Rz. 275

In der Rspr. des BFH wurde von jeher angenommen, dass eine Ableitung des gemeinen Werts nur aus solchen Verkäufen möglich ist, die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen sind.[1] Dies schließt insbesondere die Berücksichtigung solcher Verkäufe aus, deren Bedingungen durch persönliche Verhältnisse beeinflusst waren.[2] Eine solche Beeinflussung liegt bei Geschäften unter (nahen) Angehörigen häufig, aber nicht zwangsläufig vor.

Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz wurde die Ableitung des gemeinen Werts jedoch ausdrücklich auf Verkäufe beschränkt, die "unter fremden Dritten" erfolgen. Eine gesetzliche Definition des Begriffs findet sich weder im BewG noch an anderer Stelle. Auch die ErbStR 2019 enthalten sich jeder Stellungnahme dazu, wer als "fremder Dritter" anzusehen ist.

Terminologisch knüpft der Begriff des "fremden Dritten" an den im Rahmen des ertragsteuerlichen Fremdvergleichs maßgebenden Vergleichsmaßstab für die Anerkennung von Verträgen unter (nahen) Angehörigen an.[3] Die Rspr. zum ertragsteuerlichen Fremdvergleich beruht auf der Überlegung, dass es unter nahen Angehörigen an einem natürlichen Interessengegensatz wie zwischen Fremden fehlt und die Ausgestaltung der zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehungen daher durch Gesichtspunkte privater Art, wie solche der familien- und erbrechtlich begründeten Versorgung, Abfindung und Auseinandersetzung, beeinflusst sein kann. Der Begriff des Angehörigen im Rahmen des ertragsteuerlichen Fremdvergleichs kann dabei nicht ohne Weiteres mit dem des Angehörigen i. S. d. § 15 AO gleichgesetzt werden.[4] Vielmehr sind Gegenstand des ertragsteuerlichen Fremdvergleichs in erster Linie Rechtsbeziehungen zwischen Ehegatten und solche zwischen Eltern und Kindern, bei denen gleich gerichtete wirtschaftliche Interessen besonders nahe liegend erscheinen.

 

Rz. 276

Auch bei Anwendung des § 11 Abs. 2 S. 2 BewG können nicht alle Angehörigen i. S. d. § 15 AO aus dem Begriff der "fremden Dritten" ausgeschlossen werden. Anderenfalls wäre die Ableitung des gemeinen Werts aus stichtagsnahen Verkäufen bei Familiengesellschaften generell ausgeschlossen, obwohl insbesondere bei weit verzweigten Verwandtschaftsbeziehungen und einer Vielzahl von Gesellschaftern, die verschiedenen Familienstämmen angehören, Kaufpreisvereinbarungen durchaus auf dem Ausgleich widerstreitender Interessen beruhen und damit als Grundlage für die Ermittlung des gemeinen Werts dienen können.[5]

Andererseits kann die Auslegung des Merkmals "unter fremden Dritten" auch nicht vom Ergebnis einer auf den Einzelfall bezogenen Analyse der Interessenlage abhängig gemacht werden. Denn mit der Aufnahme dieses zusätzlichen Merkmals wollte der Gesetzgeber die Prüfung, ob ein Verkauf durch persönliche Umstände beeinflusst und daher nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist, für einen bestimmten Kreis von Nähebeziehungen in typisierender Form überflüssig machen. Die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung ist jedenfalls dann zu unterstellen, wenn nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der eine Beteiligte als gesetzlicher Erbe des anderen in Betracht kommt. In diesem Fall besteht die nahe liegende Möglichkeit, dass die Vertragsbedingungen durch den ohnehin zu erwartenden Vermögensübergang im Rahmen der bevorstehenden Erbfolge beeinflusst sind. Ist dies nicht der Fall, sind auch Verkäufe unter Angehörigen als solche unter fremden Dritten anzusehen.[6] Die Prüfung, ob die Verkaufsbedingungen im Einzelfall durch persönliche Umstände beeinflusst wurden, wird hierdurch weder ausgeschlossen noch überflüssig gemacht.

 
Praxis-Beispiel

Der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 75 Jahre alte, kinderlose A verkauft seinen GmbH-Anteil an den Sohn S seiner Schwester B. Ist diese im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits verstorben, wäre S – möglicherweise neben anderen – zum gesetzlichen Erben des A berufen[7], sodass der zwischen ihm und A zustande gekommene Verkauf kein solcher unter fremden Dritten wäre. Lebt B bei Abschluss des Kaufvertrags noch, schließt sie S als gesetzlichen Erben aus.[8] Der zwischen A und S abgeschlossene Kaufvertrag wäre daher ein solcher unter fremden Dritten; es wäre jedoch zu prüfen, ob die Vertragsbedingungen durch die Verwandtschaftsbeziehungen beeinflusst und daher nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen sind.

Verkäufe, die im Gesellschafterkreis zwischen familienfremden Personen stattfinden, sind grundsätzlich als Verkäufe unter fremden Dritten anzusehen.[9] Der Umstand, dass R B 11.2 Abs. 1 S. 4 ErbStR 2019 ausdrücklich nur den Fall der Kapitalerhöhung mit einem "neuen Gesellschafter" erwähnt, lässt nicht auf eine gegenteilige Verwaltungsauffassung schließen, weil das Beispiel allein der Erläuterung des Verkaufsbegriffs[10] dient.

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