Rz. 421

Der Pflichtteilsanspruch und der Pflichtteilsrestanspruch sind auf den Nachlass bezogen. Wirtschaftlich können diese Ansprüche dadurch entwertet werden, dass der Erblasser bereits zu Lebzeiten durch Schenkungen an Dritte den Nachlass verteilt. Dem will der Gesetzgeber mit dem sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB entgegenwirken, wonach der Pflichtteilsberechtigte Ergänzung seines Pflichtteils um den Betrag verlangen kann, um den sich sein Pflichtteilsanspruch erhöhen würde, wenn sich der verschenkte Gegenstand noch im Nachlass befände. Ausgeschlossen ist die Ergänzung dann, wenn die Schenkung bereits länger als 10 Jahre vor dem Erbfall zurückliegt. Schenkungen werden sog. unbenannte Zuwendungen an Ehegatten bzw. Lebenspartner gleichgestellt.[1] Hier ist ergänzend zu beachten, dass bei Schenkungen an Ehepartner des Erblassers die 10-Jahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe beginnt.[2] Trotzdem kann die Zuwendung an den Ehegatten sinnvoll sein, weil die gezogenen Nutzungen[3] dem Ehegatten verbleiben.[4] Hier beginnt die Frist erst mit Auflösung der Ehe. Ebenfalls Schenkungen i. S. d. Pflichtteilsergänzungsrechts sind Zuwendungen an juristische Personen, die zur Förderung eines gemeinnützigen Zwecks errichtet worden sind.[5] Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist der Erbe. Soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist[6], kann der Pflichtteilsberechtigte vom Beschenkten nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zur Befriedigung des Ergänzungsanspruchs Herausgabe des Geschenks verlangen.[7]

 

Rz. 422

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist unabhängig von einem konkreten Pflichtteilsanspruch i. S. d. § 2303 Abs. 1 BGB. Die Unabhängigkeit des Ergänzungsanspruchs vom ordentlichen Pflichtteilsanspruch bedeutet nicht nur, dass der Berechtigte nicht durch Verfügung von Todes wegen ausgeschlossen sein muss, sondern auch, dass der Anspruch selbst dann besteht, wenn jener die Erbschaft ausschlägt.[8] Nach § 2326 BGB kann auch ein Erbe unter den Voraussetzungen des § 2325 BGB einen Ergänzungsanspruch entweder gegen die Miterben oder über § 2329 BGB gegen den Beschenkten erlangen.[9]

 

Rz. 423

Erbschaftsteuerrechtlich stellt sich die Frage, ob der Pflichtteilsergänzungsanspruch als selbstständiger Anspruch in die Gruppe der geltend gemachten Pflichtteilsansprüche nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG dogmatisch einbezogen werden kann. Im Kern geht es darum, ob das Gesetz mit dem Begriff "Pflichtteilsanspruch" nur den Anspruch nach § 2317 BGB meint. Im Schrifttum wird von einer Gesetzeslücke ausgegangen, sodass der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht steuerbar wäre.[10]

 

Rz. 424

Angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Fällen den Tatbestand des § 3 ErbStG namentlich auch in Abs. 2 um Ergänzungstatbestände erweitert hat, ist von einer abschließenden Aufzählung auszugehen. Auch im Rahmen des ErbStRG vom 24.12.2008[11] ist § 3 Abs. 2 ErbStG erneut erweitert worden. Daraus ist im Umkehrschluss abzuleiten, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch ebenso wie der dogmatisch eigenständige Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB (Rz. 413) nicht steuerbar ist. Die Rspr. des BFH[12] lässt allerdings erwarten, dass der BFH von einer Steuerbarkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs – und damit erst recht des Zusatzpflichtteils – ausgehen wird, auch wenn die Frage in den zitierten Entscheidungen nicht unmittelbar entscheidungserheblich war. Im Urteil vom 8.10.2003[13] hat der BGH entschieden, dass die Verpflichtung des Erben aus einem gegen ihn gerichteten Pflichtteilsergänzungsanspruch bei diesem als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG geltend gemacht werden könne, und dass sich die Zahlung des Beschenkten nach § 2329 Abs. 2 BGB zur Abwendung des Herausgabeanspruchs nach § 2329 Abs. 1 BGB bei diesem erwerbsmindernd nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG auswirke.

 
Hinweis

Aufgrund der noch nicht erfolgten Klärung durch die Rspr., sollten entsprechende Bescheide angefochten werden.

Fraglich ist, ob dieser Abgeltungsbetrag vom Erwerb abzuziehen oder die Schenkung nachträglich als gemischte Schenkung zu bewerten ist.[14] Da die Rechtsfigur der gemischten Schenkung im Kern überholt ist (§ 7 ErbStG Rz. 330 ff.), ist der Abgeltungsbetrag vom Erwerb abzuziehen.

[4] Geck, in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rz. 208.
[8] BGH v. 21.3.1973, IV ZR 157/71, NJW 1973, 995.
[10] Crezelius, Unternehmenserbrecht, 1998, Rz. 109; Geck, in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rz. 226; a. A. Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 3 Rz. 223.
[11] ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl I 2008, 3018.

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