Leitsatz (amtlich)

1. Die Ratifizierung der Vorschriften des Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 6 Abs. 1 und Art. 11 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten vom 11. September 1970 (Rechtshilfevertrag) durch das Zustimmungsgesetz vom 29. Juli 1971 (BGBl II 1971, 1001, BZBl 1971, 954) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

2. Die Vorschriften des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c. und des Art. 11 des Rechtshilfevertrages sind auch auf Exekutionstitel anwendbar, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages entstanden sind. Auch das ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

GG Art. 59 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 16, 19 Abs. 4, Art. 20, 25; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten vom 11. September 1970 Art. 1, 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 6 Abs. 1, Art. 11

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 22.03.1983; Aktenzeichen 2 BvR 475/78)

 

Tatbestand

Unter Bezugnahme auf Art. 11 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten vom 11. September 1970 (BGBl II 1971, 1001, Bundeszollblatt 1971 S. 954 – BZBl 1971, 954 –) – Rechtshilfevertrag (RHV) – ersuchte die Finanzlandesdirektion für Tirol (FLD) mit Schreiben vom 3. März 1972 die Oberfinanzdirektion (OFD) München, Eingangsabgaben und Mahngebühren beizutreiben, die der Kläger und Revisionskläger (Kläger) laut Rückstandsausweis des Zollamts Innsbruck (ZA I.) schuldete. Dabei bescheinigte die FLD, daß die dem Rückstandsausweis zugrunde liegende Entscheidung unanfechtbar und vollstreckbar sei. Beigefügt war eine Ausfertigung des Exekutionstitels. Die OFD erkannte diesen an und erklärte ihn für vollstreckbar. Am 28. April 1972 erließ daraufhin der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) ein entsprechendes Leistungsangebot. Mit der nach erfolgloser Beschwerde dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend:

Er habe im Jahre 1965 deutsche unversteuerte Zigaretten unter Beachtung der deutschen Gesetze bei deutschen Grenzzollämtern ausländischen Abnehmern übergeben, die versucht hätten, sie nach Österreich einzuschmuggeln. Er selbst habe dabei Österreich nicht betreten und dort auch keinen Steuertatbestand erfüllt. Es sei unzulässig den Rechtshilfevertrag auf Vorgänge des Jahres 1965 anzuwenden. Im übrigen seien die Vorschriften des Vertrages nicht eingehalten worden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte aus:

Der Rechtshilfevertrag sei nicht deshalb unanwendbar, weil die zu vollstreckende Forderung bereits 1965 entstanden sei. Er selbst sehe keine Einschränkung auf Vollstreckungstitel vor, die erst nach seinem Inkrafttreten vollstreckbar geworden seien. Eine solche Einschränkung könne auch nicht aus dem vom Kläger geltend gemachten Rückwirkungsverbot hergeleitet werden.

Mit der Revision macht der Kläger geltend:

Die dem Leistungsangebot zugrunde liegenden Vorschriften des Rechtshilfevertrages widersprächen dem Grundgesetz und dem Völkerrecht. Deshalb hätte sie der deutsche Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz vom 29. Juli 1971 (BGBl II 1971, 1001, BZBl 1971, 954) nicht mit Gesetzeskraft ausstatten dürfen.

Die Vollstreckungsbestimmungen des Rechtshilfevertrages erlaubten deutschen Behörden, in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Freiheitsrecht des Bürgers dadurch einzugreifen, daß sie österreichische Exekutionstitel anerkennten und für vollstreckbar erklärten. Das sei nicht vereinbar mit dem in Art. 20 GG enthaltenen Grundsatz der Demokratie und der sich daraus ergebenden Forderung nach Gewaltentrennung. Danach dürfe der Gesetzgeber Eingrille in die Freiheit des Bürgers nicht zum Ermessen eines anderen überlassen, insbesondere nicht dem Ermessen eines ausländischen Gesetzgebers oder einer Verwaltungsbehörde. Das aber habe der Gesetzgeber mit der Zustimmung zum Rechtshilfevertrag getan, weil durch diesen fremdes öffentliches Recht angewandt werde, ohne daß er die Tragweite des Eingriffes vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hätte.

Durch die Billigung der Vollstreckungsregelungen des Rechtshilfevertrages habe der Gesetzgeber auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil nach diesen Regelungen ausländische Rechtsakte unbesehen angewandt würden und die damit geltend gemachten Ansprüche durch deutsche Gerichte nicht nachprüfbar seien. Das widerspreche auch Art. 16 GG, aus dem sich ergebe, daß ein Deutscher einer fremden Staatsgewalt nicht schutzlos ausgeliefert werden dürfe.

Die Ratifikation des Rechtshilfevertrages habe auch gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstoßen. Art. 11 Abs. 2 RHV greife nämlich nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein. Die vom ZA I. im Jahre 1965 erlassenen Leistungsbescheide hätten ihn – den Kläger – bis zum 29. Juli 1971 nicht beschwert, da die österreichische Behörde gegen ihn nicht habe vollstrecken können. Durch Art. 1 RHV vom 4. Oktober 1954 (Zustimmungsgesetz vom 25. August 1955, RGBl II 1955, 883, BZBl 1955, 433) seien Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolsachen von der Rechtshilfe ausgeschlossen gewesen. Er sei in seinem durch den Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit geschützten Vertrauen, daß sein dem geltenden Recht entsprechendes Handeln mit allen ursprünglich damit verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleibe, verletzt worden, weil der Bundesgesetzgeber an den abgeschlossenen Tatbestand durch das Gesetz vom 29. Juli 1971 nunmehr ungünstigere Rechtsfolgen geknüpft habe. Für eine solche Rückwirkung hätten keine zwingenden, dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des gemeinen Wohls bestanden.

Ferner verstoße die Regelung des Art. 11 Abs. 5 und 6 RHV gegen das Verbot, in sich widerspruchsvolle Gesetze zu erlassen. Art. 11 Abs. 5 RHV weise Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung dem ersuchten Staat und seinem Recht zu, also insbesondere auch den Einwand, daß die Schuld nicht oder nicht mehr bestehe; diese Möglichkeit nehme Art. 11 Abs. 6 RHV aber wieder weg.

Schließlich werde im Völkerrecht fremder steuerrechtlicher Titel durch inländische Behörden regelmäßig abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die Klage gegen das Leistungsgebot des HZA vom 28. April 1972 zu Recht abgewiesen, da dieser Verwaltungsakt den Vorschriften der Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 6 Abs. 1 und Art. 11 RHV entsprochen hat und die Umformung dieser Vorschriften in innerstaatliches Recht durch das Zustimmungsgesetz vom 29. Juli 1971 mit dem Grundgesetz vereinbar war.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich haben sich durch Art. 1 RHV verpflichtet, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit nach den Bestimmungen dieses Vertrages im Bereich der Zollvorschriften und der Vorschriften über Verbrauchsteuern und Monopole Rechts- und Amtshilfe zu leisten. In diesem Bereich ist gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c RHV Rechts- und Amtshilfe auch in Vollstreckungssachen zu leisten. Der Rechts- und Amtshilfeverkehr findet nach Art. 6 Abs. 1 RHV unmittelbar zwischen den Finanz(Zoll)behörden der Vertragsstaaten statt. Einem Ersuchen um Vollstreckung ist gemäß Art. 11 Abs. 1 RHV eine Ausfertigung des Exekutionstitels sowie eine Bescheinigung der zuständigen OFD bzw. FLD beizufügen, daß die dem Ersuchen zugrunde liegende Entscheidung unanfechtbar und vollstreckbar ist. Ein dieser Bestimmung entsprechender Exekutionstitel ist gemäß Art. 11 Abs. 2 RHV von der zuständigen OFD bzw. FLD des ersuchten Staates anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, es sei denn, daß ein Ausnahmefall des Art. 4 RHV vorliegt. Nach dieser Vorschrift kann Rechts- und Amtshilfe verweigert werden, wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, die Erledigung des Ersuchens sei geeignet, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen. Die Vollstreckung wird in der Währung des ersuchten Staates nach entsprechender Umrechnung des zu vollstreckenden Geldbetrages durchgeführt, und zwar so wie bei einem gleichartigen Exekutionstitel des ersuchten Staates (Art. 11 Abs. 3 und 4 RHV). Einwendungen gegen das Bestehen, die Hohe oder die Vollstreckbarkeit des Anspruches, dessen Erfüllung erzwungen werden soll, sind von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates nach dessen Recht zu erledigen (Art. 11 Abs. 6 Satz 1 RHV).

I. Diese Regelungen gestatten deutschen Behörden, Ansprüche österreichischer Zollbehörden gegen die betroffenen Personen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in gleicher Weise durchzusetzen wie Ansprüche deutscher Zollbehörden. Es handelt sich also um Regelungen über Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit des Bürgers, die nur durch verfassungsgemäße Rechtsnormen eingeschränkt werden darf (vgl. Beschluß des BVerfG vom 9. Juni 1971 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145, 173), nicht etwa, wie das FG meint, nur um die Freiheit des Bürgers nicht berührende Verfahrensvorschriften. Aus dem für die freiheitliche Demokratie wesentlichen Grundsatz der Gewaltenteilung ergibt sich für den Gesetzgeber die Pflicht, eine den Behörden erteilte Befugnis zur Vornahme belastender Verwaltungsakte so bestimmt zu umschreiben, daß die Behörden beim Erlaß solcher Verwaltungsakte nach seinem Willen handeln, nicht etwa nach eigenem Willen entscheiden (vgl. Entscheidungen des BVerfG vom 12. November 1958 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 usw., BVerfGE 8, 274, 325, und vom 10. Oktober 1961 2 BvL 1/59, BVerfGE 13, 153, 160 f.). Dementsprechend müssen insbesondere Normen, die eine Steuerpflicht begründen, nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß so bestimmt und begrenzt sein, daß die Steuerlast meßbar und in gewissem Umfang für den Bürger voraussehbar und berechenbar wird (BVerfGE 13, 160 f.). Regelungen eines zwischenstaatlichen Vertrages, die diesen Anforderungen an Eingriffsnormen nicht entsprechen, darf der Gesetzgeber nicht ratifizieren (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 284). Das Ratifikationsgesetz vom 29. Juli 1971 zum Rechtshilfevertrag vom 11. September 1970 wird diesen Anforderungen gerecht.

Durch die dem Art. 59 Abs. 2 GG entsprechende Zustimmung zu dem Rechtshilfevertrag hat der Gesetzgeber dessen Regelungen in seinen Willen aufgenommen und mit Gesetzeskraft versehen (vgl. Entscheidungen des BVerfG vom 30. Juli 1952 1 BvF 1/52, BVerfGE 1, 396, 410; vom 21. März 1957 1 BvR 65/54, BVerfGE 6, 291, 294, und vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 284). Er hat nach Maßgabe der einzelnen Regelungen des Rechtshilfevertrages deutschen Behörden die Befugnis erteilt, österreichische Exekutionstitel in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken. Diese Befugnis hat er so umschrieben, daß die deutschen Behörden nur seinen Willen ausführen, nicht etwa an dessen Stelle ihren eigenen Willen setzen können. Das ist insbesondere geschehen durch die Bestimmungen des Art. 11 RHV über die Voraussetzungen dafür, daß die OFD den österreichischen Exekutionstitel anerkannt und für vollstreckbar erklärt, über die Umrechnung des zu vollstreckenden Geldbetrages sowie über die Art und Weise der Vollstreckung. Die Vertragsbestimmungen ermöglichen dem Bürger vorherzusehen, daß und wie im Bereich der Zollvorschriften und der Vorschriften über Verbrauchsteuern und Monopole ein gegen ihn gerichteter österreichischer Exekutionstitel in der Bundesrepublik Deutschland von deutschen Behörden vollstreckt werden kann.

Der Gesetzgeber brauchte nur das Verhalten der deutschen Behörden zu regeln, weil er nur sie zu dem in der Vollstreckung liegenden Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers in der Bundesrepublik Deutschland ermächtigt hat.

Die Entscheidung über das Bestehen, die Höhe und die Vollstreckbarkeit des mit dem österreichischen Exekutionstitel geltend gemachten Anspruchs konnte der Gesetzgeber durch Art. 11 Abs. 1 und 6 RHV der zuständigen österreichischen Behörde überlassen. Er durfte davon ausgehen, daß eine solche Entscheidung in Österreich im wesentlichen nach den gleichen Rechtsgrundsätzen getroffen wird wie in der Bundesrepublik Deutschland, da Österreich mit dieser sprachlich, kulturell und geschichtlich zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweist, insbesondere eine freiheitliche demokratische Rechtsordnung.

Der Gesetzgeber hat im übrigen Vorsorge dagegen getroffen, daß einem österreichischen Exekutionstitel nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Maßstäben Mängel anhaften könnten, die mit der hiesigen Rechtsordnung nicht vereinbar sind. Ein solcher Ausnahmefall würde durch die Regelung des Art. 4 RHV erfaßt, wonach Rechts- und Amtshilfe verweigert werden kann, wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, daß die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen. Die Vorschrift bietet dem Bürger die Möglichkeit, mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik unvereinbare Mängel eines österreichischen Exekutionstitels der ersuchten Behörde vorzutragen, deren Entscheidung über die Verweigerung der Hilfe herbeizuführen und eine ihm nachteilige Entscheidung vor Gericht anzufechten.

II. Die dem Leistungsgebot des HZA zugrunde liegenden Regelungen des Rechtshilfevertrages sind auch mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Diese Verfassungsnorm eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch eine deutsche Verwaltungsbehörde (vgl. Entscheidungen des BVerfG vom 23. April 1969 2 BvR 552/63, BVerfGE 25, 352, 365; vom 17. Dezember 1969 2 BvR 23/65, BVerfGE 27, 297, 305, und vom 27. Juli 1971 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364, 367 f.). Sie gewährleistet eine tatsächlich wirksame vollständige Nachprüfung jedes Verwaltungsaktes (vgl. Beschluß des BVerfG vom 28. März 1972 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, 263, 274). Diese Rechtsschutzgarantie wird gegenüber einem Verwaltungsakt, durch den die deutsche Behörde auf Grund der Vorschriften des Rechtshilfevertrages ein Leistungsgebot erläßt, dadurch erfüllt, daß das vom betroffenen Bürger angerufene Gericht den Verwaltungsakt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht daraufhin nachprüft, ob er den Voraussetzungen der Eingriffsregelungen des Rechtshilfevertrages entspricht. Das Gericht kann insbesondere prüfen, ob der Bürger gemäß Art. 11 Abs. 6 RHV bei der deutschen Behörde Einwendungen gegen das Bestehen, die Höhe oder die Vollstreckbarkeit des Anspruchs, dessen Erfüllung erzwungen werden soll, erhoben und daraufhin die deutsche Behörde die Entscheidung der ersuchenden österreichischen Behörde abgewartet hat. Es kann insbesondere auch prüfen, ob für die deutsche Behörde ein Anlaß bestanden hätte, der ersuchenden österreichischen Behörde nach Art. 4 RHV wegen Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Rechts- und Amtshilfe zu verweigern, etwa wegen begründeter Bedenken gegen die Rechtsstaatlichkeit des österreichischen Verfahrens bei der Entscheidung über den Anspruch oder seine Vollstreckbarkeit und wegen der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren Bürgern aus den Grundrechtsvorschriften der Art. 1 bis 19 sowie der Art. 101 und 103 GG.

Die Vollstreckungsregelungen des Rechtshilfevertrages ermöglichen zwar, Ansprüche aus österreichischen Rechtsakten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durch Verwaltungsakte deutscher Behörden durchzusetzen, jedoch nicht unbesehen, nicht vorbehaltslos und nicht entgegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Revision enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß das FG seine Pflicht verletzt haben könnte, das angefochtene Leistungsgebot in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Rechtshilfevertrag und den übrigen Rechtsnormen nachzuprüfen. Der Kläger hat insbesondere nicht gerügt, daß das FG pflichtwidrig rechtsstaatliche Bedenken gegen die österreichischen Entscheidungen über den Anspruch und seine Vollstreckbarkeit außer acht gelassen und zu Unrecht nicht von der Möglichkeit des Art. 4 RVH Gebrauch gemacht habe.

III. Die Vorschriften des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und des Art. 11 RHV sind nach ihrem Wortlaut und Sinnzusammenhang auch auf Exekutionstitel anwendbar, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages entstanden sind. Auch das ist entgegen der Auffassung des Klägers mit dem Grundgesetz vereinbar.

Das im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes läßt zwar nicht zu, daß ein den Bürger belastendes Gesetz in schon abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift (vgl. Beschluß des BVerfG vom 23. März 1971 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392, 401). Eine solche Rückwirkung liegt hier aber nicht vor. Der Rechtshilfevertrag setzt für den Eingriff in die Freiheitssphäre des betroffenen Staatsbürgers im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens voraus, daß eine österreichische Behörde unter Vorlage eines Exekutionstitels um Vollstreckung ersucht und dieser Exekutionstitel von der zuständigen OFD anerkannt und für vollstreckbar erklärt wird (Art. 11 Abs. 1 und 2 RHV). Die Eingriffsregelung befaßt sich demnach nicht mit den Vorgängen, die dem Exekutionstitel zugrunde liegen, greift also nicht in sie ein.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann eine Rechtsnorm auch wegen einer sog. unechten Rückwirkung verfassungswidrig sein. Eine unechte Rückwirkung entfaltet eine Rechtsnorm, wenn sie auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossenene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich eine Rechtsposition nachträglich im ganzen entwertet. Die Regelungen des Rechtshilfevertrages greifen insofern in noch nicht abgeschlossene Sachverhalte ein, als sie auch für die vor ihrem Inkrafttreten erlassenen, bisher in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckbaren österreichischen Exekutionstitel gelten. Sie wirken auf diese Sachlage und auf die Rechtsbeziehungen zwischen den österreichischen Behörden und den durch deren Vollstreckungstitel betroffenen Bürgern im Bundesgebiet für die Zukunft ein, indem sie den österreichischen Behörden durch Einräumung eines Anspruchs auf Rechts- und Amtshilfe ermöglichen, ihre Forderungen auch im Bundesgebiet durchsetzen zu lassen. Das BVerfG mißt die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung belastender Gesetze nicht nach den gleichen Grundsätzen, die für die echte Rückwirkung gelten. Es wägt in Fällen der unechten Rückwirkung ab zwischen dem Vertrauen des Staatsbürgers auf den Fortbestand der bisherigen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit. Es hält die Rückwirkung nur dann für unzulässig, wenn das Vertrauen des Staatsbürgers auf den Fortbestand der bisherigen Lage den Vorrang verdient (Beschluß des BVerfG vom 9. März 1971 2 BvR 326/69 usw., BVerfGE 30, 250, 267; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 9. Dezember 1975 VII R 36/73, BFHE 118, 119).

Als der Kläger im Jahre 1965 Zigaretten an Personen übergab, die versuchten, sie nach Österreich einzuschmuggeln, hatte er keinen Grund darauf zu vertrauen, daß auf seinem Verhalten beruhende österreichische Zoll-, Verbrauchsteuer- oder Monopolforderungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht beigetrieben werden könnten. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 4. Oktober 1954 (BGBl II 1955, 833) galt zwar nach seinem Art. 1 nicht für Verbrauchsteuern, Zölle und Monopolabgaben. Dazu bestimmte jedoch das ihn ergänzende Schlußprotokoll (BGBl II 1955, 836), daß für diese Abgaben eine besondere Vereinbarung über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Aussicht genommen werde. Mit einer Rechtshilferegelung, wie sie durch den Vertrag vom 11. September 1970 für Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten zustande gekommen ist, war also schon im Jahre 1965 zu rechnen.

Im übrigen verdiente ein Vertrauen des Staatsbürgers darauf, daß die aufgrund einer unanfechtbaren und vollstreckbaren Entscheidung geltend gemachte Forderung einer österreichischen Zollbehörde in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckt werden kann, nicht den Vorrang gegenüber dem offensichtlichen Anliegen des Gesetzgebers, durch den Rechtshilfevertrag auf der Grundlage der Gegenseitigkeit dafür zu sorgen, daß nicht nur Forderungen österreichischer Behörden im Bundesgebiet, sondern auch Forderungen deutscher Behörden in Österreich gegenüber zahlungsunwilligen Schuldnern durchgesetzt werden können und daß damit auch die Zahlungsmoral gegenüber den Behörden gestärkt wird.

IV. Die Vollstreckungsregelungen des Rechtshilfevertrages verstoßen auch nicht gegen Art. 16 GG, der verbietet, einen Deutschen an das Ausland auszuliefern. Unter einer Auslieferung i. S. dieser Vorschrift ist zu verstehen, daß eine Person auf Ersuchen eines ausländischen Staates zwangsweise in das Ausland verbracht wird, (vgl. Beschluß des BVerfG vom 20. Oktober 1959 1 BvR 125/59, BVerfGE 10, 136, 139 und Beschluß des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 3. März 1954 4 ARs 64/53, BGHSt 5, 396, 404). Etwas Derartiges sieht der Rechtshilfevertrag nicht vor. Soweit der Kläger meint, er werde durch die Anwendung des Rechtshilfevertrages einer fremden Staatsgewalt schutzlos ausgeliefert, verkennt er die wesentlichen Regelungen des Vertrages. Die österreichischen Behörden können sich aufgrund des Vertrages nur im Wege eines Rechts- oder Amtshilfeersuchens an deutsche Behörden wenden; sie werden nicht etwa ermächtigt, österreichische Staatsgewalt im Bundesgebiet auszuüben. Der durch das Ersuchen betroffene Bürger ist auch nicht schutzlos. Denn die Verantwortung für die Ausführung des Ersuchens liegt bei der deutschen Behörde, deren Maßnahmen nach Art. 19 Abs. 4 GG auf ihre Rechtmäßigkeit gerichtlich voll nachgeprüft werden können. Die Regelungen des Art. 11 Abs. 5 und 6 RHV betreffen nur die Frage, wie Einwendungen des Betroffenen von den am Rechts- oder Amtshilfeverfahren beteiligten Verwaltungsbehörden zu behandeln sind, nicht aber den gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Maßnahmen dieser Behörden.

V. Der Rechtshilfevertrag verletzt nicht den Art. 25 GG, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Ob es – wie der Kläger meint – dem Völkerrecht entspricht, die Vollstreckung steuerrechtlicher Titel durch inländische Behörden regelmäßig abzulehnen, kann dahinstehen. Jedenfalls war die Bundesrepublik durch keine allgemeine Regel des Völkerrechts gehindert, mit der Republik Österreich durch den Rechtshilfevertrag zu vereinbaren, auf dem Gebiete der Zölle, Verbrauchsteuern und Monopole in Vollstreckungsverfahren gegenseitige Rechts- und Amtshilfe zu leisten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514775

BFHE 1978, 480

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