Rz. 263

Anerbenrecht ist das in einzelnen Ländern historisch, aber uneinheitlich gewachsene bäuerliche Erbrecht, das einen landwirtschaftlichen Hof nebst Zubehör und Bestandteilen zur Erhaltung der wirtschaftlichen Einheit stets nur einem Erben (dem Anerben) zufallen lassen will.[1] Bei der erbrechtlichen Ausgestaltung der Hofnachfolge ist zwischen der unmittelbar durch Sonderrechtsnachfolge außerhalb des BGB (Höferecht im engeren Sinn) als auch der mittelbar durch ein Übernahmerecht im Rahmen der Erbteilung (Höferecht im weiteren Sinn) zu unterscheiden. Bei Sonderrechtsnachfolge wird der Hof mit dem Erbfall unmittelbar Alleineigentum des Hoferben. Die weichenden Erben haben gegen ihn zum Ausgleich schuldrechtliche Abfindungsansprüche, die regelmäßig zugunsten des Hoferben begrenzt sind. Zu Ländern mit Anerbenrecht gehören Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.[2] Die HöfeO i. d. F. vom 26.7.1976[3] regelt ein landwirtschaftliches Anerbenrecht in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein, die Sonderrechtsnachfolge ergibt sich aus § 4 HöfeO. In anderen Ländern ist eine Sonderrechtsnachfolge z. B. in Art. 9 Abs. 1 des Württembergischen Anerbengesetzes vom 14.2.1930[4] vorgesehen.

 

Rz. 264

Besteht nach Höferecht keine Sondererbfolge, sondern nur ein (schuldrechtliches) Übernahmerecht des Hoferben, wird es überwiegend als Fall einer gesetzlichen Teilungsanordnung, z. T. aber auch als gesetzliches Vorausvermächtnis qualifiziert, weil die Zuwendung des Übernahmerechts unter Berücksichtigung evtl. zu leistender Abfindungen regelmäßig einen Mehrerwerb des Übernahmeberechtigten gegenüber seiner Erbquote zur Folge habe.[5] Dieser zivilrechtlichen Qualifikation und Abgrenzung kommt – jedenfalls nach bisherigem Stand der Rspr. des BFH – erbschaftsteuerrechtlich entscheidende Bedeutung zu. Bei Annahme einer Teilungsanordnung wären das Übernahmerecht des Hoferben und damit verbundene Ausgleichszahlungen an die Miterben unbeachtlich.

 

Rz. 265

In dem zivilrechtlichen Meinungsstreit spiegelt sich das grundsätzliche Problem der "zutreffenden" Bewertung von LuF-Grundvermögen wider. Für Zwecke der ErbSt kann der Mindestwert gem. § 164 BewG einen Veräußerungspreis durchaus unterschreiten, denn er wird durch die Kapitalisierung des nach Region und Nutzungsart festgelegten üblichen Pachtpreises ermittelt, und ebenso wird der Fortführungswert gem. § 165 BewG in vielen Fällen hinter dem Sachwert zurückbleiben. Erst bei der Veräußerung bzw. Aufgabe eines Betriebs oder eines Mitunternehmeranteils an einem solchen Betrieb nach dem Erbfall tritt an die Stelle des Fortführungswerts nach § 166 Abs. 2 BewG der Liquidationswert als Bewertungsmaßstab.[6] Man wird also in diesen Bewertungsvorschriften eine Privilegierung der Landwirtschaft erkennen können, was wiederum verfassungs- und europarechtliche Bedenken aufwirft.[7] Der Vermögensvorteil des Hoferben bestätigt sich erbrechtlich darin, dass das Höferecht mit der Unterscheidung zwischen Abfindungsanspruch und Abfindungsergänzungsanspruch eine vergleichbare Differenzierung wie im Bewertungsrecht vornimmt. Letztlich zeigt sich auch aus der Bewertung eines Landguts im Pflichtteilsrecht nach § 2312 Abs. 1 BGB, dass der Ertragswert einen vom Verkehrswert[8] abweichenden günstigeren Wert darstellt.[9] Zwar sieht der BGH[10] die Begünstigung zulasten der weichenden Erben und der anderen Pflichtteilsberechtigten als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar an, allerdings nur solange, als im Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzeszweck – das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person – auch erreicht wird. Nicht gerechtfertigt ist die Ertragswertberechnung deshalb nach Ansicht des BGH[11] z. B. dann, wenn abzusehen ist, dass der Betrieb binnen kurzem nicht mehr als solcher wird erhalten werden können. Im Ergebnis ist deshalb die Qualifizierung als gesetzliches Vorausvermächtnis vorzuziehen. Das Übernahmerecht ist deshalb erbschaftsteuerrechtlich beachtlich, solange der BFH seine Rspr. zum Sachvermächtnis nicht ausdrücklich aufgegeben hat (Rz. 309).

 

Rz. 266

Aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht ist das Anerbenrecht des Hoferben auch in Form der Sonderrechtsnachfolge nach der Rspr. des BFH[12] unbeachtlich. Der BFH beruft sich darauf, dass nach § 4 S. 1 HöfeO der Hof dem Hoferben als "Teil der Erbschaft" zufalle. Schon daraus werde erkennbar, dass Hof und hoffreies Vermögen zu einem Nachlass gehören. Dabei legt der BFH seiner Sichtweise ausdrücklich zugrunde, dass der Hof nach ganz überwiegender Auffassung gem. § 4 S. 1 HöfeO ohne vorherigen Zwischenerwerb der Erbengemeinschaft im Wege der Sondernachfolge allein dem Hoferben anfällt. Dies bilde jedoch keinen Grund, die Nachlasszugehörigkeit des Hofes zu verneinen. Deshalb stelle sich die Zivil- und Steuerrechtslage so dar, dass alle M...

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