Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat verbleibt bei der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, Obersten Finanzgerichtshofs und Bundesfinanzhofs, daß als Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG das Vermögen anzusetzen ist, das der Veranlagung dieses Jahres zugrunde gelegt worden ist (Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs - Bilanzkontinuität, Bilanzidentität -)

Enthält das Betriebsvermögen im Sinn der Ziff. 1 unrichtige Bilanzansätze, so ist eine Berichtigung dieser Ansätze grundsätzlich nur zulässig, wenn die Veranlagung des Jahres, der das Betriebsvermögen zugrunde gelegt worden ist, noch berichtigt werden kann und berichtigt worden ist, oder wenn sich die Durchführung der Berichtigung dieser Ansätze auf die Höhe der veranlagten Steuer nicht auswirken würde.

Kann eine Berichtigung der Veranlagung desjenigen Jahres, auf dessen Einkommensteuer sich der falsche Bilanzansatz ausgewirkt hat, wegen Verjährung des Steueranspruchs nicht mehr durchgeführt werden, so kommt grundsätzlich eine Berichtigung des falschen Bilanzansatzes mit Wirkung für die Veranlagungen der folgenden Jahre ebenfalls nicht in Betracht. Der falsche Bilanzansatz wird gegebenenfalls in der Schlußbilanz eines späteren, noch nicht verjährten Steuerabschnittes richtiggestellt.

Die Grundsätze der Ziff. 3 gelten auch, wenn der falsche Bilanzansatz in einer Bilanz enthalten ist, die einer rechtskräftigen, nach den Grundsätzen der AO nicht mehr berichtigungsfähigen Veranlagung zugrunde liegt.

über Sinn und Zweck des Grundsatzes des Bilanzenzusammenhangs.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1 S. 1; AO § 148 S. 1, § 222; StAnpG § 3 Abs. 1; AO § 143

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der einheitlichen Gewinnfeststellung des Streitjahres die Anfangsbilanz zu berichtigen ist. Auf Grund einer im Jahre 1957 durchgeführten Betriebsprüfung wurde unter anderem festgestellt, daß die OHG, deren Inhaber die Bf. sind, Umsatzboni 1951 nicht aktiviert, sondern erst bei Vereinnahmung gewinnerhöhend behandelt hatte. In ähnlicher Weise waren im Jahre 1950 geleistete Vorauszahlungen auf Kraftfahrzeugsteuern und Kraftfahrzeugversicherungen, auch soweit sie das folgende Jahr betrafen, jeweils voll als Betriebsausgaben behandelt worden. Bei der nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berichtigten einheitlichen Gewinnfeststellung 1951 wurden in die Schlußbilanz entsprechende Aktivposten eingestellt. Eine Berichtigung der einheitlichen Gewinnfeststellung 1950 unterblieb. In die Betriebsprüfung war das Jahr 1950 nicht mit einbezogen worden. Die berichtigte einheitliche Gewinnfeststellung 1951 erging im Mai 1958, zu einem Zeitpunkt, an dem die Steueransprüche 1950 bereits verjährt waren.

Die Bf. begehren mit Rücksicht auf die Verjährung 1950, daß die Anfangsbilanz 1951 durch Einsetzung von Aktivposten für die Bonusansprüche 1950 und als Rechnungsabgrenzungen für die in 1950 vorausgezahlten Kraftfahrzeugsteuern und Kraftfahrzeugversicherungsprämien berichtigt werde. Denn die auf diesen Posten entfallenden Steueransprüche des Jahres 1950 seien verjährt und könnten nicht in einem späteren Jahr geltend gemacht werden.

Finanzamt und Finanzgericht sind den Bf. nicht gefolgt. Das Finanzgericht hat im wesentlichen ausgeführt, eine Schlußbilanz, die sich steuerlich bereits ausgewirkt habe, sei der Gewinnermittlung des Folgejahres unverändert zugrunde zu legen. Auf Grund des Grundsatzes des Bilanzenzusammenhangs werde sogar eine falsche Bilanz endgültig. Infolge des Bilanzenzusammenhangs erfolge die Steuereinhebung in einem späteren Jahr. Diese könne durch die Verjährung des Jahres mit der falschen Bilanz nicht ausgeschlossen werden. Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitfrage den Bundesminister der Finanzen am Verfahren beteiligt. In seiner Stellungnahme vom 14. September 1961 hat der Bundesminister der Finanzen zusammenfassend unter 4., 5. zu dem Rechtsproblem wie folgt Stellung genommen:

"Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt der Grundsatz der Zeitabschnittsbesteuerung. Das Einkommen eines jeden Zeitabschnitts (Veranlagungszeitraums) ist für sich zu veranlagen. Die rechtliche Beurteilung eines Tatbestandes in einem Veranlagungszeitraum hindert grundsätzlich die Verwaltung nicht, den gleichen Tatbestand in einem anderen Veranlagungszeitraum anders zu beurteilen. Vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs I 141/60 U vom 17. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 130, Slg. Bd. 72 S. 347). Hat z. B. das Finanzamt irrigerweise bestimmte Einnahmen nicht als steuerpflichtig angesehen, so ist es nicht gehindert, diese Einnahmen in Zukunft bei den Veranlagungen zu berücksichtigen. Unrichtige Veranlagungen der Vergangenheit können jedoch nur berichtigt werden, wenn dies nach den Bestimmungen der AO möglich ist. Soweit eine Berichtigungsmöglichkeit nicht mehr besteht - etwa, weil der Steueranspruch bereits verjährt ist -, bleibt ein Teil des Einkommens unerfaßt, obwohl das EStG zweifellos davon ausgeht, daß die Zeitabschnittsbesteuerung zur Erfassung des Totaleinkommens führen soll. In diesem Fall kann wegen verfahrensrechtlicher Hindernisse das materielle Recht nicht durchgesetzt werden.

Die vorstehenden Ausführungen sprechen dafür, in gleicher Weise bei den Steuerpflichtigen zu verfahren, die ihre Einkünfte durch Vermögensvergleich ermitteln. Das würde bedeuten, daß für jeden Veranlagungszeitraum die Jahresschlußbilanz und die Jahresanfangsbilanz selbständig zu überprüfen wären. Da wegen des Grundsatzes des Bilanzzusammenhanges die Schlußbilanz eines Jahres mit der Anfangsbilanz des nächsten Jahres identisch ist, wäre die Schlußbilanz eines Jahres zweimal im Rahmen einer Veranlagung zu überprüfen.

Wird bei der Veranlagung des Jahres, das auf den Stichtag der Schlußbilanz folgt, die Fehlerhaftigkeit eines Bilanzansatzes festgestellt, so wäre diese Bilanz zu berichtigen. Gleichzeitig wäre zu prüfen, ob die Veranlagung des Vorjahres noch berichtigt werden könnte. Wäre dies nicht mehr möglich, so könnte diese Tatsache nicht die Berichtigung der Jahresschlußbilanz für Zwecke der Veranlagung des nächsten Jahres hindern. Daß ein Teil des Gewinns unerfaßt bliebe, wäre auf Verfahrensvorschriften, nicht etwa auf eine Durchbrechung des Bilanzzusammenhanges zurückzuführen. Der Bilanzzusammenhang wäre deshalb nicht durchbrochen, weil nicht etwa allein die Anfangsbilanz, sondern auch die vorjährige Schlußbilanz berichtigt worden wäre. Daß die berichtigte Abschlußbilanz des Vorjahres infolge von Verfahrensvorschriften nicht mehr zur steuerlichen Auswirkung kommen könnte, würde nicht dazu berechtigen, von einer unzulässigen Durchbrechung des Bilanzzusammenhanges zu sprechen.

Diese Auffassung halte ich für richtig. Daß der Schlußbilanz, die einer Veranlagung zugrunde gelegen hat, Tatbestandswirkung für den nächsten Veranlagungszeitraum zukommen soll, kann dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht entnommen werden, wie bereits erwähnt wurde. Ohne einen dem Gesetzeswortlaut zu entnehmenden diesbezüglichen Willen des Gesetzgebers aber darf meines Erachtens nicht von dem Grundsatz abgewichen werden, daß die Veranlagungsgrundlagen für jeden Veranlagungszeitraum selbständig festgestellt werden. Auch aus dem Grundsatz der Zweischneidigkeit der Jahresschlußbilanz (Grundsatz des Bilanzzusammenhanges) kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Sind Bilanzen falsch, so werden sie zu berichtigen sein, und zwar bis zur Fehlerquelle. Ob wegen der Bilanzberichtigung auch die durchgeführten Veranlagungen berichtigt werden können, ist eine andere Frage, die mit dem Grundsatz des Bilanzzusammenhanges unmittelbar nicht zu tun hat. Maßgebend ist hierfür allein das Verfahrensrecht.

Nach § 3 Abs. 5 Ziff. 1 c StAnpG entsteht der Steueranspruch bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer, abgesehen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen, mit Ablauf des Zeitraums, für den die Veranlagung vorgenommen wird. In diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Jahresschlußbilanz. Das kann nur bedeuten, daß in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG mit dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen gemeint ist, das sich bei ordnungsmäßiger Bilanzierung ergibt. Ist bis zum Ablauf des nächsten Jahres noch keine Bilanz für das Vorjahr erstellt, so muß das gleiche für die Veranlagung des nächsten Jahres gelten. Wird nunmehr für das erste Jahr eine unrichtige Schlußbilanz aufgestellt, so verändert sich nach meiner Auffassung der Steueranspruch keines der beiden Jahre. Wenn nach der unrichtigen Jahresschlußbilanz veranlagt wird, so wird zwar die Steuer entsprechend den Zahlen der unrichtigen Jahresschlußbilanz gefordert, materiell bleibt jedoch der Steueranspruch so bestehen, wie er sich als Steuerschuld bei Zugrundelegung einer richtigen Bilanz ergeben hätte. Seine Verwirklichung hängt davon ab, ob die Verfahrensvorschriften eine Berichtigung der Veranlagung unter Zugrundelegung der berichtigten Bilanz zulassen. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde sich der Steueranspruch des nächsten Jahres in der Weise ändern sollte, daß er nunmehr sich aus dem Gewinn bei Berücksichtigung der unrichtigen vorjährigen Schlußbilanz als Anfangsbilanz ergibt. Eine derartige nachträgliche Veränderung des Steueranspruchs ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift kann nicht statthaft sein.

Selbst wenn der Steueranspruch des Erstjahres verjährt ist, kann darin keine Rechtsgrundlage für die Veränderung des Steueranspruchs des folgenden Jahres derart gesehen werden, daß nunmehr, weil keine Möglichkeit einer auch für die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer wirksamen Berichtigung der Schlußbilanz mehr gegeben ist, für das Folgejahr endgültig von der unrichtigen Bilanz als Jahresanfangsbilanz auszugehen sei. Eine derartige Wirkung der Verjährung eines Steueranspruchs auf Steueransprüche späterer Jahre, die nach § 3 StAnpG möglicherweise schon seit Jahren bestehen, würde weit über das hinausgehen, was sich aus den Verjährungsvorschriften und aus § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG entnehmen läßt".

Es fand mündliche Verhandlung statt. In der mündlichen Verhandlung führte der Vertreter des Ministeriums aus: Es handle sich um ein umstrittenes Rechtsproblem, das auch von den Referaten des Ministeriums unterschiedlich beurteilt werde. Dies komme z. B. in Richtlinien für die Auflösung von Pensionsrückstellungen (im einzelnen siehe den in der "Rundschau für GmbH" 1962 S. 51 abgedruckten Bescheid des Bundesfinanzhofs vom 9. Januar 1962) zum Ausdruck, die wohl von einer anderen Rechtsauffassung ausgingen. Die Durchbrechung der Bilanzkontinuität sei für die praktische Durchführung des Gesetzes von größter Bedeutung. Des weiteren erkennt der Vertreter des Ministeriums an, daß der Fall der Verjährung und der Fall der Rechtskraft in dieser Frage nicht unterschiedlich beurteilt werden könnten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, dessen Grundsätze insoweit auch für Kaufleute gelten, die ihren Gewinn nach § 5 EStG ermitteln, ist Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Der in dieser Bestimmung zum Ausdruck gekommene Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs verbietet die von den Bf. begehrte Berichtigung der Anfangsbilanz des Wirtschaftsjahres 1951.

Es entspricht einer jahrzehntelangen, von Wissenschaft und steuerlicher Fachliteratur bisher nahezu unangefochtenen Auffassung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs über die Bedeutung dieser Vorschrift, als Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das der Veranlagung des Gewinns dieses Wirtschaftsjahres zugrunde gelegt worden ist (Bilanzidentität, Bilanzenzusammenhang; vgl. hierzu insbesondere Bühler, Bilanz und Steuer, 4. Aufl., S. 233 ff.; Brönner, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, 6. Aufl., S. 84 ff.). Das Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ist daher der Gewinnermittlung des laufenden Wirtschaftsjahres als Anfangsbetriebsvermögen solange unverändert - wegen der Berücksichtigung von Entnahmen und Einlagen Hinweis auf Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1019/34 vom 19. Februar 1936, RStBl 1936 S. 788 - zugrunde zu legen, als DIE Veranlagung des Vorjahrsgewinns auf Ihm beruht. § 13 EStG 1925 enthielt diesen Grundsatz ausdrücklich. Die amtliche Begründung zum EStG 1934 bietet jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß er, wenngleich in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG 1934 ff. nicht mehr ausdrücklich ausgesprochen, aufgegeben werden sollte. Siehe auch Becker, Steuer und Wirtschaft 1934, Spalte 1062 sowie Spalte 1260.

Für die Rückwärtsberichtigung fehlerhafter Betriebsvermögen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ergibt sich hieraus folgender Grundsatz: Eine Berichtigung kommt nur in Betracht, wenn das fehlerhafte Betriebsvermögen einer Veranlagung noch nicht zugrunde liegt oder wenn die auf ihm beruhende Veranlagung nach allgemeinen Grundsätzen berichtigt oder geändert werden kann und berichtigt oder geändert worden ist. Ist letzteres nicht mehr möglich, so scheidet die steuerliche Berichtigung des Betriebsvermögens am Schluß des Wirtschaftsjahres und infolge von dessen Identität mit dem Betriebsvermögen am Anfang des folgenden Wirtschaftsjahres auch dessen Berichtigung grundsätzlich aus.

Eine Ausnahme hiervon hat die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs außer in den Fällen, in denen die Grundsätze von Treu und Glauben eine solche gebieten, nur zugelassen, wenn sich der fehlerhafte Betriebsvermögensansatz steuerlich bisher nicht ausgewirkt hat und es sich um einen individuellen Gegenstand handelt; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 302/50 S vom 1. Dezember 1950, BStBl 1951 III S. 10, Slg. Bd. 55 S. 22; I 23/52 U vom 1. April 1952, BStBl 1952 III S. 144, Slg. Bd. 56 S. 369. Dann erfolgt Rückwärtsberichtigung bis zur Fehlerquelle, was sich in Gestalt der Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs durch Berichtigung der Anfangsbilanz eines noch zu veranlagenden bzw. durch eine Berichtigungsveranlagung aufzurollenden Steuerabschnitts vollzieht. In letzterer Entscheidung wird nochmals ausdrücklich ausgesprochen, daß Finanzamt und Finanzgericht an die Veranlagungsbilanzen der Vorjahre gebunden und, sofern deren Berichtigung nicht zulässig wäre, nicht berechtigt seien, von ihnen abzuweichen. Die Berichtigung der Veranlagungsbilanz des Vorjahres aber, die lediglich den buchhalterischen Niederschlag des in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG aufgeführten Betriebsvermögens am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres darstellt, ist, wie schon das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 841, 842/38 vom 15. Februar 1939, RStBl 1939 S. 393, ausgeführt hat, nur insoweit möglich, als die Veranlagung des Vorjahres berichtigt werden darf und berichtigt worden ist. Von gleichen Grundsätzen sind die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 108/58 U vom 14. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 137, Slg. Bd. 70 S. 365, und IV 185/58 U vom 25. August 1960, BStBl 1960 III S. 444, Slg. Bd. 71 S. 523, ausgegangen. Ihnen schließt sich der Senat an. Mit Recht betont die Entscheidung IV 185/58 U, daß es nicht nur dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG entspreche, sondern auch seinem Sinn und Zweck, fehlerhafte Bilanzierungen in der Weise auszugleichen, daß frühere Einnahmen in einer späteren Gewinnperiode herangezogen, früher eingetretene Verluste in einem späteren Bilanzzeitraum steuerlich berücksichtigt werden, vgl. zum letzteren insbesondere auch Urteil des Bundesfinanzhofs I 120/54 U vom 12. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 262, Slg. Bd. 61 S. 164 (letzter Absatz). Die Zweischneidigkeit der Veranlagungsbilanzen, die zu einem selbsttätigen Ausgleich von Bilanzierungsfehlern gerade steuerlich führt, ist der eigentliche Sinn des Grundsatzes der Vermögensidentität, auch Bilanzkontinuität oder Bilanzenzusammenhang im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG; vgl. auch Brönner (a. a. O., S. 85), der davon spricht, daß der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs mit der Folge der Bilanzzweischneidigkeit gewiß von allen Seiten als gerecht anerkannt werde.

Es kann nach Ansicht des Senats nicht geleugnet werden, daß der Funktionszusammenhang zwischen dem Betriebsvermögen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG als Merkmal der Gewinnermittlung einerseits und der Veranlagung des Steuerabschnitts andererseits die dargestellte Beurteilung geradezu erfordert. Die Ermittlung des Betriebsvermögens und der dieses darstellenden Bilanz erfolgt für Zwecke der Veranlagung und erschöpft sich hierin. Die dargestellte Bindungswirkung der Veranlagung an das ihr zugrunde liegende Betriebsvermögen = Veranlagungsbilanz aber führt dazu, hierin ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen der Steuerschuld im Sinne des § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes bzw. des Steueranspruchs im Sinne des § 143 AO zu erblicken. Der Senat vermag daher insbesondere Mittelbach, Der Steuerberater 1959 S. 92, nicht beizupflichten, wonach die Steuerschuld bzw. der Steueranspruch bei Steuerpflichtigen mit Vermögensvergleich unabhängig von den der Veranlagung zugrunde liegenden Betriebsvermögen oder Bilanzen entstehe. Infolge der dargestellten Bedeutung des Bilanzenzusammenhangs entsteht der Steueranspruch vielmehr endgültig nach Maßgabe derjenigen Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen und am Schluß des laufenden Wirtschaftsjahres, die der Veranlagung unabänderbar zugrunde gelegt worden sind. Wenn die Entscheidung IV 108/58 U (a. a. O.) in ihrem vorletzten Absatz etwas anderes zum Ausdruck bringen wollte, so vermag dem der Senat nicht zu folgen. Hat also etwa ein Steuerpflichtiger für das Jahr 1950 unter fehlerhaftem Nichtansatz einer Forderung von 20 000 DM einen Gewinn von 100 000 DM ausgewiesen (anstelle des richtigen Gewinns von 120 000 DM) und wird dieser Gewinn der Veranlagung 1950 zugrunde gelegt, so ist der Steueranspruch bzw. die Steuerschuld 1950, sobald die Veranlagung 1950 nicht mehr berichtigungsfähig ist, nach Maßgabe des Gewinns von 100 000 DM, nicht nach Maßgabe des Gewinns von 120 000 DM entstanden. Geht die Forderung von 20 000 DM im Jahr 1952 in vollem Umfang zugunsten des steuerlichen Gewinns ein, so ist der auf diese 20 000 DM entfallende Steueranspruch bzw. die hierauf entfallende Steuerschuld für das Jahr 1952 entstanden. Eine Verjährung dieses Anspruchs konnte daher erst mit der Verjährung des Steueranspruchs 1952, nicht bereits mit der Verjährung des Steueranspruchs 1950 eintreten. Würde die Veranlagung 1952 zu einem Zeitpunkt stattfinden, in dem der Steueranspruch 1950 verjährt war, so könnte der Steuerpflichtige gleichwohl nicht die Verjährung des auf die in Frage stehenden 20 000 DM entfallenden Steueranspruchs geltend machen. Er könnte insbesondere nicht eine Berichtigung der Anfangsbilanz 1952 mit dem Ziel verlangen, den Eingang der 20 000 DM für die steuerliche Gewinnermittlung zu neutralisieren. Der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs schließt hiernach die Möglichkeit der Verjährung eines Steueranspruchs, soweit er durch das einer Veranlagung zugrunde gelegte Betriebsvermögen nicht gedeckt ist, überhaupt aus. Ausnahmen könnten sich aus der Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben ergeben.

In der Entscheidung VI A 1012/33 vom 30. Januar 1935, RStBl 1935 S. 1111, hat der Reichsfinanzhof der Verjährung des Steueranspruchs gegenüber dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs besondere Bedeutung beigemessen. Er hat dort die Berichtigung der Anfangsbilanz zugelassen, weil die Ablehnung dieser Berichtigung einen Verstoß gegen den Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften sein würde. In der Entscheidung VI A 80/35 vom 10. Juni 1936, RStBl 1936 S. 888, hat er ausgeführt, daß der in § 13 EStG 1925 verankerte Begriff des Bilanzenzusammenhangs hinsichtlich der bilanzpflichtigen Wirtschaftsgüter nur mit der Einschränkung gelte, daß falsche Bilanzen bis zur Fehlerquelle zurückzuberichtigen seien, soweit nicht die Vorschriften von Treu und Glauben etwas anderes bedingen. Mit Recht weist aber das Urteil IV 185/58 U (a. a. O.) darauf hin, daß Reichsfinanzhof und Bundesfinanzhof seit Ergehen dieser Entscheidung den Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs im Sinne der Bindung an die Veranlagungsbilanz des Vorjahres immer stärker betont haben. Die Zweischneidigkeit der jeweiligen Veranlagungsbilanz soll die Steuerbehörde gerade der oft sehr schwierigen Prüfung entheben, ob eine fehlerhafte Bilanzierung vorliegt und bei Bejahung der Frage, ob diese vom Steuerpflichtigen in einer Weise herbeigeführt worden ist, die gleichwohl zur Versagung der Zurückberichtigung unter dem Gesichtspunkt der Grundsätze von Treu und Glauben führen müßte. Die zitierte ältere Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, die diesen Gedanken offensichtlich nicht gerecht wird, kann daher nicht mehr angewendet werden.

Im übrigen darf auch die Bedeutung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität für die Anwendung des Gesetzes nicht übersehen werden. Durch den Ausgleich innerhalb der Wirtschaftsjahre vermindert sie das Gewicht der Ansätze in den Bilanzen, was sowohl für den Steuerpflichtigen wie für das Finanzamt bedeutungsvoll ist. Sie erleichtert die Veranlagungen wesentlich. Verneint man die Bilanzkontinuität für sogenannte fehlerhafte Ansätze (ein zudem nicht leicht abzugrenzender Kreis von Ansätzen), so kann man erhebliche Bedenken gegen Begründungen haben, die die Bilanzkontinuität für zulässige Ansätze (Wahlrecht) bejahen. Verneint man aber die Bilanzkontinuität grundsätzlich, so ist die Fassung des Gesetzes (§ 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Ziff. 1 und 2), das an die Schlußbilanz des Vorjahres anknüpft, schwer verständlich.

Damit lehnt der Senat die in der schriftlichen Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen vom 14. September 1961 zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, die im wesentlichen der von Mittelbach (a. a. O.) vertretenen entspricht, ab.

Nach alledem kann das Begehren der Bf. auf Berichtigung der Anfangsbilanz 1951 keinen Erfolg haben. Es liegt weder der Fall vor, daß die Veranlagung 1950 berichtigt werden kann und berichtigt worden ist, noch handelt es sich bei den Bilanzierungsfehlern der Bf. um solche, die sich steuerlich nicht ausgewirkt haben und individuelle Bilanzansätze betreffen. Auch für die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben zum Zwecke der begehrten Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs ergeben die Akten keine Anhaltspunkte.

Gleichwohl muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Soweit die Nichtaktivierung der Bonusansprüche in Frage steht, ist die Handhabung durch die Bf. erst durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 103/55 U vom 25. September 1956, BStBl 1956 III S. 349, Slg. Bd. 63 S. 396, in einem Masse fehlerhaft geworden, daß eine Bilanzberichtigung in Betracht kommen konnte. Der Fall liegt rechtsähnlich dem der Aktivierungspflicht der Fertigungsgemeinkosten im Gutachten Gr. S. D 7/38 vom 4. Februar 1939, RStBl 1939 S. 321, Slg. Bd. 46 S. 150. Dort aber hat der Reichsfinanzhof ausgesprochen, daß dem Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen sei, die Aktivierung der Fertigungsgemeinkosten nicht erstmals für das Streitjahr 1938, sondern bereits ab den Bilanzen 1934 vorzunehmen, um das Eintreten steuerlicher Nachteile auf Grund der Rechtsauffassung des Gutachtens zu verhindern. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist daher den Bf. noch die Möglichkeit zu geben, die Aktivierung der Bonusansprüche statt in der Schlußbilanz 1951 in der ersten von ihnen nach Bekanntwerden des Urteils I 103/55 U (a. a. O.) aufgestellten Bilanz vorzunehmen, falls ihnen das steuerlich vorteilhafter erscheint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410420

BStBl III 1962, 273

BFHE 75, 10

BB 1962, 705

DB 1962, 822

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