Rz. 271

§ 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG soll verhindern, dass Nutzungsrechte an einem Grundstück, die bereits bei der Bewertung des Grundstücks berücksichtigt wurden[1], zusätzlich als Nachlassverbindlichkeit oder Duldungslast abgezogen werden können.[2] Bei einem rechtsfehlerhaften Abzug von Nutzungsrechten im Wertermittlungsverfahren wird der Fehler durch korrespondierende Sachbehandlung im Steuerfestsetzungsverfahren kompensiert.[3]

 

Rz. 272

§ 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG bezieht sich nur auf den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gem. § 198 BewG. Bei der Bewertung des Grundvermögens nach § 179 und §§ 182197 BewG bleiben dagegen die Nutzungsrechte unberücksichtigt.[4] Als Nachweis ist regelmäßig ein Gutachten des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erforderlich.[5] Für diese Gutachten gelten grundsätzlich die aufgrund von § 199 Abs. 1 BauGB ergangenen Vorschriften und damit die Immobilienwertermittlungsverordnung vom 19.5.2010[6]; danach sind auf dem Objekt lastende Nutzungsrechte bei der Ermittlung des Werts zu berücksichtigen. Auch beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts i. S. d. § 198 BewG über den Kaufpreis haben sich auf einem Objekt lastende Nutzungsrechte grundsätzlich bereits auf den Kaufpreis ausgewirkt und können sie bei der Erbschaftsteuer nicht ein weiteres Mal abgezogen werden. Hierdurch wird eine Doppelberücksichtigung vermieden.[7]

 

Rz. 273

Beim Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts für Betriebswohnungen und den Wohnteil eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft nach § 167 Abs. 4 BewG gilt Entsprechendes.

 

Rz. 274

§ 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG richtet sich gegen die zu § 146 BewG vertretene Auffassung des BFH, ein vom Stpfl. zum Nachweis eines geringeren gemeinen Werts vorgelegtes Sachverständigengutachten oder ein nachgewiesener tatsächlicher Kaufpreis könne nur dann zur Feststellung eines niedrigeren gemeinen Werts führen, wenn Gutachten oder Kaufpreis Grundstückswerte ergeben, die mit den Steuerwerten vergleichbar seien, insbesondere die gleichen preis- bzw. wertbildenden Faktoren berücksichtigt werden.[8] Der Gesetzgeber hat dieser Rspr. mit der Neufassung des § 10 Abs. 6 S. 6 ErbStG – heute § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG – durch das ErbStRG[9] die Grundlage entzogen.

 

Rz. 275

 
Praxis-Beispiel

A überträgt B ein Grundstück, das mit einer Duldungsauflage belastet ist (lebenslanges Wohnrecht zugunsten der Schwester des A), deren Steuerwert (Kapitalwert) 96.000 EUR beträgt. Für das Grundstück ist ein Grundbesitzwert von 500.000 EUR festgestellt worden, der dem gutachterlich nachgewiesenen, unter Berücksichtigung der Duldungsauflage ermittelten Verkehrswert entspricht. Steuerlich ist die Bereicherung des B ohne zusätzlichen Abzug des Kapitalwerts des Wohnrechts vom Grundbesitzwert des Grundstücks mit 500.000 EUR zu erfassen.

 

Rz. 276–279

einstweilen frei

[2] BR-Drs. 4/08, 50.
[3] FG München v. 16.6.2021, 3 K 347/19, DStRE 2022, 1116.
[4] R E 10.10 Abs. 6 S. 2 ErbStR 2019.
[6] BGBl I 2010, 639, geändert durch Art. 16 GrStRefG v. 26.11.2019, BGBl I 2019, 1794.
[7] R E 10.10 Abs. 6 S. 3 ErbStR 2019.
[8] BFH v. 8.10.2003, II R 27/02, BStBl II 2004, 179; BFH v. 11.6.2008, II R 71/15, BStBl II 2009, 132.
[9] ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl I 2008 S. 3018; vor der Änderung des § 10 Abs. 6 ErbStG durch Art. 34 JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl I 2020, 3096, fand sich die heutige Regelung des § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG in § 10 Abs. 6 S. 6 ErbStG.

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