Rz. 36

Der Geschwisterbegriff ist erfüllt, wenn die Begünstigten zumindest ein gemeinsames Elternteil (halbbürtig) haben. Dies gilt für eheliche und nichteheliche Kinder. Auch die Kombinationen leibliches und adoptiertes Kind bzw. adoptiertes Kind und adoptiertes Kind erfüllen trotz fehlender Verwandtschaft untereinander den Geschwisterbegriff.[1]

Bringen jedoch Vater und Mutter jeweils ihre eigenen Kinder in eine neue Ehe ein, ohne dass die Kinder zueinander halb- oder vollbürtig verwandt bzw. auch nicht vom anderen Elternteil adoptiert sind (Stiefgeschwister), kommt der Geschwisterbegriff nach Auffassung der Verwaltung nicht zum Tragen.[2] Hierzu krit.[3], der eine Parallele zu Geschwistern auf Basis einer Adoption zieht, die auch nicht blutsverwandt sind. Der FinVerw dürften aber insoweit die Hände gebunden sein, da sich für sog. "Stiefgeschwister" weder zivilrechtlich noch erbschaftsteuerlich eine entsprechende gesetzlich fundierte Anknüpfung finden lässt. Dies ist im Fall der Adoption nach § 1754 Abs. 1 BGB anders, weil dort ein zivilrechtliches Geschwisterverhältnis neu geschaffen wird.[4] Aufgrund der großen Bedeutung der (neudeutsch) Patchwork-Familien und den hierbei entstehenden persönlichen Bindungen zwischen den Stiefkindern, könnte der Gesetzgeber hier gefordert sein, Abhilfe zu schaffen und allein die Bindung der Eltern in Form einer Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft für den steuerlichen Geschwisterbegriff genügen zu lassen. Der Verweis auf die mögliche Adoption als Gestaltungsinstrument dürfte – aufgrund der jeweils vorhandenen weiteren persönlichen Bindungen zum anderen leiblichen Elternteil – nicht immer zielführend sein.

 

Rz. 37

Zuwendungen unter Geschwistern können ggf. auch als Zuwendungen der Eltern an die Kinder anzusehen sein, sodass Steuerklasse I zur Anwendung kommt. Dies ist entschieden hinsichtlich der Abfindungen für einen Erbverzicht.[5] Der Erbverzicht ist nach dieser Rspr. ein Vertrag zwischen dem (künftigen) Erblasser und dem Verzichtenden.[6] Der Verzicht bewirkt den Wegfall des gesetzlichen Erbrechts dessen, der den Verzicht erklärt, und gibt dem künftigen Erblasser die entsprechende Testier- und Schenkungsfreiheit. Vertragspartner des Erbverzichts sind insoweit nur der künftige Erblasser und der Verzichtende. Nach diesem Verhältnis ist damit auch die Steuerklasse zu bestimmen, wenn auf dieser Basis Leistungen zwischen Geschwistern erfolgen.

 

Rz. 38

Gleiches gilt, wenn künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gem. § 2346 Abs. 2 BGB schließen, wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags an den künftigen Erblasser verzichtet. Auch im Fall des § 2346 Abs. 2 BGB handelt es sich zwingend um einen Vertrag mit dem Erblasser. Die Steuerklasse richtet sich auch hier nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum künftigen Erblasser.

 

Rz. 38a

Schließen künftige gesetzliche Erben einen Erbschaftsvertrag nach § 311b Abs. 5 BGB[7], an dem der potenzielle Erblasser nicht beteiligt ist, und verzichtet einer der Erben auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen Abfindung durch die übrigen Erben, stellt die Abfindung eine freigebige Zuwendung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zwischen den Vertragspartnern dar.

 

Rz. 38b

Nach nunmehr geänderter Rspr. des BFH[8] richtet sich die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe – noch zu Lebzeiten des Erblassers – an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse. Vorerwerbe vom künftigen Erblasser sind nicht zu berücksichtigen. Vorerwerbe vom für den Verzicht Zahlenden sind nach §14 ErbStG ebenfalls nach diesem Verhältnis zu erfassen.[9]

Bisher war der BFH davon ausgegangen, dass in derartigen Fällen für die Besteuerung der Abfindungen nicht das Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum Zahlenden, sondern dasjenige zum künftigen Erblasser maßgebend sei. Dem lag das Ziel zugrunde, den gegen Abfindung vereinbarten Pflichtteilsverzicht sowohl vor als auch nach dem Eintritt des Erbfalls im Ergebnis gleichzubehandeln. Diese Rspr. war grundsätzlich auch seitens der Verwaltung akzeptiert worden.[10] Dieses Gleichbehandlungsziel kann aber insbesondere dann nicht erreicht werden, wenn der Pflichtteilsverzicht gegenüber mehreren Personen erklärt wird und/oder Vorschenkungen des (künftigen) Erblassers an den Verzichtenden vorliegen. Hier bestand vielmehr erhebliches Gestaltungspotenzial.

Bei einem vor Eintritt des Erbfalls vereinbarten Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung sind daher nach neuer Rspr. die erbschaftsteuerrechtlichen Vorschriften anwendbar, die im Verhältnis des Zahlungsempfängers zu dem Zahlenden, d. h. im Verhältnis des Abfindungsempfängers zum Abfindenden gelten. Zwischen diesen besteht das steuerliche Zuwendungsverhältnis mit allen Konsequenzen hinsichtlich Freibetrag, Steuersatz ...

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