Leitsatz (amtlich)

Wird eine per Telekopie übermittelte Berufungsbegründung infolge eines Papierstaus im gerichtlichen Empfangsgerät ohne die von dem Prozessbevollmächtigten unterschriebene Seite empfangen, so ist dadurch die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt. In diesem Fall ist der betroffenen Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

 

Normenkette

ZPO §§ 520, 234 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 05.01.2004; Aktenzeichen 15 U 211/03)

LG Kassel

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 5.1.2004 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 65.445,36 EUR.

 

Gründe

I.

Das LG hat mit Urteil v. 16.7.2003, zugestellt am 21.8.2003, die Vollstreckungsgegenklage der Kläger abgewiesen. Nachdem die Kläger hiergegen rechtzeitig Berufung eingelegt hatten, ging eine unvollständige Telekopie der Berufungsbegründung am Nachmittag des 21.10.2003 beim OLG ein; es fehlten die letzten Seiten mit der Unterschrift ihres zweitinstanzlichen Anwalts. Am Morgen des 22.10.2003 wurde der Schriftsatz - erneut ohne Wiedergabe seiner Unterschrift - nach Behebung eines Papierstaus am Empfangsgerät des OLG ausgedruckt. In einem unmittelbar danach geführten Telefongespräch wies der Geschäftsstellenleiter des OLG eine Angestellte des Prozessbevollmächtigten auf die Unvollständigkeit des eingegangenen Schriftsatzes hin. Noch am selben Tage gingen die fehlenden Seiten mit der Unterschrift per Telefax und das Original der Berufungsbegründung beim OLG ein. Erst mit anwaltlichem Schriftsatz v. 7.11.2003 haben die Kläger gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag der Kläger zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des § 520 ZPO sei am 21.10.2003 abgelaufen. Bei Telefaxübertragungen sei für die Frage der Fristwahrung auf den binnen der Frist ausgedruckten Teil des Schriftsatzes abzustellen. Eine vollständige Berufungsbegründung, wozu insb. die Wiedergabe einer Unterschrift des Prozessbevollmächtigten gehöre, sei bei Gericht jedoch erst am 22.10.2003 eingegangen.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne einen Antrag gem. § 236 Abs. 2 ZPO komme nicht in Betracht. Die Rechtsprechung habe auf diese Vorschrift zurückgegriffen, wenn ein Schriftsatz im Telefaxgerät des Gerichts vollständig gespeichert und dem Übersender die Übermittlung als erfolgt angezeigt, der Schriftsatz aber erst nach Fristablauf ausgedruckt worden sei. Im vorliegenden Fall seien die letzten Seiten der Berufungsbegründungsschrift einschließlich der Unterschrift des Anwalts indes nicht bereits am 21.10.2003 im Telefaxgerät des Berufungsgerichts gespeichert gewesen.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Kläger v. 7.11.2003 sei verspätet, da die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO nicht gewahrt worden sei. Diese habe bereits am 22.10.2003 begonnen. Nach dem Inhalt des von dem Geschäftsstellenleiter des OLG am Morgen dieses Tages mit einer Angestellten des Anwalts geführten Telefonats habe er nämlich bei Beachtung der notwendigen Sorgfalt erkennen müssen, dass die angeblich bereits am 17.10.2003 "postalisch auf den Weg" gebrachte Berufungsbegründung noch nicht und die Telekopie nur unvollständig bei Gericht eingegangen sei.

Nachdem die Kläger gegen den Beschluss des OLG Rechtsbeschwerde erhoben hatten, wurde das Rechtsmittelverfahren des Klägers wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gem. § 240 ZPO unterbrochen.

II.

Die gem. § 238 Abs. 2 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

1. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob eine Unterschrift des Prozessbevollmächtigten bei einer per Telefax übermittelten Berufungsbegründung zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung, sondern ist geklärt. Bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess müssen nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO), da mit der Unterschrift der Nachweis geführt wird, dass der Berufungs- oder Revisionsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernimmt (BGHZ 37, 156 [157]; BGH v. 20.3.1986 - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251 [253] = MDR 1986, 667; v. 8.2.2001 - VII ZR 477/00, BGHZ 146, 372 [373] = MDR 2001, 766 = BGHReport 2001, 482; Urt. v. 31.3.2003 - II ZR 192/02, MDR 2003, 896 = BGHReport 2003, 827 = NJW 2003, 2028; Beschl. v. 15.6.2004 - VI ZB 9/04, BGHReport 2004, 1447 = MDR 2004, 1252 = NJW-RR 2004, 1364). Dass in der Literatur vereinzelt (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 130 Rz. 21, 22 m.w.N.) das Unterschriftserfordernis nicht oder nicht mehr als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung bestimmender Schriftsätze angesehen wird, verschafft der Rechtssache entgegen der Auffassung der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung, zumal unlängst der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in seinem Beschluss v. 5.4.2000 (BGH v. 5.4.2000 - GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160 [164]) den gegenteiligen Standpunkt vertreten hat.

2. Das Berufungsgericht hat entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.

Wird der Inhalt einer Berufungsbegründungsschrift mittels Telefax vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät des Prozessbevollmächtigten zum Empfangsgerät des Rechtsmittelgerichts übermittelt, dort aber infolge technischer Störungen (etwa eines Papierstaus) nicht vollständig und fehlerfrei ausgedruckt, so ist allerdings von einem im Zeitpunkt der Telefaxübermittlung erfolgten Eingang des Schriftsatzes auszugehen, wenn der Gesamtinhalt des Schriftsatzes auf andere Weise einwandfrei zu ermitteln ist (BGH, Beschl. v. 19.4.1994 - VI ZB 3/94, MDR 1995, 310 = CR 1994, 674 = NJW 1994, 1881 f.; Urt. v. 14.3.2001 - XII ZR 51/99, MDR 2001, 828 = BGHReport 2001, 664 = NJW 2001, 1581 [1582]). Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass im Hinblick auf den aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung Risiken und Unsicherheiten, deren Ursache in der Sphäre des Gerichts liegen, bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze nicht auf den rechtsuchenden Bürger abgewälzt werden dürfen (BVerfG v. 14.5.1985 - 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381 [386 f.] = MDR 1985, 816 = CR 1986, 491; v. 21.6.2001 - 1 BvR 436/01, NJW 2001, 3473). Dass im vorliegenden Streitfall am Tag des Fristablaufs mehr elektronische Daten von dem Empfangsgerät des OLG empfangen worden sind als dem Ausdruck entspricht und der Papierstau im Empfangsgericht nicht zum Abbruch der Verbindung während der Übermittlung geführt hat (zu dieser Fallgestaltung BGH, Urt. v. 2.10.1991 - IV ZR 68/91, MDR 1991, 1193 = CR 1992, 87 = NJW 1992, 244), ist den Angaben der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin (BGH, Urt. v. 14.3.2001 - XII ZR 51/99, MDR 2001, 828 = BGHReport 2001, 664 = NJW 2001, 1581 [1582] m.w.N.) nicht zu entnehmen. In einem solchen Falle ist die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt, sondern dem Betroffenen ist - wie auch das OLG im Ergebnis angenommen hat - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn diese innerhalb einer Frist von zwei Wochen beantragt wird (§ 234 Abs. 1 ZPO).

3. Bei der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags der Klägerin als verspätet handelt es sich um eine der Verallgemeinerung nicht zugängliche Einzelfallentscheidung. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Antrag v. 7.11.2003 sei nicht fristgemäß gestellt worden, überspannt unter den vorliegenden Umständen auch nicht die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten, so dass der Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verletzt ist.

a) Nach langjähriger Rechtsprechung des BGH beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO schon dann zu laufen, wenn das Weiterbestehen des der Wahrung der versäumten Frist entgegenstehenden Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Das ist der Fall, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt die Versäumung hätte erkennen können (BGH, Urt. v. 15.3.1977 - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643 [644]; Beschl. v. 15.1.2001 - II ZB 1/00, MDR 2001, 587 = BGHReport 2001, 436 = NJW 2001, 1430 [1431]; v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, BGHReport 2002, 568 = MDR 2002, 841 = NJW-RR 2002, 860; v. 16.9.2003 - X ZR 37/03, BGHReport 2004, 57 [58] = MDR 2004, 349; Beschl. v. 13.7.2004 - XI ZB 33/03, BGHReport 2004, 1641 = MDR 2004, 1436; v. 14.9.2004 - XI ZB 21/03, Umdr. S. 3). Ein solcher Anlass bestand für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 22.10.2003, nicht - wie sie meint - erst mit der am 24.10.2003 erlangten Kenntnis vom verspäteten Eingang des Originals der Berufungsbegründungsschrift bei Gericht. Da dessen Geschäftsstellenleiter am Morgen des 22.10.2003 eine Angestellte des Anwalts auf die Unvollständigkeit des Ausdrucks des am Vortag per Telekopie übermittelten Schriftsatzes ausdrücklich hingewiesen hatte, musste diesem ohne weiteres klar sein, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten worden war. Die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO begann daher an diesem Tage und endete am 5.11.2003.

b) Soweit die Klägerin sich mit ihrer Rechtsbeschwerde darauf beruft, dass die Übermittlung der Berufungsbegründung per Telekopie nur vorsorglich erfolgt sei, weil das am 17.10.2003 zusammen mit der Berufungsbegründung auf die Post gegebene Empfangsbekenntnis am 21.10.2003 noch nicht wieder im Büro ihres Anwalts eingetroffen sei, führt auch das nicht zu einem Erfolg der Rechtsbeschwerde. Wie das OLG zutreffend ausführt, versteht es sich geradezu von selbst, dass ein pflichtbewusster Anwalt, der wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zweifelte, ob das Original der Berufungsbegründung rechtzeitig beim OLG eingehen werde, nicht auf einen fristgerechten Eingang des angeblich rechtzeitig abgesandten Schriftsatzes vertraut, sondern für seinen Mandanten den sichersten Weg wählt. Jedenfalls war nach dem Anruf des Geschäftsstellenleiters des OLG jeder vernünftige Zweifel, ob die Berufungsbegründungsfrist eingehalten worden war, beseitigt.

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das OLG auch nicht verkannt, dass es nach § 234 Abs. 2 ZPO auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Behebung des Hindernisses durch die Partei selbst oder ihren Anwalt ankommt (BGH, Urt. v. 15.3.2000 - VIII ZR 217/99, NJW-RR 2000, 1591 m.w.N.). Die Klägerin hat in der Vorinstanz nicht einmal ansatzweise vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter sei von seiner Angestellten nicht zeitnah über den wesentlichen Inhalt des Telefonats v. 22.10.2003 informiert worden. Neues Tatsachenvorbringen ist im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht zulässig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1288749

HFR 2005, 365

NWB 2005, 1100

BGHR 2005, 459

EBE/BGH 2005, 19

FamRZ 2005, 434

NJW-RR 2005, 435

CR 2005, 273

MDR 2005, 526

VuR 2005, 79

ITRB 2005, 158

K&R 2005, 80

RENOpraxis 2005, 60

Mitt. 2005, 137

ProzRB 2005, 149

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