Leitsatz (amtlich)

1. Eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG kann auch mit dem Ziel gebildet werden, den beim Ausscheiden eines Gesellschafters (Mitunternehmers) aus einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) anfallenden Veräußerungsgewinn zu vermeiden.

2. Darüber, ob die Voraussetzungen einer Rücklage nach § 6b EStG im Falle 1. vorliegen, hat das Betriebsfinanzamt zu entscheiden, das für die Feststellung des Gewinns der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) zuständig ist, aus der der Gesellschafter (Mitunternehmer) ausgeschieden ist.

 

Normenkette

EStG §§ 6b, 34; AO § 215; AO 1977 § 180

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist die Anerkennung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Kommanditist an der C-KG beteiligt, aus der er im Jahre 1965 ausschied. Das für die C-KG zuständige Betriebs-Finanzamt (FA I) rechnete dem Kläger einen Veräußerungsgewinn von 413 745 DM zu. Außerdem war der Kläger Kommanditist der am 28. Juni 1965 gegründeten, inzwischen aufgelösten R-KG. Diese hatte ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr (31. Mai bis 1. Juni).

Bei der R-KG fand im Jahre 1968 eine Betriebsprüfung statt. Sie führte dazu, daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) dem Kläger für das Wirtschaftsjahr 1965/1966 einen Gewinnanteil von 96 921 DM und für das Wirtschaftsjahr 1966/1967 einen Verlustanteil von 137 707,05 DM zurechnete. Gegen die Gewinnfeststellungsbescheide legte der Kläger Einspruch ein. U. a. machte er geltend, gemäß § 6b Abs. 3 EStG sei aus seinem bei seinem Ausscheiden aus der C-KG erzielten Veräußerungsgewinn in die Eröffnungsbilanz der R-KG für das Wirtschaftsjahr 1965/1966 eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG zu seinen Gunsten in Höhe von 400 000 DM eingestellt worden. Diese sei im Wirtschaftsjahr 1965/1966 mit einem Teilbetrag von 100 DM und im Wirtschaftsjahr 1966/1967 mit einem Teilbetrag von 138 000 DM gewinnerhöhend aufgelöst worden. Diese Rücklage war bei der einheitlichen Gewinnfeststellung der C-KG ebensowenig berücksichtigt wie im Einkommensteuerbescheid des Klägers für den Veranlagungszeitraum 1965. Beide Bescheide wurden unanfechtbar. Der Antrag des Klägers, den Einkommensteuerbescheid zu berichtigen, hatte weder beim FA noch beim Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG hat sich in jenem Verfahren auf den Standpunkt gestellt, die Rücklage nach § 6b EStG hätte bei der einheitlichen Gewinnfeststellung der C-KG geltend gemacht werden müssen. Gegen das Urteil des FG in der Einkommensteuersache ist Revision eingelegt, die beim IV. Senat des Bundesfinanzhofs - BFH - (Az. IV R 173/76) anhängig ist.

Im vorliegenden Verfahren hat das FA dem Begehren des Klägers, die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG im Wege der Bilanzänderung einzustellen, nicht zugestimmt. Es vermißte u. a. den Nachweis, inwieweit der Gewinn des Klägers aus der Veräußerung seines Anteils an der C-KG auf Anlagegüter i. S. des § 6b Abs. 1 EStG beruhe. Das Begehren des Klägers sei bisher wirtschaftlich nicht begründet. Er habe auch keine gesonderte Eröffnungsbilanz für die C-KG eingereicht.

Das FG hatte im ersten Rechtsgang die Klage als unzulässig abgewiesen. Nach Aufhebung der Entscheidung durch den erkennenden Senat im Urteil vom 19. März 1975 I R 242/73 hatte die Klage in dem hier streitigen Punkt keinen Erfolg. Das FG bezog sich zur näheren Begründung auf sein Urteil in der Einkommensteuersache des Klägers für den Veranlagungszeitraum 1965. Dort habe das Gericht im einzelnen ausgeführt, daß der Kläger die Reinvestitionsrücklage nach Bestandskraft des Feststellungsbescheids für die C-KG nicht mehr bilden könne und daß jedenfalls über die nachträgliche Bildung das FA I zu entscheiden gehabt hätte oder noch zu entscheiden habe. Weil oder solange dies nicht geschehen sei, könne der Kläger die Rücklage auch nicht auf seinen "Anteil an der R-KG" übertragen.

Mit seiner Revision, die nach der Revisionsschrift des Klägers die einheitliche Gewinnfeststellung der R-KG für die Jahre "1965, 1966 und 1967" betreffen soll, rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 6b EStG. Die Auffassung des FA, über die Berechtigung der Reinvestitionsrücklage hätte das für die C-KG zuständige Betriebs-FA I entscheiden müssen, sei irrig. Die Beteiligung an diesem Unternehmen sei mit seinem Ausscheiden erloschen. Die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG könne von jedem Steuerpflichtigen nach seinen individuellen Belangen gebildet werden. Der ausscheidende Gesellschafter könne den Veräußerungsgewinn zunächst in sein Privatvermögen überführen, ohne auf die Vergünstigung verzichten zu müssen. Die Voraussetzungen für die Bildung der Rücklage seien erfüllt. Die Nachholung der Rücklage geschehe in Ausübung eines Bilanzierungswahlrechts, nachdem die Betriebsprüfung zu erheblichen Gewinnerhöhungen geführt habe. Das FA müsse in einem solchen Fall einer Bilanzänderung zustimmen (BFH-Urteil vom 29. Januar 1952 I 103/51 U, BFHE 56, 107, BStBl III 1952, 57). Das beklagte FA müsse nunmehr dem zuständigen Wohnsitz-FA mitteilen, daß mit Wirkung für das Kalenderjahr 1965 in die Bilanz des Geschäftsjahrs 1965/1966 der R-KG zu seinen Gunsten eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG eingestellt worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. das FA zu verurteilen, einer Änderung der Bilanz der R-KG für das Geschäftsjahr 1965/1966 in der Weise zuzustimmen, daß es dem Kläger gestattet sei, im Kalenderjahr 1965 zu seinen Gunsten eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen;

2. das FA zu verurteilen, dem Wohnsitz-FA des Klägers mitzuteilen, daß vom Kläger im Kalenderjahr 1965 eine gewinnmindernde Rücklage nach § 6b EStG in Höhe von 400 000 DM gebildet worden sei;

3. die Kosten der beiden Revisionsverfahren dem FA aufzuerlegen und die Kosten der vorinstanzlichen Verfahren anderweitig zu verteilen;

4. hilfsweise, die Sache zur weiteren Tatsachenermittlung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann im vorliegenden Verfahren keine Rücklage nach § 6b EStG geltend machen.

1. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG auch mit dem Ziel gebildet werden, die Versteuerung stiller Reserven, die bei der Veräußerung eines Betriebs oder des Anteils eines Gesellschafters (Mitunternehmers) - § 16 EStG - aufgedeckt werden, zu vermeiden. Voraussetzung dafür soll sein, daß der Steuerpflichtige die Absicht erkennen läßt, mit den Vermögenswerten, die er bei der Veräußerung erlöst hat, einen Betrieb weiterzuführen und daß er die bezeichneten Vermögenswerte sowie die Rücklage buch- und bestandsmäßig weiter nachweist. Er soll die Rücklage auf Wirtschaftsgüter übertragen können, die in seinem Alleineigentum stehen, oder auf Wirtschaftsgüter, die zum Vermögen der Personengesellschaft (Gesamthandseigentum oder Bruchteilseigentum der Gesellschafter) gehören, an der er beteiligt ist, soweit die Wirtschaftsgüter ihm anteilig zuzurechnen sind (Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1965 Abschn. 41b Abs. 7).

2. Der erkennende Senat folgt im Grundsatz dieser Rechtsauffassung. Sie findet - was die Berücksichtigung einer Rücklage nach § 6b EStG im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters (Mitunternehmers) aus der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) anbelangt - ihre gesetzliche Stütze in § 34 Abs. 1 letzter Satz EStG. Danach gelten die ermäßigten Steuersätze bei außerordentlichen Einkünften dann nicht, wenn der Steuerpflichtige auf die außerordentlichen Einkünfte ganz oder teilweise § 6b EStG anwendet. Diese gesetzliche Regelung beschränkt sich nicht nur auf den Fall der Veräußerung eines ganzen Betriebs oder Teilbetriebs (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG), sondern umfaßt auch die Veräußerung eines Anteils des Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 15 Nr. 2 EStG). Denn der Mitunternehmer ist bei der Veräußerung seines Anteils dem Einzelunternehmer, der einen Betrieb oder Teilbetrieb veräußert, auch sonst in wesentlichen Beziehungen gleichgestellt. Die Rechtsauffassung, daß § 6b EStG - seine übrigen Voraussetzungen unterstellt - auch beim Ausscheiden eines Gesellschafters (Mitunternehmers) anzuwenden ist, wird auch im Schrifttum allgemein vertreten (vgl. statt vieler Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6b EStG Anm. 11 Ziff. 8; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 12. Aufl., § 6b Anm. 110). Zur Rechtfertigung dieses Ergebnisses bedarf es nicht des Vorstellungbildes der Bilanzbündeltheorie; denn die weitgehende Gleichstellung von Mitunternehmer und Einzelunternehmer bei der Veräußerung des Anteils des Mitunternehmers (d. h. seines gesamthänderischen Anteils am Eigentum an den einzelnen Wirtschaftsgütern der Mitunternehmerschaft) folgt unmittelbar aus der besonderen Regelung des § 16 EStG.

3. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob den in den Einkommensteuer-Richtlinien 1965 Abschn. 41 b Abs. 7 aufgestellten Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG bei Veräußerung eines Anteils des Mitunternehmers in allen Punkten zuzustimmen ist. Die Entscheidung darüber ist im Verfahren der gesonderten Gewinnfeststellung derjenigen Gesellschaft zu treffen, aus der der Gesellschafter ausgeschieden ist (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 a der Abgabenordnung - AO 1977 -; § 215 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -).

a) Sowohl § 215 Abs. 2 AO wie auch § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 regeln nach ihrem unmittelbaren Wortlaut nur den Fall, daß mehrere (Personen) an Einkünften beteiligt sind. § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 setzt zusätzlich voraus, daß die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechen sind. Nach dem Sinn beider Vorschriften geht jedoch deren Anwendungsbereich über die Feststellung und Zurechnung der gemeinsam erzielten Einkünfte mehrerer Personen hinaus. Sie umfaßt auch Feststellungen, die nur für einzelne Gemeinschafter oder Gesellschafter einkommensteuerrechtliche Bedeutung erlangen. Das gilt insbesondere für die Entscheidung, ob Einkünfte eines Gesellschafters, die dieser im sachlichen Zusammenhang mit der Gesellschaft erzielt, als ordentliche oder außerordentliche Einkünfte zu beurteilen sind. Dazu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch die Qualifizierung von Einkünften als Veräußerungs- oder Aufgabegewinn (§ 16 i. V. m. § 34 EStG; Urteile vom 10. September 1957 I 294/56 U, BFHE 65, 468, BStBl III 1957, 414; vom 26. Oktober 1972 I R 229/70, BFHE 107, 265, BStBl II 1973, 121; vom 26. November 1975 I R 44/74, BFHE 117, 539, BStBl II 1976, 304; Beschluß vom 28. März 1974 IV B 58/73, BFHE 112, 171, BStBl II 1974, 459). Dabei wird weniger das Interesse an einer einheitlichen Feststellung für mehrere Gesellschafter in den Vordergrund gestellt als die Erwägung, daß das für die Feststellung des Gewinns von Gemeinschaften oder Gesellschaften zuständige Betriebs-FA nach dem sachlichen Zusammenhang der außerordentlichen Einkünfte mit den Verhältnissen der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) aufgrund besserer Sachkunde entscheiden kann als das Wohnsitz-FA des einzelnen Gesellschafters.

b) Bei folgerichtiger Fortführung dieses Gedankens muß das Betriebs-FA auch darüber entscheiden, ob ein Gesellschafter (Mitunternehmer) beim Ausscheiden aus einer Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) zur Vermeidung der Versteuerung des Veräußerungsgewinns eine Rücklage nach § 6b EStG bilden darf. Eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG kann nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommen. Dazu gehört, daß Wirtschaftsgüter bestimmter (im Gesetz einzeln bezeichneter) Art veräußert werden (§ 6 b Abs. 1 EStG), der Gewinn aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 4 Abs. 1 oder § 5 ermittelt wird (§ 6 b Abs. 4 Nr. 1 EStG) und die veräußerten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebstätte gehört haben (§ 6 b Abs. 4 Nr. 2 EStG). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, fällt sachbedingt vorrangig in den Wissens- und Beurteilungsbereich des Betriebs-FA. Dieses hat erforderlichenfalls für den Steuerpflichtigen, der aus der Mitunternehmerschaft ausscheidet und die Rücklage nach § 6 b Abs. 3 EStG in Anspruch nehmen will, eine Einzelbilanz auf den Zeitpunkt des Eigentumsüberganges aufzustellen. Dabei ist der Veräußerungspreis auf die Anteile an den einzelnen Wirtschaftsgütern (gegebenenfalls zuzüglich eines Geschäftswerts) aufzuteilen (Herrmann/Heuer, a. a. O.).

c) An diesen Grundsätzen vermag es nichts zu ändern, daß der Kläger die Rücklage nach § 6 b EStG erst im Anschluß an eine Betriebsprüfung bei der R-KG geltend machen will. Zwar ist die Nachholung einer Rücklage nach § 6 b Abs. 3 EStG grundsätzlich zulässig. Der Senat kann dabei offenlassen, ob dies auch dann noch möglich ist, wenn der gesetzlich vorgeschriebene Übertragungszeitraum (Veräußerungsjahr und die beiden - bzw. vier - folgenden Wirtschaftsjahre) bereits abgelaufen ist und erkennbar ist, daß eine Übertragung der Rücklage auf Reinvestitionsobjekte nicht möglich ist (vgl. hierzu Herrmann/Heuer, a. a. O.; Thiel, Übertragung stiller Reserven, Schriftenreihe "Steuerrecht und Steuerpolitik", Heft 4, Rdnr. 155; Hellwig, Deutsches Steuerrecht 1968 S. 363 f.). Jedenfalls vermag die Nachholung einer Rücklage nach § 6 b EStG (insbesondere im Anschluß an eine Betriebsprüfung) die Entscheidungskompetenz des Betriebs-FA wie sie oben im einzelnen dargelegt worden ist, nicht zu verändern. Deshalb kann der Kläger entgegen seiner Ansicht nicht erreichen, daß im vorliegenden Verfahren über die Voraussetzungen einer Rücklage nach § 6 b EStG entschieden und diese Entscheidung der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1965 zugrunde gelegt wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73353

BStBl II 1980, 43

BFHE 1980, 17

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