Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Erlass wegen § 6 ErbStG - Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO i. S. Erbschaftsteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Erbschaftsteuerrecht besteuert die tatsächlich gewählte zivilrechtliche Gestaltung und zwar ohne Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, insbesondere eines wirtschaftlichen Eigentums. Es kommt nicht darauf an, ob von den Beteiligten eine günstigere Gestaltung hätte gewählt werden können. Der Umstand, dass die gewählte Gestaltung zu einer vermeidbaren erheblichen Steuerbelastung geführt hat, führt nicht zu einer Unbilligkeit i. S. der §§ 163 und 227 AO.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 163, 227; ErbStG § 6

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob eine Vorerbin aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO so zu besteuern ist, als wäre sie nur Nießbrauchsvermächtnisnehmerin geworden mit der Folge, daß die Klägerinnen (Kl) statt als Nacherben sofort als Erben zu besteuern wären.

Am 9. Dezember 1992 verstarb der Erblasser. Mit notariellem Testament vom 6. Juli 1987 setzte er seine Ehefrau, Frau, nachverstorben am 13. August 1993, zur alleinigen nicht befreiten Vorerbin ein. Diese nahm die Erbschaft an. Zu Nacherben bestimmte der Erblasser die Kl (Frau A 6/10, Frau B und Frau C je 2/10). Der Erblasser ordnete Testamentsvollstreckung an, dauernd bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Eintritt der Nacherbfolge (= Tod der Vorerbin). In der vom Testamentsvollstrecker (TV) abgegebenen Erbschaftsteuererklärung vom 20. Oktober 1994 verwies dieser bei den „Angaben über die Erben” darauf, daß die Ehefrau „im Testament als Vorerbe” und die Kl „im Testament als Nacherbe bezeichnet” seien.

Die Erträge aus dem Nachlaß sind nach Bestimmung des Erblassers, soweit sie nicht von der Vorerbin zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch genommen werden, nach Abzug der jährlichen Entschädigung an den TV und nach Erfüllung der Vermächtnisansprüche jeweils an die Nacherben entsprechend ihrer Erbanteile jährlich zum Jahresende auszuzahlen. Der TV sollte mindestens jährlich eine Bilanz des Nachlasses erstellen und sie der Vorerbin vorlegen. Den Nacherben hatte der TV erst bei Auflösung des Nachlasses eine Aufstellung über den Nachlaß einschließlich der erwirtschafteten Erträge vorzulegen. Die Auflösung des Nachlasses sollte frühestens nach Ablauf von zehn Jahren, vom Tode der Vorerbin an gerechnet, erfolgen.

Der Beklagte (Finanzamt = FA) ging, entsprechend dem Testament, im Erbfall des Erblassers davon aus, daß Frau Y Vorerbin geworden sei. Im Erbschaftsteuerbescheid vom 2. Dezember 1994 (Bl. 67 FA-Akte) rechnete es seinen Nachlaß daher in vollem Umfang der Vorerbin zu und setzte die Erbschaftsteuer auf 291.888 DM fest. Die Bekanntgabe erfolgte gemäß § 32 Abs. 1 ErbStG an den TV mit Wirkung für die unbekannten Erben nach Frau Y diese vertreten durch Herrn ... als Nachlaßpfleger. Deren Erben stehen nunmehr fest (s. Erbschein des Amtsgerichts vom 20. März 1996, Bl. 171 FA-Akte, u. a. Frau A zu 18/96). Gegen diesen Bescheid legten die Kl Einspruch ein mit der Begründung, daß Frau Y nicht als Vorerbin anzusehen sei. Zusätzlich beantragten sie, die Erbschaftsteuer für den Erwerb der Y aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO auf 0 DM festzusetzen.

Mit Schreiben vom 16. Februar 1995 (Bl. 98 FA-Akte) lehnte das FA den Antrag, die Steuer aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO auf 0 DM festzusetzen, ab. Die Besteuerung der Vorerbin entspreche den Wertungen des Gesetzgebers. Hiergegen erhoben die Kl (inzwischen als Einspruch zu behandelnde) Beschwerde.

Zur Begründung führten sie aus, daß bei der Vorerbin keine Bereicherung eingetreten sei, weil sie aufgrund der Testamentsvollstreckung weder über Substanz noch über den Ertrag des Nachlasses habe verfügen können. Sie habe lediglich ein Recht auf Lebensunterhalt erworben. Die Gleichstellung dieses Rechts mit dem Erwerb eines Vollerben verstoße gegen fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien. Zudem verstoße schon die in § 6 Abs. 1 ErbStG angeordnete Gleichstellung des Vorerben mit einem Vollerben gegen Art. 3 GG und widerspreche der zivilrechtlichen Regelung.

Mit Schriftsatz vom 14. Mai 1996 erhoben die Kl sog. Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO, mit der sie sinngemäß beantragen, das FA unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 16. Februar 1995 zu verpflichten, die mit Bescheid vom 2. Dezember 1994 festgesetzte Erbschaftsteuer gemäß § 163 AO auf 0 DM festzusetzen.

Zur Begründung tragen sie vor, auch die Kl zu 2 und 3 seien als Nacherben durch den Steuerbescheid vom 2 Dezember 1994 sowohl mittelbar als auch unmittelbar beschwert. Sie sind weiterhin der Auffassung, die Besteuerung der Vorerbin sei unbillig, weil diese durch den Erbfall weder eine Bereicherung noch einen Zuwachs aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfahren haben:

Das Testament müsse trotz der Wortwahl des Erblassers dahingehend ausgelegt werden, daß er der Vorerbin lediglich den Lebensunterhalt zuwenden wollte. Diese habe die Erbschaft angenommen, ohne sich über die Folgen klar gewesen zu sein. Die Vor...

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