Rz. 50

Durch § 28 ErbStG sind im Hinblick auf eine verwirklichte Erbschaft- oder Schenkungsteuer die allgemeinen abgaberechtlichen Billigkeitsmaßnahmen in Form einer abweichenden Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen i. S. d. § 163 AO bzw. eines Erlasses i. S. d. § 227 AO nicht ausgeschlossen.[1] Nach § 163 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des Einzelfalls aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig wäre[2]; Gleiches gilt nach § 227 AO für einen vollständigen oder teilweisen Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis.[3] In beiden Fällen liegt ein sachlicher Billigkeitsgrund vor, wenn nach dem Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die zu entscheidende Frage durch eine Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte[4] oder die Einziehung der festgesetzten Steuer den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft.[5] Ein persönlicher Billigkeitsgrund ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Stpfl. vernichten oder gefährden würde.[6]

 

Rz. 51

Da das geltende System der Erbschaft- und Schenkungsteuer als Anfallsteuer nach dem Bereicherungsprinzip ausgestaltet ist und die Besteuerung grds. die gesteigerte Leistungsfähigkeit des Erwerbers infolge eines unentgeltlichen Hinzuerwerbs von Vermögen erfasst[7], sind Fälle einer sachlichen Unbilligkeit in der Praxis eher selten.[8] Keine sachliche Unbilligkeit begründen z. B. eine steuerlich fehlgeschlagene Nachfolgegestaltung[9], eine nicht mehr bestehende Möglichkeit der Berücksichtigung von Steuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten[10], die Versäumung der Einlegung eines Einspruchs gegen einen Erbschaft- oder Schenkungsteuerbescheid[11], eine insolvenzbedingte Veräußerung des begünstigt erworbenen Betriebsvermögens innerhalb der Behaltensfrist des § 13a Abs. 5 ErbStG a. F.[12] und der Ansatz von Steuerbilanzwerten im Rahmen der Bewertung für Zwecke der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung.[13] Eine nach Entstehung der Schenkungsteuer eingetretene Wertminderung eines freigebig zugewendeten Grundstücks rechtfertigt keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen.[14] Gleiches gilt für die Festsetzung von Erbschaftsteuer im Fall des bloßen Erwerbs des Eigentumsanwartschaftsrechts auf ein Familienheim, der nicht der Begünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG unterfällt.[15] Die Anforderungen an eine persönliche Unbilligkeit sind ebenfalls relativ hoch. So spielen z. B. tragische Hintergründe eines Ablebens des Erblassers (plötzlicher Tod, tödliche Krankheit oder Unfall, Mord etc.) im Rahmen der Steuerfestsetzung grds. keine Rolle.[16] Eine persönliche Unbilligkeit kann z. B. bei einem erheblichen Kursverlust vererbter Aktien nach dem Tod des Erblassers in Betracht kommen.

[1] Eisele, in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 28 Rz. 26 ff.; Kien-Hümbert, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 28 Rz. 28.
[7] Einf. Rz. 4, 7; H.-U. Viskorf, in V/S/W, ErbStG, 2023, Einf. Rz. 2.
[8] Kien-Hümbert, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 28 Rz. 28; FG Nürnberg v. 24.1.1991, VI 180/87, EFG 1991, 548, rkr.
[13] BFH v. 17.4.2013, II R 13/11, BFH/NV 2013, 1383 zur Rechtslage vor dem 1.1.2009.
[16] Z. B. BFH v. 23.3.1998, II R 41/96, BStBl II 1998, 396; FG Hessen v. 15.1.2008, 1 K 1549/02, ErbStB 2008, 167, rkr.; FG Düsseldorf v. 5.7.2000, 4 K 5245/96, AO, UVR 2000, 395, rkr.; FG München v. 17.10.1994, 4 K 3202/91, EFG 1995, 170, rkr.; Kien-Hümbert, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 28 Rz. 31.

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