Rz. 50

Verfügungen von Todes wegen können durch Anfechtung ganz oder teilweise vernichtet werden. Die Anfechtung ist jedoch, anders als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden, kein Gestaltungsrecht des Erblassers, um seine Testierfreiheit wieder herzustellen, weil er im Grundsatz letztwillige Verfügungen jederzeit widerrufen kann.[1] Beim Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten erlischt mit dem Tode eines Ehegatten das Recht des anderen Ehegatten zum Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung.[2] Etwas anderes gilt nur, wenn und soweit dem überlebenden Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament vom verstorbenen Ehegatten die Befugnis zur Abänderung oder Aufhebung eingeräumt wurde.[3]

 

Rz. 51

Das Anfechtungsrecht steht nach dem Tode des Erblassers Dritten zu, um letztwillige Verfügungen, die auf Willensmängel des Erblassers beruhen, zu vernichten und nicht gegen sich gelten lassen zu müssen. Von besonderer Bedeutung ist, dass nach § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB jeder Motivirrtum des Erblassers zur Anfechtung seiner Verfügung berechtigt. Dieser Motivirrtum kann sich auf Umstände beziehen, die in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liegen. Allerdings muss der Motivirrtum für die Verfügung ursächlich geworden sein, wobei es bei einer differenzierten Motivlage genügt, wenn der Irrtum für die Erblasserentscheidung mitbestimmend war.[4] Erweiternd stellt § 2079 BGB fest, dass eine letztwillige Verfügung anfechtbar ist, wenn der Erblasser eine im Zeitpunkt des Erbfalls pflichtteilsberechtigte Person übergangen hat, deren Existenz ihm bei Errichtung der Verfügung unbekannt war oder die erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt wurde. Zwar regelt § 2079 BGB einen Sonderfall des Motivirrtums, doch unterscheidet sich die Norm insoweit von § 2078 Abs. 2 BGB, dass in letzterem Fall die Ursächlichkeit des Irrtums für die Verfügung positiv festgestellt werden muss, während das Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten regelmäßig die Anfechtbarkeit der Verfügung begründet. Nach § 2079 S. 2 BGB obliegt es dem Anfechtungsgegner, die Nichtursächlichkeit des Irrtums für die Verfügung zu beweisen.

 

Rz. 52

Die wirksame Anfechtung einer letztwilligen Verfügung hat die Nichtigkeit ex tunc zur Folge.[5] Wurde nur eine von mehreren Verfügungen eines Testaments wirksam angefochten, so richtet sich die Auswirkung der Nichtigkeit dieser Verfügung auf die anderen nach dem Willen des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung. Lässt sich ein solcher hypothetischer Wille nicht ermitteln, geht § 2085 BGB grundsätzlich von einem weiteren Bestand der übrigen Verfügungen aus. Wer die Unwirksamkeit dieser Erblasserbestimmungen geltend macht, trägt dafür die Darlegungs- und Beweislast. An die Stelle eines insgesamt nichtigen Testamentes tritt entweder die gesetzliche Erbfolge oder ggf. ein früheres Testament. Sollte gegenüber dem Anfechtungsgegner bereits ein Steuerbescheid erlassen worden sein, ist dieser nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu berichtigen. Die Testamentsanfechtung ist von der Anfechtung eines Erbschaftserwerbs wegen Erbunwürdigkeit[6] zu unterscheiden, doch gilt hier erbschaftsteuerrechtlich nichts Abweichendes.

 
Praxis-Beispiel

Der Erblasser verfasst im Jahre 2005 ein Testament mit folgendem Wortlaut: "Liebe Ehefrau, da mich mit Dir schon so viele glückliche Ehejahre verbinden, sollst Du meine Alleinerbin sein." Als der Erblasser im Jahre 2009 verstirbt, stellt sich heraus, dass seine Ehefrau bereits seit dem Jahr 2000 ein intimes Verhältnis mit einem Dritten unterhielt, von dem der Erblasser Zeit seines Lebens nie etwas erfahren hatte.[7]

In dem Fall unterlag der Erblasser bei Abfassung seines Testaments zwar keinem aktuellen Motivirrtum, weil er sich offenbar keine Gedanken über ein mögliches außereheliches Verhältnis seiner Frau machte und auch keinen Anlass sah, ein solches Verhalten mitzubedenken. Der Wortlaut des Testaments spricht aber dafür, dass er seine Ehefrau u. a. auch im Hinblick auf "viele glückliche Ehejahre" zu seiner Alleinerbin einsetzte. Deshalb ist nach der Rspr. ein für die Verfügung ursächlich gewordener Motivirrtum zu bejahen.[8] Erbrechtlich hängt der Umfang des Ehegattenerbrechts davon ab, inwieweit Erben 1. oder 2. Ordnung oder aus der 3. Ordnung Großeltern vorhanden sind, die von ihrem Anfechtungsrecht wirksam Gebrauch machen.

 

Rz. 53

Wird von dem Anfechtungsrecht kein Gebrauch gemacht, folgt das Erbschaftsteuerrecht dem Zivilrecht. Vergleichbar zu der Praxis der Erfüllung einer unwirksamen letztwilligen Verfügung kommt es auf eine wirksame Ausübung des Gestaltungsrechts nicht an, wenn die Beteiligten in der Überzeugung, dass die Anfechtung erfolgreich sein würde, bei der Nachlassregulierung von den Rechtswirkungen einer Anfechtung ausgehen und das Recht noch nicht erloschen ist.[9] Wenn das Gestaltungsrecht wegen Ablaufs der Anfechtungsfrist erloschen ist, ist es auch erbschaftsteuerrechtlich unbeachtlich, es sei denn, dem durch die anfechtbare Verf...

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