Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung für unrichtige Vorsteuerüberschüsse

 

Leitsatz (NV)

Der Anspruch des FA auf Rückzahlung zu Unrecht geltend gemachter und daraufhin vom FA ausgezahlter Vorsteuerüberschüsse ist ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977, der - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der §§ 69, 34 AO 1977 - die Geschäftsführerhaftung begründet.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34, 37; UStG 1980 §§ 15, 18 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin war Gesellschafter-Geschäftsführerin einer Export-GmbH (GmbH). Für die GmbH schloß vor allem im Streitjahr 1979 ein zu diesem Zweck als freier Mitarbeiter eingestellter Kaufmann E, der über besondere Branchenkenntnisse verfügte, Import- und Exportgeschäfte großen Umfangs ab. Die GmbH machte in den Umsatzsteuervoranmeldungen Vorsteuerüberschüsse von mehr als 10 Mio. DM geltend. Das FA zahlte - zum Teil nach einer Umsatzsteuersonderprüfung - die erklärten Beträge an die GmbH aus. Der Jahressteuerbescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Danach wurde bei einer von der Staatsanwaltschaft veranlaßten Steuerfahndung festgestellt, daß die beteiligten Import- und Exportfirmen nicht existierten. Der Mitarbeiter E hatte die Geschäfte fingiert und gefälschte Dokumente vorgelegt. Die von der GmbH an ihre Lieferanten geleisteten Zahlungen flossen, was der Klägerin nicht bekannt war, dem Mitarbeiter zu.

Das FA änderte den Jahressteuerbescheid (§ 164 AO 1977) und erließ gegen die Klägerin einen Haftungsbescheid über einen Rückforderungsanspruch von 1 Mio DM. Es führte aus, daß eine weitergehende Inanspruchnahme der Klägerin ermessensfehlerhaft wäre, da sie einen höheren Betrag nicht aufbringen könnte.

Das FG gab der Klage statt. Es hob den Haftungsbescheid auf, da das Verhalten der Klägerin bei Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen nicht von dem - hier allein in Betracht kommenden - Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 erfaßt werde. Im übrigen habe die Klägerin nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt. Es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin die Machenschaften des Mitarbeiters E durchschaut habe.

Mit der Revision beantragt das FA die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage. Es rügt unrichtige Anwendung des § 69 AO 1977. Auch habe das FG zu Unrecht ein Verschulden der Klägerin verneint.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der erkennende Senat kann sich allerdings nicht der Rechtsansicht des FG anschließen, eine Haftung nach § 69 AO 1977 scheide deshalb aus, weil der mit der Auszahlung von rd. 11,3 Mio DM auf die geltend gemachten, rechtlich aber nicht bestehenden Vorsteuerabzugsbeträge dem Steuergläubiger in der nämlichen Höhe erwachsene Rückforderungsanspruch nicht von § 69 AO 1977 erfaßt werde und es schon aus diesem Grund an einer tatbestandlichen Haftungsvoraussetzung fehle. Diese Auffassung ist mit Wortlaut und Sinn des § 69 AO 1977 nicht zu vereinbaren.

§ 69 AO 1977 verweist wegen der - als Haftungsgrundlage in Betracht kommenden - Ansprüche auf ,,Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" unter Bezugnahme (Klammerzusatz) auf § 37 AO 1977. Nach § 37 Abs. 1 i. V. m. § 37 Abs. 2 AO 1977 gehört zu diesen auch der Anspruch auf Rückzahlung einer ohne rechtlichen Grund gezahlten Steuervergütung. Darunter fällt auch der Vorsteuerabzugsanspruch, weil dieser seinem Wesen nach - unbeschadet seiner verfahrensrechtlichen Unselbständigkeit - ein Vergütungsanspruch ist (vgl. Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 4. Aufl., Tz. 30 zu § 16 UStG; Umsatzsteuer-Richtlinien 1985 Ziff. 202 Abs. 6). Besteht er nicht, hat aber der Steuergläubiger - wie im Streitfall - in der - unzutreffenden - Annahme seines Bestehens seinerseits Auszahlungen an den Steuerschuldner vorgenommen, so erwächst dem Steuergläubiger eine Forderung auf Rückzahlung in gleicher Höhe und damit ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977. Dabei kann es im Streitfall, in dem das FA hinsichtlich der betroffenen Jahressteuerfestsetzung 1979 einen formell wirksamen Änderungsbescheid (§ 164 AO 1977) erlassen hatte, auf sich beruhen, wann der Erstattungsanspruch entsteht, ob bereits im Zeitpunkt der Auszahlung (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., Tz. 14 zu § 37 AO 1977) oder erst mit der formell wirksamen Änderung des dieser zugrunde liegenden Verwaltungsaktes (so wohl Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Anm. 6 zu § 37 AO 1977). Jedenfalls unterscheidet sich der Erstattungsanspruch von den übrigen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dadurch, daß er die vorherige ohne rechtlichen Grund erfolgte Erfüllung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis zur Voraussetzung hat (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O.). Er stellt sich somit - ähnlich dem Rückforderungsanspruch des FA bei Berichtigung des Vorsteuerabzugs wegen Herabsetzung der Bemessungsgrundlage des an den Unternehmer bewirkten Umsatzes (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1978; vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. September 1983 V R 125/78, BFHE 139, 312, BStBl II 1984, 71) - als Umkehrung der sonstigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO 1977) dar, so daß die abgabenberechtigte Körperschaft Gläubigerin des Erstattungsanspruchs ist (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., unter Abs. 1 und Abs. 6). Daher fällt der genannte Erstattungsanspruch, also die Forderung auf Rückzahlung zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuerabzugsbeträge, unter die in § 69 AO 1977 genannten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Er ist deshalb - bei Vorliegen der übrigen Voraussetungen der Vorschrift - haftungsbegründend. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn des Gesetzes, weil mit der geänderten Wortfassung von § 69 AO 1977 - von der Einschränkung des Verschuldensmaßstabs abgesehen - eine inhaltliche Änderung gegenüber dem früheren § 109 der Reichsabgabenordnung nicht beabsichtigt war (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur AO 1977, BTDrucks VI/1982 S. 119; Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., § 69 AO 1977 Anm. 1 und Anm. 3 a).

2. Fällt, wie vorstehend dargetan, der Erstattungsanspruch der Finanzbehörde unter die Vorschrift des § 69 AO 1977, so hängt im Streitfall deren Anwendung, also die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners, davon ab, ob der Klägerin hinsichtlich der unrichtig deklarierten Vorgänge, die zu den Auszahlungen des FA geführt haben, eine schuldhafte Pflichtverletzung i. S. von § 69 AO 1977 anzulasten ist. Dabei kann es im Streitfall auf sich beruhen, welcher Zeitpunkt für die schuldhafte Pflichtverletzung maßgebend ist. Denn eine solche ist für keinen der hier in Betracht kommenden Zeitpunkte - Abgabe der Voranmeldungen oder Entgegennahme der Auszahlungen oder später (bis zur Aufdeckung des Sachverhalts durch die Steuerfahndung) - nachweisbar.

3. Die Entscheidung des FG, das den Haftungsbescheid in Form des Änderungsbescheides vom 9. Oktober 1981 und die Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 1981 aufgehoben hat, erweist sich sonach im Ergebnis als zutreffend. Somit ist die Revision - wenngleich aus teilweise anderen Erwägungen - als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413982

BFH/NV 1987, 409

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