Leitsatz (amtlich)

Die Beträge, die ein Versicherungsnehmer eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit als sogenannte Dividende oder Gewinnbeteiligung von dem Verein, an dem er auch Beteiligter ist, ausgezahlt erhält, mindern die in demselben Steuerabschnitt als Sonderausgaben abziehbaren Versicherungsbeiträge, die der Versicherungsnehmer an den Verein geleistet hat.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 12 Nr. 1, § 20

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) hat im Streitjahr 1965 an einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) rd. 500 DM an Lebensversicherungsbeiträgen geleistet. Aufgrund seiner Mitgliedschaft bei dem VVaG hat der Steuerpflichtige im Jahre 1965 eine Gewinnbeteiligung von 360 DM (für 1964 und für 1965 je 180 DM) ausbezahlt erhalten.

Der Steuerpflichtige begehrte zunächst, die Gewinnbeteiligung als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln. Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) minderte jedoch bei der Einkommensteuer-Veranlagung 1965 unter Berufung auf Abschn. 88 Abs. 4 EStR 1965 die Sonderausgaben des Steuerpflichtigen um 360 DM. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es führte in dem in EFG 1968, 121 veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Die Gewinnbeteiligung (Dividende) rechne nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, weil sie nicht für eine Kapitalüberlassung gezahlt worden sei. Die Gewinnbeteiligung mindere aber die abziehbaren Sonderausgaben. Der Steuerpflichtige sei so zu behandeln, als ob er eine um die Gewinnbeteiligung niedrigere Prämie gezahlt habe. Denn ein VVaG sei eine Förderungsgemeinschaft. Die bei ihm entstehenden Überschüsse beruhten im wesentlichen auf Prämieneinnahmen, die aus Gründen des Versicherungsrisikos zunächst höher angesetzt worden seien. Wirtschaftlich sei die Überschußverteilung eine Korrektur der Prämienleistung des Versicherungsnehmers.

Mit der Revision trägt der Steuerpflichtige vor: Das FG beachte nicht hinreichend den grundlegenden strukturellen Unterschied zwischen Versicherungs gesellschaften und Versicherungs vereinen auf Gegenseitigkeit. Bei den Versicherungsgesellschaften, meist Aktiengesellschaften, gebe es einerseits Versicherungsnehmer und andererseits Aktionäre. Bei den VVaG seien dagegen Versicherungsnehmer und Beteiligte identisch. Das mache sich bei der Gewinnverteilung bemerkbar. Da alle Versicherungen im wesentlichen vergleichbare Überschüsse erzielten, bekomme der Versicherungsnehmer eines VVaG mehr an Gewinnbeteiligung als ein Versicherungsnehmer bei einer Versicherungsgesellschaft; denn bei der letzten müßten die Gewinne auch an die mit den Versicherungsnehmern nicht identischen Beteiligten ausgeschüttet werden. Dieser Unterschied zeige, daß die an die Versicherungsnehmer ausgeschütteten Beträge nicht nur Prämienreste seien. Die an die Versicherungsnehmer eines VVaG gezahlten Beträge stammten sogar überwiegend aus anderen Quellen als aus den sogenannten Prämienresten. Im Streitfall habe der VVaG mitgeteilt, daß er die ihm zur Verfügung stehenden Mittel in der am meisten gewinnbringenden Form anlege und außerdem große Rationalisierungserfolge habe. Vor allem auf diesen Umständen beruhe die an ihn erfolgte Gewinnausschüttung. Die unterschiedliche Behandlung der Dividenden in Abschn. 88 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 EStR 1965 sei danach nicht gerechtfertigt.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Sonderausgaben nicht um die Gewinnbeteiligung zu mindern; hilfsweise, die Gewinnbeteiligung den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Sonderausgaben im Sinne des § 10 EStG sind ihrem Wesen nach nicht abziehbare Kosten der Lebenshaltung (§ 12 EStG); sie sind Verwendung des erzielten Einkommens (vgl. das Urteil des Senats VI 123/62 U vom 27. September 1963, BFH 77, 592, BStBl III 1963, 536). Der Gesetzgeber hat sich jedoch aus sozialen und anderen Gründen entschlossen, die in § 10 EStG im einzelnen aufgezählten „Aufwendungen” bei der Einkommensermittlung in Ausnahme von dem Prinzip des § 12 EStG zum Abzug zuzulassen (vgl. das angeführte Urteil VI 123/62 U; ferner Hartz-Over-Meeßen, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Sonderausgaben unter 1.). Zu diesen Aufwendungen zählen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG „Beiträge zu Versicherungen auf den Lebens- oder Todesfall”.

Aus dem Wort „Aufwendungen” geht hervor, daß die wirtschaftliche Belastung des Einkommens Anlaß für die steuerliche Begünstigung durch § 10 EStG ist. Eine wirtschaftliche Belastung z. B. durch Zahlung von Kirchensteuer liegt aber nicht vor, soweit eine Rückzahlung früher geleisteter Kirchensteuer erfolgt (vgl. das angeführte Urteil VI 123/62 U; ferner Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 9. Aufl., § 10 Rdnr. 5; Hartz-Over-Meeßen, a. a. O. unter 7.). Ein Sonderausgabenabzug von Versicherungsbeiträgen ist deshalb ebenfalls insoweit abzulehnen, als an den Steuerpflichtigen Beträge aus dem Versicherungsverhältnis zurückgezahlt werden. Das war hier der Fall.

Das Mitglied eines VVaG hat eine Doppelstellung: es ist einmal Mitglied und zum anderen Versicherungsnehmer. Diese Doppelstellung ist nicht trennbar; es handelt sich um ein einheitliches Verhältnis, das sowohl ein Versicherungsverhältnis als auch ein genossenschaftliches umschließt (so Prölls, Versicherungsaufsichtsgesetz, 5. Aufl., § 20 Anm. 5). Das Versicherungsverhältnis macht aber den Hauptinhalt des Mitgliedschaftsverhältnisses aus (vgl. Prölls, a. a. O.). Das geht insbesondere aus § 20 Satz 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) hervor, wonach Mitglied eines VVaG nur werden kann, wer ein Versicherungsverhältnis mit dem Verein begründet. Die untrennbare Doppelstellung ergibt sich auch daraus, daß der Versicherungsnehmer bei einem VVaG nur Beiträge, nicht aber davon getrennte Kapitalzuführungen – wie der Aktionär – zu erbringen hat. Ist demnach alles das, was der Versicherungsnehmer eines VVaG jährlich aufwendet, Sonderausgabe, dann muß auch ein entsprechender Rückfluß als Minderung der Sonderausgabe behandelt werden.

Ein Beteiligter an einer Versicherungs-AG (Aktionär), der zugleich Versicherungsnehmer bei dieser AG ist, kann als Aktionär Dividenden beziehen, die Einkünfte aus Kapitalvermögen sind und nicht seine Sonderausgaben mindern. Als Versicherungsnehmer hat er, soweit er an den Überschüssen beteiligt wird, Bezüge, die seine Sonderausgaben verringern.

Soweit der Steuerpflichtige einwendet, ein VVaG verteile an seine Mitglieder und Versicherungsnehmer auch Beträge, die nicht aus dem Prämienüberschuß herrühren, ist das ohne Belang. Zwar liegt nach Haasen (Das Recht auf den Überschuß bei den privaten Versicherungsgesellschaften, 1955, S. 32, 34, 52) das Wesen des Überschußanspruchs nicht in der Rückgabe zuviel erhobener Prämien, sondern in der Beteiligung der Versicherungsnehmer am Gesamtüberschuß des Unternehmens. Speziell für den VVaG führt Haasen (a. a. O. S. 36 f., 52) aus, die Überschußverteilung sei Anteil des Versicherten aus dem Vereinsüberschuß. Auch Kisch (Das Recht des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, 1951, S. 11) geht davon aus, daß der durch die Beiträge der Versicherten erzielte Überschuß auf dem Umweg über den Verein den Mitgliedern, also den Versicherten, zugute komme, während bei den Versicherungsgesellschaften ein – wenn auch geringer – Teil des Gesamtüberschusses in Form von Gewinnanteilen (Dividenden) den Beteiligten als solchen, z. B. den Aktionären, zugewiesen werde und deshalb den Versicherten vorenthalten bleibe. Es mag deshalb zutreffen, daß ein VVaG an seine Versicherungsnehmer mehr Dividenden ausschütten kann als eine Versicherungsgesellschaft. Das ist aber genausowenig entscheidend wie die Tatsache, daß sicherlich Teile des zur Verteilung gelangenden Überschusses des VVaG nicht unmittelbar auf Beiträgen der Versicherten, sondern z. B. auf besonders zinsgünstiger Anlage der Beiträge seitens des VVaG (vgl. auch Kisch, a. a. O., S. 211) und auf Rationalisierungsmaßnahmen beruhen. Maßgebend ist nicht, aus welcher Quelle die zur Verteilung kommenden Mittel herrühren, sondern nur, daß sie, wie ausgeführt, im Rahmen des Versicherungsverhältnisses zurückgezahlt werden. Davon ist aber nach dem Vorstehenden auszugehen.

Der einem VVaG angehörende Steuerpflichtige hat nach allem nur „Aufwendungen” in Höhe der um die Dividenden oder sonstigen zurückgezahlten Beträge des VVaG gekürzten Beiträge. Das entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 EStG, wonach Lebenshaltungskosten nur ausnahmsweise abziehbar sein sollen. Die Abziehbarkeit soll lediglich möglich sein, soweit der Steuerpflichtige mit diesen Kosten belastet ist. Das ist nicht der Fall, soweit er eine Dividende oder andere Beträge im Rahmen des Versicherungsverhältnisses zurückgezahlt erhält. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auffassung der bisherigen Rechtsprechung, des Schrifttums und der Finanzverwaltung (vgl. das Urteil des RFH VI A 353/33 vom 20. Dezember 1933, RStBl 1934, 429; Littmann, a. a. O., § 10 Rdnr. 55; Blümich-Falk, EStG, 9. Aufl., § 10 Anm. 3 S. 1034; Hartz-Over-Meeßen, a. a. O. unter 7.; Abschn. 88 Abs. 4 EStR). Allerdings sind in der zuletzt genannten Verwaltungsanordnung Ausnahmen zugelassen, „soweit die Dividenden zur Abkürzung der Versicherungsdauer oder der Dauer der Beitragszahlung oder zur Erhöhung der Versicherungssumme (Summenzuwachs) verwendet werden”. Der Steuerpflichtige kann aus diesen Ausnahmeregelungen aber nichts für sich herleiten. Denn der Streitfall weicht von den in den EStR angeführten Ausnahmefällen, in denen die erzielten Überschüsse nicht ausgeschüttet, sondern im Rahmen des Versicherungsverhältnisses wie zusätzliche Beiträge verwendet worden sind, wesentlich ab.

2. Im Streitfall sind die genannten Dividenden von 360 DM, obwohl sie zum Teil für 1964 ausgezahlt worden sind, von den im Streitjahr 1965 geleisteten rd. 500 DM Versicherungsbeiträgen abzuziehen. Denn maßgebend ist allein die Tatsache der Zahlung der Beiträge (des Abflusses) und der Vereinnahmung der Dividenden (des Zuflusses) im Veranlagungsabschnitt (§ 11 EStG). Die Rückzahlung für das Versicherungsjahr 1964 ist im Jahre 1965 erfolgt. Da im Streitfall die Zahlungsbeträge die in demselben Veranlagungsabschnitt an den Steuerpflichtigen ausgezahlten Dividenden übersteigen, braucht nicht entschieden zu werden, ob und ggf. wie es sich steuerrechtlich auswirkt, wenn der Steuerpflichtige in einem Veranlagungsabschnitt höhere Erstattungen erhält, als er Zahlungen geleistet hat.

3. Das hilfsweise Begehren des Steuerpflichtigen, die Dividenden bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen, ist – was sich bereits aus den Ausführungen zu 1. ergibt – unbegründet. Der RFH hat in dem angeführten Urteil VI A 353/33 entschieden, daß die Dividenden, die eine Versicherung ihrem Versicherungsnehmer auszahlt, unter keine der Einkunftsarten des EStG fallen (ebenso Littmann, a. a. O., § 10 Rdnr. 55; Hartz-Over-Meeßen, a. a. O. unter 7.). Der Senat folgt dieser Auffassung für den Fall der Auszahlung von Dividenden eines VVaG; denn insoweit handelt es sich, wie dargestellt, nicht um den Ertrag einer Kapitalbeteiligung (vgl. hierzu das Urteil des Bundesfinanzhofs I 250/64 vom 11. Dezember 1968, BFH 94, 488, BStBl II 1969, 188) und auch nicht um ein Entgelt für die Überlassung von Kapital, sondern um eine Rückzahlung im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557444

BStBl II 1970, 314

BFHE 1970, 357

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