgesellschafter, die sich daraus ergeben hat, dass der BFH bislang eine reflexartige Werterhöhung der Anteile des Mitgesellschafters als ungeeigneten Zuwendungsgegenstand interpretierte. Der BFH stelle – so die Kritik des Gesetzgebers[1] – ausschließlich auf die Zivilrechtslage ab und nicht darauf, bei wem im wirtschaftlichen Ergebnis eine Mehrung an Vermögen zu verzeichnen sei.

 

Rz. 562

Das zentrale Manko der Neuregelung besteht darin, dass sie im Tatbestand nur das Deckungsverhältnis zwischen dem Leistenden und der Kapitalgesellschaft regelt und das Valutaverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Bedachten, an dem die Rechtsfolge anknüpft, ausblendet. Die Auslegung des Satz 1 führt zu stimmigen, mit der in der Gesetzesbegründung ausgeführten Zwecksetzung des Satz 1 übereinstimmenden Ergebnissen, wenn man als "ungeschriebenes" Tatbestandsmerkmal ergänzt, dass zwischen dem Leistenden und dem Bedachten eine freigebige Zuwendung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegeben sein muss und allein der nach der Sichtweise des BFH fehlende Zuwendungsgegenstand (Werterhöhung der Anteile) fingiert wird.[2]

 

Rz. 563

Vor dem Hintergrund des Normzwecks darf man sich ausschließlich an einer Erhöhung des Substanzwerts als Höchstwert orientieren.[3] Mit der Leistung an die Kapitalgesellschaft verbundene Synergieeffekte, die zusätzlich zum Substanzwert die Ertragskraft steigern, wollte der Gesetzgeber nicht erfassen. Denn die Absicht des Gesetzgebers bestand in der Herstellung einer "gleichheitsgerechten" Besteuerung, bei der die unmittelbare Zuwendung an den Begünstigten den Vergleichsmaßstab bildet. Bezogen auf das Valutaverhältnis zwischen Leistendem und Begünstigten[4] erfolgt nur die substanzwertbezogene Bereicherung "auf Kosten" des Leistenden.

 

Rz. 564

Liegt die Leistung in einem Forderungserlass, um die Überschuldung der Kapitalgesellschaft zu beseitigen, liegt keine Erhöhung des Substanzwerts vor. Diese setzt voraus, dass der Vermögenswert nicht negativ (Schulden höher als Aktiva), sondern mindestens 0 ist. Des Weiteren kann die mit der Ersparnis von Aufwendungen verbundene "verhinderte" Vermögensminderung nicht als substanzielle Vermögensmehrung qualifiziert werden.[5] Deswegen führen Nutzungseinlagen (z. B. die Leihe von Vermögensgegenständen), die Leistung von Diensten (z. B. Geschäftsführung) ohne Gegenleistung oder die zinslose Überlassung von Fremdkapital zu keiner Erhöhung des Unternehmenswertes i. S. d. Satz 1.[6] Eine Erhöhung des Substanzwerts träte erst dann ein, wenn sich die Leistung in Form eines sog. obligatorischen Nutzungsrechts zu einem bewertungsfähigen Vermögensgegenstand verdichten würde. Dass der BFH bei der Gewährung eines zinslosen Darlehens von einer freigebigen Zuwendung ausgeht[7], ändert daran nichts. Denn diese steuerbare Zuwendung führt nicht direkt zu einer Werterhöhung, sondern zunächst einmal nur zu einer Ersparnis von Aufwendungen.

 

Rz. 565

Im Regelfall folgt aus einer Erhöhung des Substanzwerts des Unternehmens ipso iure eine Werterhöhung der Anteile entsprechend der Beteiligungsquote. Zwingend ist das nicht, wenn man sich den Fall der Zuzahlung in eine schuldrechtlich gebundene Kapitalrücklage vor Augen führt. Hier kann sich ausschließlich der Substanzwert der Anteile des Leistenden erhöhen.

[1] BT-Drs. 17/7524, 20.
[2] Fischer, ZEV 2012, 77, 80 f.
[3] Potsch/Urbach, KÖSDI 2012, 17747, 17750.
[5] Vgl. auch BFH v. 26.10.1987, GrS 2/86, BStBl II 1988, 348 zur fehlenden Einlagefähigkeit sog. Nutzungseinlagen.
[6] Im Ergebnis ebenso Korezkij, DStR 2012, 163, 164; a. A. van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1, 8.

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