Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine einheitliche Feststellung von Sonderausgaben - Anwendung der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 in anhängigen gerichtlichen Verfahren)

 

Leitsatz (amtlich)

Besteuerungsgrundlagen, welche einen Sonderausgabenabzug betreffen (hier: private Versorgungsleistungen), können nicht nach § 1 Abs.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO einheitlich und gesondert festgestellt werden.

 

Orientierungssatz

Die Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO 1977 vom 19.12.1986 ist ermächtigungskonform. Sie in in anhängigen gerichtlichen Verfahren auch für solche Feststellungszeiträume anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung liegen (vgl. BFH-Urteil vom 1.12.1987 IX R 90/86).

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 2, 2 V § 1 Abs. 1; GG Art. 80 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 12.07.1990; Aktenzeichen II 458/87)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren zusammen mit ihrer Mutter in ungeteilter Erbengemeinschaft Eigentümer eines mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstücks, und zwar die Kläger zu je 1/4 und die Mutter zu 1/2. Ende des Jahres 1980 setzten sie sich in der Weise auseinander, daß die Mutter ihren Miteigentumsanteil im Wege vorweggenommener Erbfolge zu je 1/2 auf die Kläger übertrug, so daß diese nunmehr Miteigentümer zu je 1/2 waren. Die Kläger räumten ihrer Mutter an Räumlichkeiten im Erdgeschoß und im 1.Obergeschoß ein dinglich gesichertes Wohnrecht ein. Sie verpflichteten sich, das Anwesen in gut bewohnbarem Zustand zu erhalten und die Lasten des Grundstücks (Grundsteuer, Müllabfuhr, Kaminreinigung, Heizungskosten, Wasser- und Kanalgebühren, Brandversicherung, usw., ausgenommen Stromversorgung) zu tragen. Sie übernahmen die Schönheitsreparaturen für die Wohnung ihrer Mutter.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von dem erklärten Verlust nur 8/19, weil von der Gesamtwohnfläche des Gebäudes 11/19 auf die Wohnräume der Mutter entfielen. Mit Einspruch und Klage gegen den Feststellungsbescheid begehrten die Kläger, die Abziehbarkeit von Aufwendungen für die mit dem Wohnrecht belasteten Räume als dauernde Last festzustellen (§ 180 Abs.2 der Abgabenordnung --AO 1977-- i.V.m. § 1 der Verordnung zu § 180 Abs.2 AO --VO zu § 180 Abs.2 AO--). Dies lehnte das FA ab mit der Begründung, § 1 Abs.1 Nr.1 dieser VO lasse eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Sonderausgaben nicht zu.

Mit der hiergegen gerichteten Klage beanstandeten die Kläger insbesondere fehlerhafte Ausübung des Ermessens. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen; sein Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 365.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 180 Abs.2 AO 1977 i.V.m. § 1 der VO zu § 180 Abs.2 AO.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das FA zu verpflichten, die

dauernde Last für 1984 in Höhe von 6 364,96 DM gesondert festzustellen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß das FA eine gesonderte und einheitliche Feststellung abziehbarer Sonderausgaben zu Recht abgelehnt hat. Die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens nach § 4 Satz 1 der VO zu § 180 Abs.2 AO liegen nicht vor.

1. Abweichend von § 157 Abs.2 AO 1977 werden Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, soweit dies in der AO 1977 oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist (§ 179 Abs.1 AO 1977). Die gesonderte Feststellung wird gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich vorgenommen, wenn dies gesetzlich bestimmt oder der Gegenstand der Feststellung mehreren Personen zuzurechnen ist (§ 179 Abs.2 Satz 2 AO 1977).

Nach § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.a AO 1977 werden gesondert festgestellt u.a. die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Diese Bestimmung betrifft ausschließlich Besteuerungsgrundlagen, welche Grund und Höhe gemeinschaftlich bezogener Einkünfte beeinflussen. Fragen, welche lediglich die Ermittlung des Einkommens betreffen, so z.B. den Abzug von Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen, sind nicht feststellungsfähig (statt vieler Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 180 AO 1977 Rdnr.142 a, 144). Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht Einvernehmen darüber, daß diese Bestimmung hier nicht anwendbar ist.

2. Zu Unrecht leiten die Kläger einen Anspruch auf Feststellung aus § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO her (zuletzt geändert durch Verordnung vom 22.Oktober 1990, BGBl I 1990, 2275, BStBl I 1990, 724).

a) Nach dieser Vorschrift können "Besteuerungsgrundlagen, insbesondere einkommensteuerpflichtige ... Einkünfte", ... ganz oder teilweise gesondert festgestellt werden, wenn der Einkunftserzielung dienende Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen von mehreren Personen betrieben, genutzt oder gehalten werden". Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang sie ein Feststellungsverfahren durchführt (§ 4 Satz 1 der VO zu § 180 Abs.2 AO).

Ermächtigungsgrundlage dieser Bestimmung ist § 180 Abs.2 Satz 1 AO 1977; ausdrückliche Zwecke der Verordnungsermächtigung sind die Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung bei gleichen Sachverhalten und die Erleichterung des Besteuerungsverfahrens.

Die VO zu § 180 Abs.2 AO ist ermächtigungskonform. Sie ist in anhängigen gerichtlichen Verfahren auch für solche Feststellungszeiträume (hier: 1984) anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung liegen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.Dezember 1987 IX R 90/86, BFHE 152, 17, BStBl II 1988, 319).

b) Die Voraussetzungen für den Erlaß einer Ermessensentscheidung nach § 4 Satz 1 der VO zu § 180 Abs.2 AO liegen im Streitfall nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Übernahme von Reparaturaufwendungen im Streitfall zu Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs.1 Nr.1 a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führt.

Zwar sieht § 180 Abs.2 Satz 1 AO 1977 vor, "daß in anderen als den in Absatz 1 genannten Fällen Besteuerungsgrundlagen gesondert und für mehrere Personen einheitlich festgestellt werden können". Dementsprechend werden in § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO die "einkommensteuerpflichtigen Einkünfte" lediglich als Anwendungsfall der feststellungsfähigen Besteuerungsgrundlagen benannt. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Kläger indes nicht, daß nunmehr sämtliche einkommensteuerrechtlich erheblichen Besteuerungsgrundlagen einschließlich der Sonderausgaben feststellungsfähig wären.

Mit den Tatbestandsmerkmalen "Betreiben, Nutzen oder Halten" von "der Einkünfteerzielung dienenden Wirtschaftsgütern, Anlagen oder Einrichtungen" läßt die Verordnung erkennen, welche Besteuerungsgrundlagen im einzelnen feststellungsfähig und feststellungsbedürftig sind. Die Besteuerungsgrundlagen müssen einen materiell-rechtlichen Bezug zu den genannten Tätigkeiten und Objekten haben: Das Betreiben, Nutzen oder Halten der zur Einkünfteerzielung dienenden Objekte muß Tatbestandsmerkmal oder zumindest tatsächliche Voraussetzung der gesonderten und einheitlichen Feststellungen sein. Denn es wäre wenig sinnvoll, die Feststellungsfähigkeit von Besteuerungsgrundlagen anhand von Kriterien abzugrenzen, die keinen sachlichen Bezug zum jeweils anzuwendenden Steuergesetz haben. So wäre es --bezogen auf den Streitfall-- nicht einleuchtend, die Abziehbarkeit von Sonderausgaben nur dann einheitlich und gesondert festzustellen, wenn das Vermögen, das gegen Zusage von Versorgungsleistungen übertragen worden ist, vom Übernehmer zur Erzielung von Einkünften verwendet wird. Denn der Sonderausgabenabzug kann z.B. auch dem Übernehmer zustehen, der das Haus selbst bewohnt und deswegen keine Einkünfte erzielt. Hingegen ist die Abgrenzung in § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO sinnvoll, wenn es um die Steuerfolgen des "Haltens, Nutzens oder Betreibens" insbesondere eines Wirtschaftsgutes geht oder wenn beispielsweise das Halten einer verzinslichen Darlehensforderung Tatbestandsvoraussetzung der Tarifermäßigung nach § 17 Abs.2 und 3 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) ist (vgl. Senatsurteil vom 28.November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327). Offenkundig hat der Verordnungsgeber als zu regelnde Materie die wirtschaftlich relevante Betätigung mittels bestimmter Rechtsobjekte (Wirtschaftsgüter usw.) im Blick gehabt.

c) Dies läßt es als sachlich gerechtfertigt erscheinen, die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts wie bei inländischen gewerblichen Betrieben zu regeln ("Betriebsfinanzamt"; § 2 Abs.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO i.V.m. § 18 Abs.1 Nr.2 AO 1977), wobei "die Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen" als gewerblicher Betrieb i.S. des § 18 Abs.1 Nr.2 AO 1977 gelten (§ 2 Abs.1 Satz 2 der VO zu § 180 Abs.2 AO). Wenn nach § 7 Abs.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO eine Außenprüfung "zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen" bei jedem der Verfahrensbeteiligten zulässig ist, so ist bei ermächtigungskonformer Auslegung anzunehmen, daß die Außenprüfung zur Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen, die keinen materiell-rechtlichen oder sonstigen sachlichen Bezug zu der Einkünfteerzielung dienenden Objekten haben, entgegen § 193 Abs.2 AO 1977 nicht generell und uneingeschränkt zulässig ist.

d) Die Übernahme von Reparaturaufwendungen steht in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften durch die Kläger. Eine dauernde Last ist --unter weiteren Voraussetzungen-- unabhängig davon abziehbar, ob und in welchem Umfang der Verpflichtete Eigentümer oder Miteigentümer eines übertragenen Grundstücks ist und in welcher Weise er das Grundstück nutzt.

e) Das vom Senat befürwortete Ergebnis wird bestätigt durch die Materialien zu § 180 Abs.2 AO 1977 und zu der auf dieser Ermächtigungsgrundlage ergangenen Verordnung. § 180 Abs.2 AO 1977 hat die Umschreibung der feststellungsbedürftigen Besteuerungsgrundlagen und die Regelung des Verfahrens dem Verordnungsgeber überlassen (BTDrucks 10/1636 S.45); die Ermächtigungsgrundlage ist insofern bewußt inhaltsoffen formuliert worden. Nach Auffassung des Verordnungsgebers sollte § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 der VO zu § 180 Abs.2 AO "vor allem Laborgemeinschaften und Maschinenringe" betreffen (BRDrucks 493/86 S.6 f.). Dieses Beispiel bestätigt, daß jedenfalls solche Besteuerungsgrundlagen nicht in die Feststellung einbezogen werden sollten, die der Einkommensverwendung zuzurechnen und steuerrechtlich bei der --personenbezogenen-- Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen sind.

f) Das Auslegungsergebnis wird weiterhin durch folgende Erwägung gestützt. Die Abzugsbeträge nach § 10e Abs.1 und 2 EStG werden "wie Sonderausgaben" abgezogen. Sind mehrere Steuerpflichtige Eigentümer einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung, so können u.a. diese Abzugsbeträge gesondert und einheitlich festgestellt werden (§ 10e Abs.7 EStG). Der Gesetzgeber hat diese ausdrückliche Regelung für erforderlich gehalten, weil der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages Sonderausgaben nicht für feststellungsfähig gehalten hat (BTDrucks 10/5208 S.10).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64124

BFH/NV 1993, 1

BStBl II 1993, 11

BFHE 169, 113

BFHE 1993, 113

BB 1992, 2423 (L)

DB 1992, 2481 (L)

DStR 1992, 1685 (KT)

HFR 1993, 61 (LT)

StE 1992, 658 (K)

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