Leitsatz (amtlich)

1. Erhöhungen der Pension der Witwe eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft, die auf einer nach dem Eintritt des Versorgungsfalls vereinbarten Wertsicherungsklausel mit Koppelung an die Entwicklung von Beamtenbezügen beruhen, sind verdeckte Gewinnausschüttungen, soweit sie nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Anerkennung von Pensionsanpassungen an erheblich gestiegene Lebenshaltungskosten gerechtfertigt sind (Anschluß an BFH-Urteile vom 22. März 1972 I R 117/70, BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501, und vom 6. April 1979 I R 39/76, BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687).

2. Auf die Voraussetzung, daß auch die Pensionsbezüge und -zusagen zugunsten der anderen Angestellten und der Arbeiter des Betriebs entsprechend erhöht sein müssen (BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501), kommt es nur dann nicht an, wenn die Kapitalgesellschaft mit der Erhöhung der Pensionsbezüge im Einzelfall eine sich aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ergebende Verpflichtung zur Anpassung erfüllt.

2. Der Senat hält nicht mehr an der Rechtsprechung fest, nach welcher für die einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft zugesagte Pension in der Steuerbilanz eine Rückstellung nur unter Zugrundelegung eines Pensionierungsalters von 75 Jahren gebildet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1974 I R 112/72, BFHE 113, 25, BStBl II 1974, 694, m. w. N.). Maßgebend ist grundsätzlich der in der Pensionszusage vorgesehene Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles, sofern sich nicht aus den Umständen des Einzelfalles gewichtige Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit der Bestimmung des Pensionsalters ergeben.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 6a; KStG § 6 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hatte ihrem früheren, im Jahr 1957 verstorbenen Gesellschafter-Geschäftsführer J. durch Vertrag vom 6. Dezember 1954 eine Pensionszusage erteilt, die auch eine Witwenpension in Höhe von 45 v. H. der festen Jahresvergütung von 36 000 DM = 16 200 DM einschloß. Am 22. Februar 1965 vereinbarte die Klägerin mit der Witwe J., die ebenfalls Gesellschafterin war, folgendes:

"Infolge des zwischenzeitlich eingetretenen und in absehbarer Zeit weiter anhaltenden Kaufkraftverlustes der Deutschen Mark ist es notwendig geworden, den Anspruch auf Witwenrente von Frau J. neu zu regeln.

Zu diesem Zweck wird vereinbart:

§ 1

Frau J. hat aufgrund der früheren Geschäftsführertätigkeit ihres verstorbenen Ehemannes für die Gesellschaft Anspruch auf Witwenrente, die in monatlichen Teilbeträgen auszuzahlen ist.

§ 2

Die Witwenrente beträgt z. Zt. DM 20 400 jährlich.

§ 3

Die Witwenrente erhöht und ermäßigt sich prozentual im gleichen Verhältnis, in dem sich das Grundgehalt eines unverheirateten Bundesbeamten der Besoldungsstufe A 13 in der Ortsklasse der Stadt F. gegenüber dem Stand vom 1.1.1965 erhöht oder ermäßigt ..."

Am selben Tag erteilte die Klägerin ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer Dr. S., dem Schwiegersohn der Witwe J., eine Pensionszusage. Die Pension ist ab Vollendung des 65. Lebensjahres zu zahlen.

Im Zeitpunkt dieser Vereinbarungen gehörten die Geschäftsanteile der Klägerin zu je 44,28 v. H. der Witwe J. und ihrer Tochter M. S. sowie zu 11,44 v. H. dem Geschäftsführer Dr. S., dem Ehemann der Gesellschafterin M. S.

Die Klägerin behandelte die bereits ab 1. Juli 1964 an die Witwe J. um monatlich 350 DM erhöhten Pensionszahlungen als Betriebsausgaben und führte der Pensionsrückstellung für 1964 46 720 DM und für 1965 63 630 DM zu. Für die Pensionszusage zugunsten des Geschäftsführers Dr. S. bildete die Klägerin ebenfalls Rückstellungen. Weitere Betriebspensionen wurden nicht bezahlt. Pensionszusagen zugunsten anderer Betriebsangehöriger wurden nicht entsprechend angepaßt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte die erhöhten Pensionszahlungen und die entsprechenden Pensionsrückstellungen für die Witwe J. als verdeckte Gewinnausschüttungen. Die Pensionsrückstellungen für den Gesellschafter-Geschäftsführer Dr. S. ließ es nur unter Zugrundelegung eines Pensionsalters von 75 Jahren zu.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1976, 360 veröffentlicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der Verletzung des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts gerügt wird.

Verfahrensrechtlich sei zu beanstanden, daß das FG das Vorliegen sozialer Gesichtspunkte für die Erhöhung der Pension der Witwe J. abgelehnt habe, obwohl vorgetragen worden sei, daß die Klägerin in den vergangenen Jahren keine Ausschüttungen vorgenommen habe. Die Klägerin bestreitet, daß die Witwe J. und der Gesellschafter-Geschäftsführer Dr. S. beherrschende Gesellschafter gewesen seien. Da ihre Beteiligung jeweils weniger als 50 v. H. betragen habe, sei keiner von ihnen beherrschend gewesen. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung durch das FG sei unvereinbar mit den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. März 1972 I R 117/70 (BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501). Die dort aufgestellte zusätzliche Forderung, daß auch die übrigen im Betrieb gezahlten Pensionen angepaßt sein müßten, treffe hier nicht zu, weil im Zeitpunkt der Anpassung vergleichbare Pensionen nicht gezahlt worden seien. Die vom FG betonte Dynamisierung der Pension infolge ihrer Anbindung an Beamtenbezüge sei rechtlich bedenkenfrei. Sie sei heute allgemein üblich. Auch gehe es nicht an, im Ruhestand befindliche Gesellschafter-Geschäftsführer oder deren Hinterbliebene hinsichtlich der Werterhaltung ihrer Alterssicherung schlechter als jede andere Bevölkerungsgruppe zu stellen. Die im Streitfall vorgenommenen Anpassungen hätten lediglich den gestiegenen Lebenshaltungskosten entsprochen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1964 auf 503 750 DM, die Körperschaftsteuer 1965 auf 702 170 DM festzusetzen.

Der dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) bezog sich auf das Urteil des erkennenden Senats vom 6. April 1979 I R 39/76 (BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687) und die darin entwickelte Ansicht, daß laufende Pensionserhöhungen aufgrund einer Wertsicherungsklausel sich wesentlich von einer Anpassung nach allgemeinen Grundsätzen zum Ausgleich des Kaufkraftschwundes unterschieden, so daß die nachträgliche Ausstattung einer Pensionszusage mit einer Wertsicherungsklausel zur Gewährung eines zusätzlichen Arbeitsentgelts führe und sich insofern eine - steuerrechtlich nicht anzuerkennende - Rückwirkung beilege. - Die von der Rechtsprechung seit dem BFH-Urteil vom 15. Dezember 1965 I 193/62 S (BFHE 84, 557, BStBl III 1966, 202) vertretene Ansicht, daß bei Rückstellungen für Pensionszusagen an beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft mit einer Belastung der Gesellschaft ernsthaft erst ab der Vollendung des 75. Lebensjahres des Pensionsberechtigten gerechnet werden könne, sei nach wie vor zutreffend. Die Rechtsprechung des BFH beruhe auf dem Erfahrungssatz, daß beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften in der Regel zumindest bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres aktiv tätig seien, wenn nicht der Tod ihrer Tätigkeit bereits früher ein Ende setze. Eine neuerdings bei den obersten Finanzbehörden der Länder veranlaßte, teilweise als repräsentativ anzusehende Erhebung habe ergeben, daß diese Vermutung weiterhin zu Recht bestehe. Pensionsberechtigte dieses Personenkreises träten hiernach in der Regel nicht bei Vollendung des 65. Lebensjahres, häufig erst mit 75 Jahren oder später in den Ruhestand.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

I. Pension der Witwe J. (Veranlagungszeiträume 1964 und 1965).

1. Sowohl die Witwe J. als auch ihr Schwiegersohn, der Gesellschafter-Geschäftsführer Dr. S., waren im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung vom 22. Februar 1965 beherrschende Gesellschafter der Klägerin. Das FG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß Frau J. mit einer Beteiligung von 44,28 v. H. und Dr. S. mit einer Beteiligung von 11,44 v. H. gleichgerichtete Interessen an den am selben Tage geschlossenen Verträgen über ihre Pensionsbezüge hatten und daß sie durch ihr Zusammenwirken in der Lage waren, die Entscheidung der Klägerin maßgebend zu beeinflussen (vgl. BFH-Urteil vom 8. Januar 1969 I R 91/66, BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347). Daß es für die Beurteilung der Frage, ob die Stellung eines Gesellschafters eine beherrschende ist, auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Abschlusses des zu beurteilenden Vertrages ankommt, hat der erkennende Senat wiederholt entschieden (vgl. BFHF 128, 352, BStBl II 1979, 687).

2. Leistungen einer Kapitalgesellschaft an ihren beherrschenden Gesellschafter sind, auch wenn sie ihrem Umfang nach angemessen wären, steuerrechtlich verdeckte Gewinnausschüttungen, wenn sie nicht im voraus klar und eindeutig vereinbart sind (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 26. Juli 1978 I R 138/76, BFHE 125, 557, BStBl II 1978, 659). Das gilt auch für Versorgungszusagen zugunsten des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers und seiner Familienangehörigen (vgl. BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687). Nachträgliche Pensionserhöhungen bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern für in der Vergangenheit geleistete Dienste sind grundsätzlich verdeckte Gewinnausschüttungen (vgl. auch Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 150 und 151 zu § 6 KStG, mit weiteren Nachweisen). Doch läßt der Grundsatz Ausnahmen zu.

a) In der Entscheidung in BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501 hat der erkennende Senat ausgeführt, daß der Grundsatz der Nichtanerkennung "rückwirkender", d. h. mit Rücksicht auf die frühere Tätigkeit vereinbarter Rechtsgestaltungen nicht auf solche Pensionserhöhungen zutrifft, die eine Anpassung der Bezüge an eine entscheidende Änderung der Lebenshaltungskosten bezwecken (ebenso Urteil in BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687). Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist jedoch nach dem Urteil in BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501 anzunehmen, wenn nicht auch die Pensionen der Arbeiter und Angestellten des Unternehmens an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt wurden.

aa) In Weiterentwicklung dieser Grundsätze ist der erkennende Senat der Ansicht, daß es unter dem Gesichtspunkt einer verdeckten Gewinnausschüttung dann nicht auf eine Anpassung auch der Bezüge der anderen Arbeitnehmer des Betriebs ankommen kann, wenn eine zivilrechtliche Verpflichtung der Kapitalgesellschaft zur Erhöhung der Bezüge des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers (oder seiner Hinterbliebenen) bestanden hat, weil nämlich in diesem Falle ausgeschlossen ist, daß die Erhöhung des Ruhegehalts ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben kann.

Im Streitfall bestand nach den maßgebenden Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH zur Anpassung der Pensionen bei leitenden Angestellten keine solche zivilrechtliche Verpflichtung. Der Senat unterstellt, daß diese Rechtsprechung auch auf beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften, ungeachtet deren besonderer wirtschaftlicher Stellung im Unternehmen anwendbar ist. Nach der Rechtsprechung des BGH zu der Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 - BetrAVG - (BGBl I, 3610) war zunächst ein Anspruch eines (früheren) leitenden Angestellten auf Anpassung seiner Pensionsbezüge wegen gestiegener Lebenshaltungskosten unmittelbar nicht gegeben. In Frage kam nur ein Anspruch auf Eintritt in Verhandlungen über eine solche Anpassung. Dieser Anspruch war dann gegeben, wenn seit der Pensionszusage oder seit der letzten Anpassung die Lebenshaltungskosten nach dem maßgebenden Index um 40 v. H. gestiegen sind (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28. Mai 1973 II ZR 58/71, BGHZ 61, 31). Nach dem Urteil des BGH vom 4. November 1976 II ZR 148/75 (Der Betrieb - DB - 1977, 170) betrug die erforderliche Steigerung 33 1/3 v. H.

Im Streitfall betrug nach den Ausführungen des FG, deren Richtigkeit von der Klägerin nicht bestritten wird - bezogen auf die Jahre 1955 bis 1965 - die Steigerung der Lebenshaltungskosten rd. 26 v. H. Dieser Steigerungssatz ist jedenfalls nicht zu niedrig bemessen (vgl. Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Kommentar, 1976, S. 464; 2. Aufl. 1982 S. 869). Zutreffend hat das FG hieraus den Schluß gezogen, daß eine Verteuerung dieses Umfangs keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Anpassung der Pension begründete, zumal andere, soziale oder Fürsorgegesichtspunkte im Hinblick auf die Sicherstellung der Altersversorgung der Pensionsberechtigten nicht vorgelegen hatten.

bb) Hinsichtlich des Streitjahres 1965 (Zeitraum ab 22. Februar 1965) hält der Senat die folgenden Erwägungen für bedeutsam.

Gehalts- oder Pensionsvereinbarungen zugunsten eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers können, wie bemerkt, nach ständiger Rechtsprechung steuerrechtlich grundsätzlich nur dann anerkannt werden, wenn sie vor Leistung der Dienste klar und eindeutig getroffen sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501, und vom 3. April 1974 I R 241/71, BFHE 112, 178, BStBl II 1974, 497). Diese Voraussetzung ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn nachträglich eine Wertsicherungsklausel vereinbart wird, welche künftige Steigerungen der Pension an die Entwicklung bestimmter Beamtenbezüge bindet. Denn durch eine solche Wertsicherungsklausel wird die bisherige Pensionszusage schon deshalb in ihrem Wesen verändert, weil die Wertsicherungsklausel nicht mehr nur der Sicherung der Kaufkraft der bisherigen Bezüge dient, sondern darüber hinaus eine laufende Anpassung an die Steigerungen des allgemeinen Lohn- und Gehaltsniveaus gewährleistet, welche - wenngleich erfahrungsgemäß mit zeitlichen Verzögerungen - auch für die Entwicklung der Beamtengehälter maßgeblich sind. Die Ausführungen des erkennenden Senats in BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687, welche die Anknüpfung von Pensionsbezügen an Sozialversicherungsrenten betreffen, gelten für die Koppelung der Bezüge eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft oder seiner Hinterbliebenen an die Entwicklung von Beamtenbezügen entsprechend. Es handelt sich somit auch in diesen Fällen um eine nachträgliche, als verdeckte Gewinnausschüttung zu beurteilende Erhöhung der Pensionsbezüge, weil diese nur im Hinblick auf die früher geleisteten Dienste gewährt sein kann.

b) Hiernach könnten die Pensionserhöhungen nur im Rahmen der allgemeinen Grundsätze einer Anpassung der Bezüge an erheblich gestiegene Lebenshaltungskosten im Sinn der neueren Rechtsprechung (BFHE 105, 143, BStBl II 1972, 501; BFHE 128, 352, BStBl II 1979, 687) steuerrechtlich als gewinnmindernd anerkannt werden. Diese Anerkennung setzt indes voraus, daß auch die entsprechenden Bezüge oder Pensionszusagen für die anderen Arbeitnehmer des Betriebs angemessen erhöht wurden. Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzung verneint. Es hatte indes nicht geprüft, ob die Klägerin vergleichbare Pensionszusagen erteilt hatte, bei denen es einer Anpassung wie im Falle der Pension der Witwe J. bedurft hätte. Denn der Umstand allein, daß die hier in Betracht kommenden Pensionszusagen für vier andere Geschäftsführer der Klägerin nicht im Zusammenhang mit der Erhöhung der Pension der Witwe J. erhöht wurden, wäre nicht ausschlaggebend, wenn deren Pensionsverträge ohnehin eine Koppelung der Pensionsbezüge mit Steigerungen der aktiven Gehälter vorsähen. Dazu sind keine Feststellungen getroffen. Der erkennende Senat kann deshalb nicht abschließend zu dieser Frage Stellung nehmen. Sollte das FG bei seiner erneuten Entscheidung zu dem Ergebnis gelangen, daß das Fehlen einer besonderen Anpassungsregelung zugunsten anderer Arbeitnehmer der Klägerin der steuerrechtlichen Anerkennung der Pensionserhöhungen zugunsten der Witwe J. nicht entgegenstünden, so hätte das FG noch zu prüfen, ob die vom 1. Juli 1964 an vorgenommenen Pensionserhöhungen um monatlich 350 DM im Rahmen der oben angeführten Anpassungsgrundsätze lagen.

c) Auf die Frage, ob die Klägerin Gewinnausschüttungen vorgenommen hat, kommt es bei dieser Sach- und Rechtslage nicht an. Die Verfahrensrüge der Klägerin ist daher nicht begründet.

II. Pension des Gesellschafter-Geschäftsführers Dr. S. (Veranlagungszeitraum 1965).

Die Revision ist begründet, soweit sie die Höhe der Pensionsrückstellung für den Gesellschafter-Geschäftsführer Dr. S. betrifft.

1. Die Rechtsprechung vertritt seit dem Urteil in BFHE 84, 557, BStBl III 1966, 202 den Standpunkt, daß Rückstellungen für die Verpflichtung zur Zahlung einer Pension an einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft unter der Annahme zu bemessen sind, daß der Pensionsberechtigte erst mit der Vollendung des 75. Lebensjahres in den Ruhestand tritt (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 20. Juni 1974 I R 112/72, BFHE 113, 25, BStBl II 1974, 694; für das Bewertungsrecht: BFH-Urteil vom 4. Februar 1972 III R 98/71, BFHE 105, 148, BStBl II 1972, 515). Die Finanzverwaltung ist dieser Ansicht gefolgt (Abschn. 27 der Körperschaftsteuer-Richtlinien - KStR - 1969, mit Übersicht der Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder; Abschn. 36 KStR 1977/1980).

Nach diesen Grundsätzen, von denen das FA und das FG ausgegangen sind, wäre im Streitfall der Pensionsberechtigte trotz einer Minderheitsbeteiligung von nur 11,44 v. H. als beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer zu behandeln, und zwar schon deshalb, weil er zusammen mit seiner Ehefrau wegen deren Anteilsbesitzes von 44,28 v. H. über mehr als 50 v. H der Anteile an der GmbH verfügte (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar 1966 I 227/63, BFHE 85, 313, BStBl III 1966, 323; vom 25. September 1968 I 195/65, BFHE 93, 385, BStBl II 1968, 810).

2. Der erkennende Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest.

a) Bereits in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. November 1964 I BvR 488/62 usw. (BVerfGE 18, 224, 238, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 92, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Art. 3 des Grundgesetzes, Rechtsspruch 249) ist ausgeführt, daß nach Feststellungen der Finanzverwaltung in den Jahren 1958 und 1959 etwa die Hälfte der pensionsberechtigten Gesellschafter-Geschäftsführer nach Erfüllung der Pensionsvoraussetzungen in Ruhestand getreten sei. Es ist anzunehmen, daß dieser Anteil in den späteren Jahren noch zugenommen hat.

Die Stellungnahme des dem Verfahren beigetretenen BMF, die auch Gegenstand der Erörterung mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung war, enthält die Ergebnisse einer Umfrage, die die obersten Finanzbehörden der Länder veranstaltet haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Umfrageergebnis als repräsentativ anzusehen ist. Immerhin ergibt sich aus den mitgeteilten Daten, daß nur in verhältnismäßig wenigen Fällen Gesellschafter-Geschäftsführer bis zum 75. Lebensjahr aktiv geblieben sind. Andererseits sind hiernach in der überwiegenden Zahl der Fälle die Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu den vertraglich vorgesehenen Zeiten in den Ruhestand getreten. Die Mitteilungen des BMF lassen indes nicht erkennen, für welche Jahre diese Feststellungen getroffen worden sind.

b) Den vorliegenden Erhebungen ist jedenfalls zu entnehmen, daß zwei von der früheren Rechtsprechung angenommene Erfahrungssätze nicht mehr zu belegen sind, nämlich zum einen die Annahme, daß Pensionen an Gesellschafter-Geschäftsführer von Einmanngesellschaften und andere beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich so gut wie nicht gezahlt würden (BFH-Urteile vom 5. Mai 1959 I 11/58 S, BFHE 69, 286, 293, BStBl III 1959, 369; vom 4. August 1959 I 4/59 S, BFHE 69, 299, BStBl III 1959, 374; vgl. dazu die Einwendungen des BVerfG in BVerfGE 18, 238), sodann, daß dieser Personenkreis seine Tätigkeit jedenfalls so lange fortsetze, bis sie aus biologischen Gründen eingestellt werden müsse, so daß eine Tätigkeit bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres zu unterstellen sei (so seit Urteil in BFHE 84, 557, BStBl III 1966, 202).

Die neuere Rechtsprechung führte im übrigen dazu, daß der Pensionsbemessung im praktischen Ergebnis nicht der Eintritt der Invalidität, sondern die Sterblichkeit (Lebenserwartung) zugrunde gelegt wurde. Nach der allgemeinen Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland 1970/1972 betrug die mittlere Lebenserwartung für Männer bei einem erreichten Alter von 40 Jahren 72 Jahre, bei 50 Jahren 73 Jahre und bei 60 Jahren 75 Jahre. Auch diese Erwägungen sprechen dafür, daß die Pensionierungsgrenze von 75 Jahren, von welcher die neuere Rechtsprechung und die Verwaltungspraxis ausgegangen sind, zu hoch angesetzt ist.

c) Der erkennende Senat hält es aus den vorstehenden Gründen für gerechtfertigt, für die Bemessung der Pensionsrückstellungen für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften nach den allgemeinen Grundsätzen den "in der Pensionszusage vorgesehenen Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls" (vgl. § 6a Abs. 3 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - n. F.) zugrunde zu legen. Er läßt sich dabei von der Erwägung leiten, daß Pensionszusagen an beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften dem Grunde nach anzuerkennen sind, soweit die in § 6a EStG normierten Voraussetzungen erfüllt sind und sich aus den Umständen des Einzelfalles keine gewichtigen Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit der Bestimmung des Pensionierungsalters ergeben. Für die Bemessung der Rückstellungen der Höhe nach hält es der Senat für angemessen, eine typisierende Betrachtungsweise anzuwenden, bei welcher die oben (a) bezeichneten statistischen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Hiernach besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß Angehörige dieses Personenkreises mit einem vertraglich vorgesehenen Pensionierungsalter von 65 Jahren zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand treten, auch wenn dies nicht die Mehrzahl der Fälle sein sollte. Doch reicht die Zahl der Fälle (schon nach BVerfGE 18, 238 immerhin die Hälfte) aus, für jeden in Betracht kommenden Einzelfall eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Kapitalgesellschaft nach Maßgabe der Pensionszusage anzunehmen.

d) Der Senat weicht mit der vorliegenden Entscheidung von den Urteilen des III. Senats des BFH vom 18. April 1969 III R 58/66 (BFHE 96, 317, BStBl II 1969, 608) und in BFHE 105, 148, BStBl II 1972, 515 ab. Einer Anrufung des Großen Senats gemäß § 11 Abs. 3 FGO bedarf es indessen nicht, da der III. Senat auf Anfrage mitgeteilt hat, daß er der Abweichung zustimmt.

3. Im Streitfall ist hiernach die Pensionsrückstellung für den Geschäftsführer der Klägerin, Dr. S., nach dem vertragsgemäßen Pensionierungsalter von 65 Jahren zu bemessen.

III. Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, da die Voraussetzungen der Bildung der Pensionsrückstellungen zu oben I. dem Grunde und der Höhe nach, zu oben II. der Höhe nach vom FG noch festzustellen sind. Die Sache wird deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74339

BStBl II 1982, 612

BFHE 1982, 519

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