Rz. 528

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 ErbStG gilt als vom Erblasser zugewendet der Übergang von Vermögen auf eine vom Erblasser angeordnete Stiftung. Gemeint ist die rechtsfähige Stiftung des privaten Rechts i. S. d. §§ 80 ff. BGB, weil die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung nicht vom Erblasser angeordnet werden kann.[1]

 

Rz. 529

Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung sind nach § 80 Abs. 1 BGB das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. Das Stiftungsgeschäft kann auch in einer Verfügung von Todes wegen, also in einem Testament oder einem Erbvertrag[2] bestehen. Die Vermögenszuwendung kann durch Erbeinsetzung, Vermächtnis oder Auflage erfolgen.[3] Alternativ ist auch möglich, dass der Erblasser dem Erben die Auflage macht, seinerseits durch Rechtsgeschäft unter Lebenden eine Stiftung zu errichten.[4] Nach der Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB wird die Stiftung für Zuwendungen des Stifters schon als vor dessen Tod entstanden anerkannt.

 

Rz. 530

Der Anwendungsbereich der Vorschrift ergibt sich aus dem Zusammenhang mit den § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG. Nicht einschlägig ist § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG jedenfalls dann, wenn die Stiftung bereits beim Tod des Erblassers bestanden hat, weil dann der durch Verfügung von Todes wegen angeordnete Erwerb von Vermögen durch sog. Zustiftungen aus seinem Nachlass unter § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG fällt. Wenn die Stiftung beim Tod des Erblassers noch nicht bestanden hat, muss sie nach dessen Versterben vom beschwerten Erben oder Vermächtnisnehmer durch besonderes Stiftungsgeschäft mit behördlicher Anerkennung und unter Rückwirkung nach § 84 BGB noch errichtet werden. Die zivilrechtliche Rückwirkungsfiktion führt auch erbschaftsteuerrechtlich dazu, dass ein Zwischenerwerb anderer Personen mit der Möglichkeit einer mehrfachen Besteuerung desselben Vermögens ausgeschlossen ist.[5] Als Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 ErbStG sieht der BFH[6] die Variante, in der der Erblasser den Erben oder Vermächtnisnehmer mit der Auflage beschwert, eine Stiftung durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu errichten und die Variante, in der der Erblasser eine von ihm durch letztwillige Verfügung angeordnete Stiftung unmittelbar zur Erbin oder Vermächtnisnehmerin einsetzt. Allerdings weist Hannes/Holtz[7] zutreffend darauf hin, dass sich die Steuerbarkeit der 1. Variante bereits aus § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG ergeben könnte. Insofern liegt die Bedeutung darin, dass sie das Stiftungsgeschäft unter Lebenden seitens des Erben bzw. Vermächtnisnehmers in die Erbschaftsbesteuerung verlegt und damit die Vermögensausstattung der Stiftung als Zuwendung des Erblassers versteht. Geht es um die Variante der Errichtung einer Stiftung durch Verfügung von Todes wegen, erfolgt die Vermögensausstattung entweder durch Erbeinsetzung, Vermächtnis oder Auflage, sodass sich die Steuerbarkeit bereits aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG ergäbe. Im Übrigen ordnet § 9 Abs. 1c ErbStG an, dass die Steuer erst mit dem Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung – also abweichend von § 84 BGB nicht rückwirkend – entsteht.

 

Rz. 531

Das zentrale dogmatische Problem der Vorschrift besteht allerdings darin, ob erbschaftsteuerrechtlich nur das zum Todeszeitpunkt des Erblassers vorhandene Vermögen erfasst wird, oder ob auch der zwischen dem Todestag und dem Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung (früher: Genehmigung der Stiftung) eingetretene Zuwachs des Vermögens, das für die Stiftung bestimmt ist, der Erbschaftsbesteuerung zugrunde zu legen ist. Der BFH[8] hatte sich mit der Frage im Urteil vom 25.10.1995 zu befassen. In dem konkreten Fall hatten die kinderlosen Ehegatten ihr Unternehmen auf eine durch Verfügung von Todes wegen zu errichtende Arbeitnehmerstiftung übertragen, die erst ca. 4 Jahre nach dem Versterben des längstlebenden Ehegatten genehmigt worden war. Ertragsteuerrechtlich verhält es sich so, dass die mit dem Stiftungsvermögen nach dem Tod des Stifters erzielten Erträge regelmäßig Markteinkommen sind, d. h. bei natürlichen Personen der Einkommensteuer (u. U. zuzüglich Gewerbesteuer) und bei Körperschaften der Gewerbe- und Körperschaftsteuer unterliegen.[9] Deshalb waren auch im vorliegenden Fall die bis zum Zeitpunkt der Stiftungsgenehmigung erwirtschafteten Unternehmenserträge mit Gewerbe- und Körperschaftsteuer belastet. Nach Auffassung des II. Senats des BFH soll der nach Abzug dieser Steuerbeträge verbleibende Vermögenszuwachs nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 ErbStG steuerbar sein, weil diese Vorschrift "eine vor die Klammer gezogene rechtstechnische Zusammenfassung aller Fälle des Vermögensübergangs auf eine vom Erblasser angeordnete Stiftung" sei.[10] Gegen eine Doppelbesteuerung desselben Einkommens mit Ertrag- und Erbschaftsteuer bestehen steuersystematisch grundlegende Bedenken, z. T. wird die Doppelbesteuerung auch für verfassungsrechtlich inakzeptabel geha...

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