Leitsatz (amtlich)

Werden im Rahmen einer unentgeltlichen Betriebsübertragung einzelne Wirtschaftsgüter von der Übertragung ausgeschlossen, so entsteht ein als laufender Gewinn zu versteuernder Entnahmegewinn.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 16 Abs. 4, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1; EStDV § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, die im Güterstand der Gütergemeinschaft leben, haben das von ihnen gemeinsam betriebene Obstgroßhandelsgeschäft zum 31. Dezember 1973 unentgeltlich auf ihren Sohn übertragen. Ausgenommen von der Übertragung blieben zwei fremdvermietete Grundstücke, die als Betriebsvermögen bilanziert waren.

Der infolge der Zurückbehaltung der Grundstücke angefallene Gewinn beläuft sich unstreitig auf 36 219 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte ihn im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 1973 als laufenden Gewinn der Kläger; diese waren dagegen der Auffassung, es handle sich um einen gemäß § 16 Abs. 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerbegünstigten Aufgabegewinn.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Das Obstgroßhandelsgeschäft sei zum 31. Dezember 1973 mit seinen wesentlichen Grundlagen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich auf den Sohn übertragen worden. Die beiden zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter hätten daneben keinen Teilbetrieb dargestellt, den die Kläger im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG hätten aufgeben können. Vielmehr habe es sich um die Abspaltung einzelner Wirtschaftsgüter aus dem Gesamtorganismus eines Betriebes gehandelt. Der dabei angefallene Gewinn sei dem laufenden Gewinn zuzurechnen.

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Zur Begründung tragen sie vor, die Vorentscheidung weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Februar 1962 I 197/61 S (BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190) ab. In diesem Urteil habe der BFH zum Ausdruck gebracht, daß die Zurückbehaltung von Wirtschaftsgütern im Falle der unentgeltlichen Betriebsübertragung ebenso zu behandeln sei wie in den Fällen der Betriebsveräußerung und der Betriebsaufgabe. Der BFH habe es für gerechtfertigt erachtet, die in den zurückbehaltenen Wirtschaftsgütern ruhenden und aufgelösten stillen Reserven auch dann dem begünstigten Steuersatz des § 34 EStG zu unterwerfen, wenn - wie im Streitfall - an die Stelle der Betriebsveräußerung die unentgeltliche Betriebsübertragung trete.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung für 1973 einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn von 36 219 DM und einen laufenden Gewinn von 75 984 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Voraussetzung für die von den Klägern begehrte Steuerbegünstigung gemäß § 16 Abs. 4 und § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist, daß der infolge der Zurückbehaltung der beiden Wirtschaftsgüter und ihrer Überführung in das Privatvermögen realisierte Gewinn als Veräußerungs- oder Aufgabegewinn zu qualifizieren ist. Dies hat das FG zutreffend verneint.

1. Ein Veräußerungsgewinn (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG) ist nicht entstanden, weil die Kläger von ihrem Sohn keine Gegenleistung für die Betriebsübertragung erhalten haben. Auch eine Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) liegt nicht vor.

a) Ein Steuerpflichtiger gibt seinen Betrieb auf, wenn er die wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang innerhalb kurzer Zeit an verschiedene Abnehmer veräußert, sie ganz in sein Privatvermögen überführt oder sie teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen übernimmt (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Bei der Betriebsaufgabe handelt der Steuerpflichtige mit dem Ziel, den Betrieb nicht mehr als selbständigen Organismus in seiner bisherigen Form bestehen zu lassen (BFH-Urteil vom 9. Februar 1972 I R 205/66, BFHE 105, 15, BStBl II 1972, 455). Eine Betriebsveräußerung, bei der der Betrieb als Ganzes erhalten werden soll, beinhaltet da nach keine Betriebsaufgabe. In der neueren Rechtsprechung des BFH ist darüber hinaus eine Betriebsaufgabe auch dann angenommen worden, wenn der Betrieb als wirtschaftlicher Organismus zwar bestehenbleibt, aber durch eine Handlung bzw. einen Rechtsvorgang in seiner ertragsteuerlichen Einordnung so verändert wird, daß die Erfassung der stillen Reserven nicht gewährleistet ist (Beschluß in BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168).

b) Im Streitfall ist der Betrieb als selbständiger Organismus in seiner bisherigen Form übertragen worden, die Erfassung der stillen Reserven bei seinem neuen Inhaber ist gewährleistet (§ 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - ESfDV -). Die Übertragung stellt deshalb keine Betriebsaufgabe dar. Demgemäß hat der Senat bereits mehrfach entschieden, daß in der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebs unter Lebenden weder eine Betriebsveräußerung noch eine Betriebsaufgabe liegt (Urteile vom 24. Oktober 1951 IV 233/51 U, BFHE 56, 10, BStBl III 1952, 5; vom 27. Juli 1961 IV 295/60 U, BFHE 73, 679, BStBl III 1961, 514; vom 23. April 1971 IV 201/65, BFHE 102, 488, BStBl II 1971, 686; vom 26. April 1979 IV R 108/75, BFHE 128, 452, BStBl II 1979, 732, unter I 2 a der Entscheidungsgründe).

c) Eine Betriebsaufgabe liegt im Falle der unentgeltlichen Betriebsübertragung auch dann nicht vor, wenn der bisherige Betriebsinhaber aus diesem Anlaß einzelne Wirtschaftsgüter veräußert oder sie - wie im Streitfall - in sein Privatvermögen übernimmt. Ein steuerbegünstigter Aufgabegewinn entsteht daraus nicht. Hiervon ist der Senat bereits in seiner Entscheidung in BFHE 73, 679, BStBl III 1961, 514 ausgegangen. An dieser Auffassung wird festgehalten.

Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, daß Gewinne aus der Veräußerung einzelner Gegenstände oder aus ihrer Übernahme in das Privatvermögen dann gemäß § 16 Abs. 4, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1 EStG steuerbegünstigt sind, wenn dies im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebs geschieht (vgl. Urteil in BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 16 EStG Anm. 81 E 42). Die Betriebsveräußerung ist ein steuerbegünstigter Vorgang (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Gewinne aus der Zurückbehaltung einzelner Wirtschaftsgüter müssen nach dem Gesetzeszweck von der Steuerbegünstigung miterfaßt werden. Die Steuerbegünstigung des Veräußerungs- und Aufgabegewinns soll angesichts der zusammengedrängten Auflösung von stillen Reserven im Hinblick auf den progressiven Einkommensteuertarif gewährt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20. Dezember 1967 I 103/64, BFHE 91, 166, BStBl II 1968, 276. Dabei müssen neben den im übertragenen Betriebsvermögen realisierten stillen Reserven auch die durch Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter oder durch ihre Übernahme in das Privatvermögen realisierten stillen Reserven berücksichtigt werden. Auch diese Gewinne sind steuerbegünstigt; sie werden deshalb als Aufgabegewinn bezeichnet (Urteil in BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190), obwohl ihnen eine Betriebsaufgabe i. S. von § 16 Abs. 3 EStG nicht zugrunde liegt.

Demgegenüber ist die unentgeltliche Betriebsübertragung kein Vorgang, bei dem stille Reserven aufgedeckt werden und aus diesem Anlaß begünstigt besteuert werden könnten. Es besteht deshalb keine Steuerbegünstigung, die auf die zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter erstreckt werden konnte. Eine solche Begünstigung wäre auch durch den Gesetzeszweck nicht gerechtfertigt. Zu einer zusammengedrängten Besteuerung stiller Reserven kommt es nur, wenn alle (wesentlichen) stillen Reserven des Betriebs in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang aufgedeckt werden (BFH-Urteile vom 26. September 1968 IV 22/64, BFHE 94, 10, BStBl II 1969, 69, und vom 11. August 1971 VIII 13/65, BFHE 104, 48, BStBl II 1972, 270, jeweils mit weiteren Nachweisen). Bei der unentgeltlichen Übertragung des Betriebs werden die stillen Reserven im Betriebsvermögen jedoch nicht aufgedeckt. Ihre teilweise Aufdeckung bei einzelnen Wirtschaftsgütern ist nicht steuerbegünstigt.

Die Steuerbegünstigung solcher Gewinne läßt sich auch nicht mit der Regelung des § 16 Abs. 4 EStG vereinbaren, wie gerade der Streitfall deutlich macht. Die Vorschrift gewährt Freibeträge bei einer Veräußerung des ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs und der einer Veräußerung gleichgestellten Aufgabe des ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs (§ 16 Abs. 3 EStG); die unentgeltliche Übertragung ist aber weder Veräußerung noch Aufgabe. Ferner käme es bei der Berechnung der Freibeträge nach § 16 Abs. 4 EStG auf die Höhe des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns für den ganzen Betrieb bzw. einen Teilbetrieb an. Die Gewährung der Freibeträge lediglich für Gewinne aus der Zurückbehaltung einzelner Wirtschaftsgüter wäre damit nicht vereinbar. Im Streitfall würden die Kläger daraus einen Steuervorteil erlangen, der ihnen bei Berücksichtigung auch der stillen Reserven im übertragenen Betrieb voraussichtlich nicht zustehen würde.

Gegen die Gewährung der Steuerbegünstigung spricht schließlich die Regelung für die Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft. Der hierbei entstehende Gewinn ist nach § 22 Abs. 3 UmwStG 1969 und § 24 Abs. 3 UmwStG 1977 nur dann gemäß § 16 Abs. 4, § 34 Abs. 1 EStG steuerbegünstigt, wenn das eingebrachte Betriebsvermögen mit dem Teilwert angesetzt wird, vorhandene stille Reserven also aufgelöst werden. Unterbleibt die Auflösung, sind auch die in zurückbehaltenen Wirtschaftsgütern aufgedeckten Reserven nicht steuerbegünstigt (Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Rdz. 4794, 4885 b).

Der streitige Gewinn ist demnach ein Entnahmegewinn und als laufender Gewinn zu versteuern (§ 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG).

2. Wie bereits das FG ausgeführt hat, liegt in dieser Entscheidung keine Abweichung vom Urteil in BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190. Diese Entscheidung betrifft die Überführung von Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens in das Privatvermögen anläßlich des Ausscheidens aus einer Personengesellschaft. Der I. Senat hat in der Realisierung ihrer stillen Reserven einen Aufgabegewinn gesehen und den Sachverhalt der Überführung von Wirtschaftsgütern in das Privatvermögen im Falle der Betriebsveräußerung gleichgestellt.

In seinem Urteil in BFHE 105, 15, BStBl II 1972, 455 geht auch der I. Senat davon aus, daß eine Betriebsaufgabe nur anzunehmen ist, wenn der Betrieb nicht mehr als Organismus in seiner bisherigen Form fortbesteht. In seiner Entscheidung in BFHE 91, 166, BStBl II 1968, 276 sieht er den Zweck der Begünstigung in der Vermeidung von Härten durch die zusammengedrängte Versteuerung von stillen Reserven. Nach diesen Entscheidungen konnte in der im Streitfall gegebenen unentgeltlichen Betriebsübertragung keine Betriebsaufgabe gesehen werden, weil der Betrieb seine bisherige Form beibehält und die stillen Reserven im übertragenen Betriebsvermögen erhalten bleiben.

Soweit die Entscheidung in BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190 nicht durch die genannten jüngeren Entscheidungen aufgegeben ist, sieht der Senat in ihr eine auf den besonderen Sachverhalt des Urteils begrenzte Rechtsauffassung. Es bedarf daher keiner Anrufung des Großen Senats gemäß § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

3. Die Entscheidung konnte im Streitfall nicht etwa deshalb zugunsten der Kläger ausfallen, weil die FÄ in Abschn. 139 Abs. 5 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 1967 ff. unter Bezugnahme auf das Urteil in BFHE 74, 506, BStBl III 1962, 190 darauf hingewiesen worden sind, daß die unentgeltliche Betriebsübertragung im Sinne des § 7 Abs. 1 EStDV mit einem tarifbegünstigten Aufgabegewinn im Sinne des § 16 EStG zusammenfallen könne. Es handelt sich hierbei nicht um eine Ermessensrichtlinie, sondern um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die den Senat nicht bindet (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 4 AO 1977 Tz. 36, 38 mit weiteren Nachweisen). Darüber, ob eine Billigkeitsmaßnahme im Hinblick auf einen von den Richtlinien ausgehenden Vertrauenstatbestand gerechtfertigt ist, hatte der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden (s. hierzu Tipke/Kruse, a. a. O., § 227 AO 1977 Tz. 24, 25, mit weiteren Nachweisen).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413573

BStBl II 1981, 566

BFHE 1981, 176

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