Rz. 57

Nach § 25 Abs. 1 S. 1 ErbStG a. F. wurde der Erwerb von Vermögen, dessen Nutzungen dem Schenker oder dem Ehegatten des Schenkers oder Erblassers zustehen, ohne Berücksichtigung dieser Belastungen besteuert. Die Belastung wurde in der Weise berücksichtigt, dass der Teil der Steuer, der auf den Kapitalwert der Belastung entfällt, zinslos gestundet war. Das Abzugsverbot nach § 25 Abs. 1 ErbStG a. F. war nur im Rahmen der Ermittlung der steuerrechtlichen Bereicherung nach § 10 ErbStG a. F. bei dem Erwerb zu berücksichtigen, der mit einer Nutzungs- oder Rentenlast belastet war.[1]

 

Rz. 57a

Ist ein Erwerb nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG mit einem früheren Erwerb zusammenzurechnen, der mit einer nach § 25 Abs. 1 S. 1 ErbStG a. F. nicht abziehbaren Belastung beschwert ist, ist nach Ansicht des BFH der Vorerwerb mit dem Bruttowert, d. h. ohne Berücksichtigung der Belastung, anzusetzen.[2]

 
Praxis-Beispiel

Der Vater V wendete 2004 seinem Sohn S ein Grundstück zu und behielt sich den Nießbrauch vor. Der Grundbesitzwert des Grundstücks beträgt 1.200.000 EUR (Verkehrswert 1.800.000 EUR). V ist 65 Jahre alt. Der jährliche Mietertrag des Grundstücks (§ 15 III BewG) beträgt 64.500 EUR. Es findet die Steuerklasse I Anwendung.

Der nach dem Alter des Vaters bemessene Vervielfältiger beträgt 9,019[3]. Daraus ergibt sich ein Kapitalwert des Nießbrauchs von (64.500 EUR × 9,019 =) 581.725 EUR.

(a) Steuerpflichtiger Erwerb des S 2004:

 
Steuerwert des Grundstücks 2004 1.200.000 EUR
abzüglich Freibetrag § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG a. F.: ./. 205.000 EUR
Bemessungsgrundlage (für Schenkungsteuer) 995.000 EUR
Schenkungsteuer StKl. I (19 % von 995.000 EUR =) 189.050 EUR

(b) Berechnung der gem. § 25 I ErbStG zu stundenden Steuer

 
Grundbesitzwert des Grundstücks 1.200.000 EUR
abzügl. Kapitalwert des Nießbrauchs ./. 581.725 EUR
abzügl. persönlicher Freibetrag ./. 205.000 EUR
Erwerb (unter Berücksichtigung der Belastung) 413.275 EUR
Bemessungsgrundlage (abgerundet): 413.200 EUR
von S sofort zu zahlende Steuer (15 % von 413.200 EUR) 61.980 EUR

zinslos zu stundende Steuer 2004 (gem. § 25 I ErbStG):

 
189.050 EUR ./. 61.980 EUR = 127.070 EUR

S bezahlt bei sofortiger Ablösung in 2004:

 
127.070 EUR × 0,423[4]= 53.750 EUR

Insgesamt bezahlt S also im Falle der sofortigen Ablösung der gestundeten Schenkungsteuer in 2004 (61.980 EUR + 53.750 EUR =) 115.730 EUR.

 

Abwandlung des Beispiels:

In 2009 verzichtet V, nun 70 Jahre alt, gegenüber S auf die Ausübung des Nießbrauchsrechts unentgeltlich. Der Jahreswert des Nießbrauchsrechts beträgt weiterhin 64.500 EUR. Obwohl der Grundbesitzwert auf 1.900.000 EUR gestiegen ist, geht die Begrenzung des § 16 BewG[5] in diesem Fall ins Leere, weil der tatsächliche Jahreswert der Nutzung niedriger ist.

Der Vervielfältiger beträgt nun 9,555[6]. Daraus ergibt sich ein Kapitalwert des Nießbrauchsrechts zur Zeit des Verzichts von (64.500 EUR × 9,555 =) 616.297 EUR.

Erwerb 2009:

 
Kapitalwert des Nießbrauchs 2009 616.297 EUR
Kapitalwert des Nießbrauchs 2004 - 581.725 EUR
Bereicherung durch den Verzicht im Jahr 2009: 34.572 EUR

Es zeigt sich, dass die seit 1.1.2009 anzuwendenden, auf der aktuellen Sterbetafel basierenden Vervielfältiger zu einem höheren Kapitalwert des Nießbrauchsrechts führen, obwohl der Verzichtende älter geworden ist, der Jahreswert vorgabegemäß konstant blieb und es nach bisheriger Rechtslage in dieser Konstellation infolge des Sinkens des Vervielfältigers zu keiner steuerpflichtigen Bereicherung gekommen wäre.

Für S ergibt sich infolge des Verzichts folgende Steuerbelastung in 2009:

 
Erwerb aufgrund Nießbrauchsverzicht 2009 34.572 EUR
Vorerwerb (Steuerwert des Grundstücks 2004[7]) 1.200.000 EUR
Gesamterwerb 1.234.572 EUR
persönlicher Freibetrag, § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG n. F. - 400.000 EUR
steuerpflichtiger Gesamterwerb 834.572 EUR
abgerundet 834.500 EUR
Steuer auf den Gesamterwerb (19 %) 158.555 EUR

Fraglich war, ob S die tatsächlich in 2004 entrichtete Steuer von 115.730 EUR (Sofortsteuer zuzüglich Ablösungsbetrag) oder die festgesetzte Steuer von 189.050 EUR abziehen kann. Die FinVerw. hat ihre bisherige Ansicht[8] aufgegeben und ist im Erlass vom 3.6.2010[9] der Ansicht des BFH[10] gefolgt, wonach die festgesetzte (höhere) Steuer abzuziehen ist.

 
Steuer auf den Gesamterwerb (19 %) 158.555 EUR
abzuziehende Steuer auf Vorerwerb: - 189.050 EUR
festzusetzende Schenkungsteuer 2009: 0 EUR[11]

S hat nach der Rspr. des BFH trotz des Nießbrauchsverzichts in 2009 keine Schenkungsteuer zu bezahlen. Nach der früheren, abzulehnenden Verwaltungsauffassung käme es infolge des Verzichts zu einer Nachzahlung von (158.555 EUR – 115.730 EUR =) 42.825 EUR.

 

Rz. 58

Durch den Wegfall von § 25 ErbStG mit Wirkung ab dem 1.1.2009 findet auf die Belastung "nur noch" § 10 Abs. 6 ErbStG Anwendung, sodass ein Abzug der Nießbrauchslast mit dem unter Beachtung von § 16 BewG ermittelten Kapitalwert möglich ist. Damit ist auch die Relevanz der bislang diskutierten Fallvarianten[12] entfallen. Der mit einem Nießbrauch oder einer sonstigen Nutz...

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