Leitsatz (amtlich)

1. Werden anläßlich der Verpachtung eines Gewerbebetriebs die wesentlichen Betriebsgrundlagen so umgestaltet, daß sie nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden können, so ist grundsätzlich elne Aufgabe des Gewerbebetriebs anzunehmen.

2. Die Möglichkelt, die Besteuerung der stillen Reserven Im Jahr der Betriebseinstellung zu vermeiden und die Besteuerung auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Verwertung oder der eindeutigen Entnahme zu verlegen, steht einem Steuerpflichtigen nur zu, wenn er die Absicht hat, die wesentlichen Grundlagen des bisherigen Betriebsvermögens demnächst in einem anderen, ihm gehörenden Gewerbebetrieb zu verwenden oder sie im Rahmen der Aufgabe des Betriebs alsbald zu veräußern oder in das Privatvermögen zu überführen.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war an einer Erbengemeinschaft beteiligt, die einen seit 1959 verpachteten Gewerbebetrieb, bestehend aus einer Bäckerei, einer Konditorei und einer kleinen Gaststätte, als Nachlaß erworben hatte. Die Miterben übertrugen 1963 ihre Anteile auf den Kläger, der den ruhenden Betrieb fortführte. Die Gewinne ermittelte er durch Vermögensvergleich. Zum Betriebsvermögen gehörten außer dem Grundstück und den Gebäuden ein 1961 angeschaffter Backofen und einzelne, bereits abgeschriebene Maschinen und Einrichtungsgegenstände.

Der Pachtvertrag aus dem Jahr 1959 endete 1966. In der Folgezeit verpachtete der Kläger den Betrieb bis zum Frühjahr 1968 an zwei verschiedene Bäckermeister. Im Frühjahr 1970 fand der Kläger einen neuen Pächter für das Betriebsgebäude, und zwar für die als Laden, Gastwirtschaft, Kontor und Küche genutzten Räume und für die darüber liegende Wohnung. Die der Bäckerei dienenden Räume wurden durch feste Wände abgetrennt und blieben unbenutzt.

Der Pächter gestaltete die Räume auf seine Kosten um und eröffnete im Erdgeschoß vertragsgemäß eine Diskothek. Ihm wurde -- wie den Vorpächtern -- eine Gaststättenerlaubnis erteilt.

Der Kläger erklärte für das Streitjahr bei Einnahmen aus der Verpachtung in Höhe von 3 600 DM und aus dem Verkauf der Ladeneinrichtung in Höhe von 1 130 DM insgesamt einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4563,65 DM. Im Kurzbericht zur Bilanz auf den 31. Dezember 1970 ist unter der Position Anlagevermögen ausgeführt: "Hier sind keine Veränderungen eingetreten." Der Kläger wurde erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt.

Nach einer im Jahr 1975 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Auffassung, daß nach der Verpachtung der Unternehmensräume für den Betrieb einer Diskothek der "Bäckereibetrieb" aufgegeben worden sei. Das FA ermittelte einen Aufgabegewinn von 152 912 DM, den es neben dem laufenden Verlust aus Gewerbebetrieb für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1970 in Höhe von 1521 DM der auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützten Berichtigungsveranlagung zugrunde legte.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit der Revision und rügt Verletzung des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Das FG hätte prüfen müssen, ob die ursprüngliche Veranlagung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt werden konnte, denn entgegen seiner Auffassung hatte der Kläger im Streitjahr einen Aufgabegewinn erzielt.

1. Der Kläger konnte das Betriebsvermögen während der erneuten Verpachtung nicht als solches fortführen.

a) Nach dem Urteil des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 1963 GrS 1/63 S (BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) kann der Verpächter eines Gewerbebetriebes wählen, ob er den Vorgang der Verpachtung als Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) behandeln oder ob er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen will mit der Folge, daß die im verpachteten Betrieb vorhandenen stillen Reserven vorerst nicht aufgedeckt werden.

Diese Möglichkeit entfällt aber, wenn anläßlich der Verpachtung die wesentlichen Betriebsgrundlagen so umgestaltet werden, daß sie nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden können. In diesem Fall Stellt der Verpächter die werbende Tätigkeit endgültig ein. Der Pächter setzt den übernommenen Betrieb nicht fort, sondern er eröffnet einen anderen (neuen) Betrieb (BFH-Urteile vom 16. November 1967 IV R 8/67, BFHE 90, 329, BStBl II 1968, 78; vom 12. Dezember 1973 I R 122/72, BFHE 111, 98, BStBl II 1974, 208; vom 14. Dezember 1978 IV R 106/75, BFHE 127, 21, BStBl II 1979, 300).

Im Streitfall wurden die bisher als Laden, Kontor, Küche und Gastwirtschaft genutzten Räume zu einer Diskothek umgestaltet.

Geht man davon aus, daß Bäckerei, Konditorei und die kleine Gaststätte einen einheitlichen Betrieb bildeten -- dafür spricht insbesondere die einheitliche Buchführung --, so konnte dieser Betrieb nach der Umgestaltung nicht mehr in der bisherigen Form fortgeführt werden. Eine Diskothek (Tanzlokal) ist ein anderes Unternehmen als eine Bäckerei und Konditorei mit angeschlossener Gaststätte, mag auch sowohl für den Betrieb einer Gaststätte als auch für den einer Diskothek eine Gaststättenerlaubnis erforderlich sein. Diese Betriebe unterscheiden sich wesentlich durch ihre Zwecke, ihre Einrichtungen und durch die Art ihrer Leistungen.

Der Umstand, daß die Bäckereieinrichtung bestehenblieb, reicht nicht aus, eine bloße Betriebsunterbrechung anzunehmen. Eine Wiederaufnahme des früheren Betriebes wäre nur nach erheblichen Umgestaltungen möglich gewesen.

b) Der Steuerpflichtige hat zwar die Möglichkeit, durch eine allmähliche Veräußerung oder sonstige Verwertung des Betriebsvermögens die Besteuerung der stillen Reserven im Jahr der Betriebseinstellung zu vermeiden und die Besteuerung auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Verwertung oder der eindeutigen Entnahme zu verlegen (BFH-Urteile vom 12. März 1964 IV 107/63 U, BFHE 79, 476, BStBl III 1964, 406; vom 25. Juli 1972 VIII R 3/66, BFHE 106, 528, BStBl II 1972, 936; vom 24. Oktober 1979 VIII R 49/77, BFHE 129, 334, BStBl II 1980, 186).

Dieses Wahlrecht steht ihm aber nur zu, wenn er die Absicht hat, das bisherige Betriebsvermögen -- zumindest die wesentlichen Grundlagen -- demnächst in einem anderen, ihm gehörenden Gewerbebetrieb zu verwenden oder es noch im zeitlichen Rahmen der Aufgabe des bisherigen Betriebes alsbald zu veräußern oder in das Privatvermögen zu überführen. Fehlt diese Absicht, werden die wesentlichen Betriebsgrundlagen mit der Einstellung des Betriebes Privatvermögen. Die Einstellung hat dann zur Folge, daß zwangsläufig eine -- begünstigte -- Gewinnrealisierung eintritt, ohne daß es einer entsprechenden Betriebsaufgabeerklärung bedarf. Anderenfalls hätte es der Steuerpflichtige durch die Nichtabgabe der Erklärung in der Hand, die Versteuerung der in dem Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven auf unbestimmte Zeit zu verschieben (vgl. BFH-Urteile vom 26. September 1961 I 5/61 U, BFHE 73, 689, BStBl III 1961, 517; vom 12. April 1967 VI R 240/66, BFHE 88, 417, BStBl III 1967, 420; Urteile in BFHE 90, 329, BStBl II 1968, 78; BFHE 106, 528, BStBl II 1972, 936; Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 1982, Anm. 35 a zu § 16).

Im Streitfall hatte der Kläger weder die Absicht, das bisherige Betriebsvermögen demnächst in einem anderen, ihm gehörenden Gewerbebetrieb zu verwenden noch es im Rahmen der Aufgabe des Betriebes alsbald zu veräußern. Das folgt allein schon daraus, daß er zwar die Bäckerei nach den Feststellungen des FG betriebsbereit hielt, aber -- vom Backraum abgesehen -- die Räumlichkeiten langfristig zum Betrieb einer Diskothek verpachtete. Er beabsichtigte auch nicht, das Betriebsvermögen in sein Privatvermögen zu überführen. Das kam in der bilanzmäßigen Behandlung zum Ausdruck.

2. Die Sache ist nicht spruchreif; auf der Grundlage der Feststellungen des FG kann der Senat nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen und in welcher Höhe der Aufgabegewinn anzusetzen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74616

BStBl II 1983, 412

BFHE 1983, 50

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