Entscheidungsstichwort (Thema)

Unklarer Urteilsausspruch

 

Leitsatz (NV)

1. Ergibt sich aus der Urteilsformel - erforderlichenfalls unter Heranziehung des übrigen Urteilsinhalts - nicht eindeutig, wie über die Anträge der Beteiligten entschieden worden ist, so ist das Urteil wirkungslos (unwirksam, nichtig).

2. Diesen Mangel hat das Revisionsgericht auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten, da es sich um einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens handelt.

 

Normenkette

FGO § 105 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ordnete am 12. Januar 1984 bei der Klägerin und Revisionsbeklagten zu 1 (Klägerin zu 1), der X-KG, jetzt OHG, (StNr. . . .), gemäß § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Außenprüfung an. Mit dieser Prüfungsanordnung wurde der Prüfungsbeginn auf den 30. Januar 1984 festgelegt. Eine Anordnung über den Ort der Prüfung wurde dabei nicht getroffen. Am 24. Januar 1984 beantragte der steuerliche Berater der Klägerin zu 1, Rechtsanwalt Y, die Prüfung zum vorgesehenen Termin in seinem Büro durchzuführen. Nachdem sich das FA im Rahmen einer Betriebsbesichtigung davon überzeugt hatte, daß bei der Klägerin zu 1 keine geeigneten Geschäftsräume für die Durchführung einer Außenprüfung vorhanden waren, lehnte es mit Verfügung vom 30. Januar 1984 die Prüfung im Büro des Steuerberaters ab und ordnete gleichzeitig an, die Außenprüfung habe im FA stattzufinden, wo bis zum 10. Februar 1984 auch die Bücher und Geschäftsunterlagen vorzulegen seien. Zur Begründung führte es aus, eine Prüfung in den Büroräumen des steuerlichen Beraters des Steuerpflichtigen sei in § 200 Abs. 2 AO 1977 nicht vorgesehen. Die Aufzählung der möglichen Prüfungsorte in § 200 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 (Geschäftsräume des Steuerpflichtigen, seine Wohnung, Prüfung an Amts Stelle) seien abschließend, so daß Kanzleiräume des Steuerberaters als Ort der Betriebsprüfung ausscheiden.

Das FA ordnete am 2. Februar 1984 bei der Klägerin und Revisionsbeklagten zu 2 (Klägerin zu 2), der Grundstücksgemeinschaft A. und B. Z. (StNr. . . .), gemäß § 194 Abs. 2 AO 1977 eine Außenprüfung an, die als sog. abgekürzte Prüfung nach § 203 AO 1977 durchgeführt werden sollte. Die Prüfungsanordnung enthält folgenden Zusatz: ,,Die Prüfung wird im Rahmen der BP X-KG durchgeführt werden."

Am 8. Februar 1984 legte nur die Klägerin zu 1 durch ihren steuerlichen Berater schriftlich Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Januar 1984 ein, mit der sie sich gegen die Anordnung des Prüfungsortes wendete. Telefonisch erklärte der steuerliche Vertreter gegenüber dem FA, die Beschwerde sei auch im Namen der an Amts Stelle angeordneten Prüfung der Grundstücksgemeinschaft (Klägerin zu 2) eingelegt worden.

Am 6. Juni 1984 erließ die Oberfinanzdirektion (OFD) jeweils eine Beschwerdeentscheidung gegenüber der Klägerin zu 1 und der Klägerin zu 2. Die OFD hielt beide Beschwerden für zulässig, in der Sache aber für unbegründet. Sie führte inhaltsgleich in den Beschwerdeentscheidungen im wesentlichen aus, die Räume des Beraters würden als Ort der Prüfung nach der gesetzlichen Regelung des § 200 Abs. 2 AO 1977 grundsätzlich ausscheiden. Zwar sei die Finanzverwaltung nicht gehindert, im Einzelfall auf Antrag der Steuerpflichtigen in den Räumen des steuerlichen Beraters zu prüfen. Eine derartige Prüfung komme jedoch nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Gründe in Frage. Im Streitfall seien solche Gründe nicht ersichtlich. Der Einwand, die Arbeitsbedingungen seien im Beraterbüro besser als an Amts Stelle, reiche ebensowenig aus wie die Tatsache, daß in vielen anderen Fällen dem Antrag anderer Mandanten des steuerlichen Beraters in den vergangenen Jahren entsprochen worden sei.

Im anschließenden Klageverfahren stellten die Kläger folgenden Antrag:

,,Die Kläger beantragen die Prüfung in den Räumen des Beraters durchzuführen; hilfsweise, die Verfügung vom 30. Januar 1984 und die Beschwerdeentscheidung vom 6. Juni 1984 aufzuheben."

Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) lautet in der Urteilsformel wie folgt:

,,Die Verfügung vom 30. Januar 1980 und die Beschwerdeentscheidung vom 6. Juni 1984 werden aufgehoben.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen."

Auf Hinweis der Kläger, der Tenor enthalte einen Fehler, da die angefochtene Verfügung von 1984 sei, berichtigte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle diesen Fehler mit Schreiben vom 15. Oktober 1985.

Das Urteil begründete das FG im wesentlichen wie folgt: Die Verfügung vom 30. Januar 1984 sei ein Verwaltungsakt, der regle, wo die Prüfung stattfinden soll. Das FA habe § 121 AO 1977 verletzt, weil es nicht zu erkennen gegeben habe, warum es sein Ermessen gerade dahin ausgeübt habe, daß die Prüfung an Amts Stelle und nicht in den Räumen des Prozeßbevollmächtigten stattfinden soll. Es habe damit sein Ermessen unvollständig und fehlerhaft ausgeübt. Den Antrag der Kläger, im Streitfall sei eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, so daß nur eine bestimmte Entscheidung, nämlich Prüfung in den Räumen des Beraters, richtig sein kann, verneinte das FG in den Gründen seiner Entscheidung.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision - Beschluß vom 19. November 1985 - rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, und zwar die unrichtige Anwendung der §§ 5, 121, 200 Abs. 2 Satz 1 AO 1977, § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin zu 1 ist während des Revisionsverfahrens in eine OHG umgewandelt worden, da alle Kommanditisten aus der Gesellschaft ausgeschieden sind.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Die formwechselnde Umwandlung der Klägerin zu 1 während des Revisionsverfahrens von einer KG in eine OHG hat keine verfahrensrechtlichen Auswirkungen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1990 VIII R 138/85, BFHE 163, 431).

2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das angefochtene Urteil ist unwirksam. Das FG-Urteil muß schon deshalb aufgehoben werden, weil sein Ausspruch unklar ist und auch nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann.

a) Wesentlicher Bestandteil eines jeden Urteils ist die Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Aus ihr muß sich entnehmen lassen - erforderlichenfalls unter Heranziehung des übrigen Urteilsinhalts -, wie über die Anträge der Beteiligten entschieden worden ist. Soweit sich aus dem Urteil keine eindeutige Entscheidung ergibt, ist es wirkungslos (unwirksam, nichtig, vgl. Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 105 Rz. 10; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 105 FGO Rz. 3; Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 105 FGO Rz. 15; Ziemer / Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 105 Rz. 10). Diesen Mangel hat das Revisionsgericht auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 19. Juli 1983 6 RKa 11/82, Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung - USK - 8383), da es sich um einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens handelt.

b) Im Streitfall hat das FG die ,,Verfügung vom 30. Januar 1980" und die ,,Beschwerdeentscheidung vom 6. Juni 1984" aufgehoben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Diese Entscheidungssätze sind unklar.

aa) Unschädlich ist allerdings die falsche Bezeichnung des Verfügungsdatums mit 30. Januar 1980 in der Ausfertigung des Urteils. Aus dem Tatbestand der Entscheidung ergibt sich, daß das FG die Verfügung vom 30. Januar 1984 meint. Dieser Fehler ist in der Urschrift des Urteils nicht enthalten. Er konnte deshalb vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - wie im Streitfall geschehen - gemäß §§ 317, 319 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 FGO richtiggestellt werden (vgl. Gräber / von Groll, a. a. O., § 107 Rz. 1; Thomas / Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 16. Aufl., § 317 ZPO Anm. 3).

bb) Nach dem Tatbestand des Urteils ist für die Klägerin zu 1 mit Verwaltungsakt vom 30. Januar 1984 der Ort der Prüfung geregelt worden. Mit einem weiteren Verwaltungsakt vom 2. Februar 1984 wurde der Ort der Prüfung für die Klägerin zu 2 geregelt. Dies ergibt sich aus dem Bescheid vom 2. Februar 1984. In diesem Bescheid sind zwei Verwaltungsakte äußerlich verbunden worden (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 196 AO 1977 Rz. 2). Der Bescheid regelt zum einen durch selbständigen Verwaltungsakt die Anordnung der Prüfung, zum anderen durch einen weiteren selbständigen Verwaltungsakt die Anordnung des Prüfungsorts (vgl. auch BFH-Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, 211). Daß mit diesem Bescheid vom 2. Februar 1984 auch der Ort der Prüfung durch besonderen Verwaltungsakt geregelt werden sollte und auch geregelt wurde, ergibt sich auch dem Satz: ,,Die Prüfung wird im Rahmen der BP X-KG durchgeführt werden." Nachdem zeitlich vorher - am 30. Januar 1984 - die Prüfung der Klägerin zu 1 an Amts Stelle angeordnet wurde, kann die Bezugnahme auf diese Prüfung im Bescheid vom 2. Februar 1984 bei verständiger Würdigung nur dahin verstanden werden, daß die Prüfung der Klägerin zu 2 unter den gleichen Prüfungsmodalitäten - Prüfung an Amts Stelle - angeordnet wurde.

cc) Geht man mit den Beteiligten und dem FG davon aus, daß sowohl die Klägerin zu 1 als auch die Klägerin zu 2 jeweils einen erfolglosen Rechtsbehelf (Beschwerde) gegen den sie betreffenden Verwaltungsakt - Anordnung des Prüfungsorts - eingelegt hat, so hat die gemeinsam erhobene Klage, mit der die Kläger u. a. jeweils die Aufhebung der gegen sie gesondert ergangenen Beschwerdeentscheidung vom 6. Juni 1984 verfolgen, die Wirkung einer Streitgenossenschaft (subjektive Klagenhäufung) zwischen der Klägerin zu 1 und der Klägerin zu 2 (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, § 59 Rz. 5 und 9). Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß die lediglich äußerlich zusammengefaßten Verfahren ihre rechtliche Selbständigkeit behalten. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind für jedes Verfahren gesondert zu prüfen. Jeder Streitgenosse führt seinen eigenen Prozeß. Bei einfacher Streitgenossenschaft, wie im Streitfall, kann die Entscheidung gegenüber den einzelnen Streitgenossen unterschiedlich ausfallen (vgl. Gräber / Koch, a. a. O., § 59 Rz. 11; Tipke / Kruse, a. a. O., § 59 FGO Rz. 3). Daraus ergibt sich, daß sich aus dem Urteil in Fällen einfacher Streitgenossenschaft eindeutig ergeben muß, wie die Entscheidung gegenüber dem einzelnen Streitgenossen ausgefallen ist.

dd) Auf den Streitfall bezogen bedeutet dies, daß der Entscheidung eindeutig zu entnehmen sein muß, wie das FG die Streitsache der Klägerin zu 1 und die Streitsache der Klägerin zu 2 entschieden hat. Diese Voraussetzungen erfüllt das FG-Urteil nicht.

Aus der Entscheidungsformel läßt sich dies auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe nicht entnehmen. Die Urteilsformel differenziert nicht zwischen der Klägerin zu 1 und der Klägerin zu 2. Die Verfügung vom 2. Februar 1984, mit der gegenüber der Klägerin zu 2 der Prüfungsort geregelt wurde, wird gar nicht erwähnt. Soweit die Beschwerdeentscheidung vom 6. Juni 1984 aufgehoben wird, ist nicht erkennbar, ob damit die Entscheidung gemeint sein soll, die an die Klägerin zu 1 oder an die Klägerin zu 2 gerichtet war. Auch aus dem Umstand, daß das FA die Verfügung vom 30. Januar 1984 aufgehoben hat, kann nicht geschlossen werden, daß es gerade die in dieser Sache ergangene Beschwerdeentscheidung aufgehoben hat. Dies schon deshalb nicht, weil das FG auch in den Entscheidungsgründen die Verwaltungsakte betreffend die Anordnung des Prüfungsorts vom 30. Januar 1984 gegen die Klägerin zu 1 und vom 2. Februar 1984 gegen die Klägerin zu 2 in unzulässiger Weise vermengt.

Unklar ist die Entscheidung auch insoweit, als weder der Urteilsformel noch den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist, daß das FA verpflichtet wird, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden. Dieser Ausspruch wäre, da ein Verpflichtungsbegehren vorliegt, (zwingend) erforderlich gewesen, nachdem das FG in den Gründen seiner Entscheidung Spruchreife infolge Ermessensreduktion auf Null verneint hatte (vgl. Gräber / von Groll, a. a. O., § 102 Rz. 18, § 101 Rz. 7).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417623

BFH/NV 1992, 175

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