Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff "Erziehung".

 

Normenkette

GrEStG Baden-Württemberg 1964 § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a

 

Tatbestand

Die Klägerin - eine Evangelische Landeskirche - hatte 1964 ein Grundstück gekauft, das mit einem bisher als Erholungsheim verwendeten Gebäude bebaut war. Sie beanspruchte Grunderwerbsteuerfreiheit, weil ein Grundstückserwerb im öffentlichen Interesse im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a-c GrEStG 1940 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 5. Mai 1964 (Gesetzblatt Baden-Württemberg 1964 S. 255) vorliege. Das Grundstück werde als Jugendheim sowohl für Zwekke der Erziehung wie auch unmittelbar für gemeinnützige und kirchliche Zwecke verwendet werden; eine entsprechende Satzung werde noch ergehen. Die Jugendarbeit werde erfolgen in Form von

a) Erholungsmaßnahmen für Jugendliche bei jeweils 14tägigem Erholungsaufenthalt,

b) von Jugend- und Mädchenfreizeiten und

c) von Wochenend- und Jugendleiter-Lehrgängen.

Das FA entsprach dem Begehren der Klägerin nicht und setzte Grunderwerbsteuer fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG hob den Grunderwerbsteuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung auf, weil der Grundstückserwerb gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a und b in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Satz 3 des erwähnten GrEStG von der Besteuerung vorerst ausgenommen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Die Grundstückserwerbe durch die Klägerin sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit, weil die erworbenen Grundstücke für Zwecke der Erziehung und des Unterrichts verwendet werden sollen. Die konkret und unbestritten vorgetragenen Angaben der Klägerin lassen die rechtliche Folgerung zu, daß die Grundstücke Zwecken der Erziehung und des Unterrichts dienen sollen. Damit sind - vorbehaltlich einer etwaigen Nachversteuerung aufgrund des § 4 Abs. 2 GrEStG - die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a GrEStG erfüllt.

Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird unter Erziehung verstanden, die planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und charakterlichen Formung junger Menschen zu tüchtigen, mündigen Menschen, wobei unter Mündigkeit die Fähigkeit verstanden wird, selbständig und verantwortlich die Aufgaben des Lebens zu bewältigen. Erziehung erfaßt damit alle Bestrebungen, Vorgänge und Tätigkeiten, die den Erziehungsvorgang (Entwicklungsvorgang) beeinflussen. Zur Erziehung gehören außer der - regelmäßig im Wege des Unterrichts dargebotenen - Wissensvermittlung die Willensbildung und die Charakterbildung (Wissensbildung; Tätigkeiten, die darauf zielen, daß sich der Erzogene selbst zu sehen und zu beurteilen lernt; Bildung der Entscheidungsfähigkeit; das Lernen, Entscheidungen als rationale Akte zu steuern, Folgen zu bedenken usw.). Das FA hat nicht bestritten, daß die Klägerin in diesem Sinne erziehen wird. Der Erziehungszweck entfällt aber nicht etwa dadurch, daß die Klägerin die Heimaufenthalte teilweise als Erholungsaufenthalte ausgibt oder daß sie die Erziehung in "Erholung" eingebettet oder mit ihr ununterscheidbar verquickt durchzuführen bestrebt ist. Denn es kommt nicht darauf an, wie sie ihre Maßnahmen benennt, sondern welche Zwecke sie mit ihnen verfolgt und ob diese Zwecke der Erziehung zu dienen geeignet sind. Die Freizeitgestaltung dient beim Jugendlichen der Erziehung. Von dieser Vorstellung geht auch das Jugendwohlfahrtsgesetz aus, worauf die Klägerin zutreffend hinweist.

Das FA hat dem Tatsachenvortrag der Klägerin nicht widersprochen. Infolgedessen war der Senat nicht gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO), denn der einzige relevante Einwand des FA betrifft die Rechtsauffassung, Erholung sei auch bei Jugendlichen ein mit dem Begriff Erziehung unvereinbarer Zweck. Dieser Auffassung kann aber - wie gesagt - nicht gefolgt werden.

Bei dieser Sachlage bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob der Erwerb gemäß Buchstaben b und c des § 4 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen sein könnte.

Sollten die Ausführungen des FG dahin zu verstehen sein, daß für die vorläufige Freistellung von der Steuer die Bezeichnung der Zweckbestimmung unter Wiederholung des Gesetzeswortlauts genüge, so vermag der Senat dem nicht zu folgen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71325

BStBl II 1975, 389

BFHE 1975, 64

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