Rz. 102

Der Erbschein ist ein amtliches Zeugnis, das dem Erben den Nachweis seiner Position als Erbe ermöglicht und das auf seinen Antrag hin vom Nachlassgericht ausgestellt wird.[1] Der Erbschein hat aber keine konstitutive Wirkung, d. h. ein unzutreffender Inhalt des Erbscheins ändert nichts an der Erbrechtslage, sondern ermöglicht es nur einem Nichterben (Erbscheinserben), im Rechtsverkehr als Erbe aufzutreten. Der Erbschein enthält Angaben über das Erbrecht, bei Miterben auch über die Höhe des jeweiligen Erbteils und Angaben über Beschränkungen, denen der Erbe unterliegt. Der Erbschein begründet 2 widerlegbare Vermutungen[2]: Zum einen die Vermutung, dass dem Inhaber des Erbscheins das Erbrecht in der im Erbschein angegebenen Höhe zusteht (Richtigkeitsvermutung) und zum anderen, dass der Inhaber des Erbscheins anderen Beschränkungen als den im Erbschein angegebenen Beschränkungen nicht unterliegt (Vollständigkeitsvermutung).

 

Rz. 103

Wenn das FA den Erbanfall prüft, d. h. wer Erbe ist und bei mehreren Erben, in welchem Umfang jemand Miterbe ist, dann hat es dabei auch die gesetzliche Vermutung des Erbscheins zu beachten, dass ein erteilter Erbschein richtig ist.[3] Die Bindung kann aber nicht weiter reichen als die Vermutungswirkung. Sprechen gewichtige Gründe gegen die Richtigkeit des Erbscheins, ist das FA nicht an die rechtliche Beurteilung des Nachlassgerichts gebunden.[4] Gewichtige Gründe können dabei nicht nur Tatsachen, sondern auch rechtliche Überlegungen sein.[5] Da der Erbschein keine Bindungswirkung entfaltet, ist seine spätere Änderung, Einziehung oder Kraftloserklärung kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Allerdings kommt eine Aufhebung bzw. Änderung des Erbschaftsteuerbescheids im Fall nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 AO in Betracht.[6] Ein Irrtum über die Rechtslage stellt allerdings keine Tatsache dar.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge